Leben in Bayern

Weinberge bei Escherndorf. (Foto:dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

24.08.2021

Steilhänge, Heckenwirtschaften und Touristenschwärme

Monokultur mit Suchtpotential schimpft so mancher beim Gedanken an Weinberge und Vinotheken. Andere denken bei einem Shoppen Silvaner oder Rotling wiederum an ein Kulturgut, das es zu schützen gilt

Kaum zu glauben, aber selbst auf dem Oktoberfest in München gibt es nicht überall Bier aus Maßkrügen. Im Weinzelt trinkt man - wie der Name schon sagt - Wein. Und das natürlich nicht aus dem Maßkrug. Längst sind Silvaner, Müller-Thurgau und Riesling im Land des Bieres angekommen, und mitnichten muss sich die kleine und im Großteil auf Unterfranken konzentrierte Branche dahinter verstecken. Zwar gab es vor 30 Jahren doppelt so viele Weinbaubetriebe wie heute, wie Zahlen des Fränkischen Weinbauverbandes belegen. Aber die verbleibenden ziehen mit ihrer Arbeit in Nicht-Corona-Jahren so viele Touristen an, dass hunderte Millionen Euro in die Region fließen.

Mehr als 360 Jahre nach dem ersten Anbau von Silvaner-Reben im unterfränkischen Castell gilt diese Sorte heute als der Frankenwein überhaupt - ob im Bocksbeutel oder einer Schlegelflasche. Wärmeliebend, Dürreperioden wegsteckend, robust: Der Klimawandel macht anderen Reben weitaus mehr zu schaffen als diesem Weißwein. Der Silvaner helfe, "so manch' lange Fastnachtssitzung zu überstehen", sagte 2009 der damalige Umweltminister und heutige Ministerpräsident Bayerns, Markus Söder (CSU). Wein sei ein verbindendes Kulturgut.

Seit diesem Jahr sieht das auch die Weltkulturbehörde Unesco so. Weinkultur gehört seit dem Frühjahr zum Immateriellen Kulturerbe in Deutschland. Dazu zählen lebendige Traditionen aus vielen Bereichen, so auch der Streuobstanbau und die traditionelle Bewässerung der Wässerwiesen in Franken. Seit 2003 unterstützt die Unesco Schutz, Dokumentation und Erhalt dieser Kulturformen.

Aus dem 8. Jahrhundert: Älteste Nachweise auf Weinbau in Franken

"Die ältesten Nachweise auf Weinbau in Franken stammen aus dem 8. Jahrhundert", heißt es bei der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim. Einer Sage nach begann der geregelte Weinbau mit den Benediktinerinnenklöstern in Kleinochsenfurt und Kitzingen in Unterfranken. Vom 12. bis zum 16. Jahrhundert sei Franken gar das größte zusammenhängende Wein-Anbaugebiet Europas gewesen. "Geistliche und weltliche Grundherren förderten den Weinanbau. Wein war ein ausgesprochenes Volksgetränk."

Im 30-jährigen Krieg (1618-1648) kommt der Weinbau in Ober- und Mittelfranken fast zum Erliegen. Klimaveränderungen und der Siegeszug des Bieres lassen die Rebfläche von etwa 40 000 Hektar dramatisch schrumpfen. "Nach einer weiteren Blütezeit im 18. folgt im 19. Jahrhundert durch die Auflösung vieler Klöster und hohe Steuern ein erneuter Rückgang der Anbauflächen", konstatiert die LWG. Rebkrankheiten wie Echter Mehltau und 1902 die Reblaus machen eine wirtschaftliche Trauben- und Weinerzeugung kaum noch möglich.

1950 gibt es laut LWG in Franken noch 2360 Hektar bestockte Rebfläche. Erst in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erholt sich die Branche. 1990 werden etwa 7000 Winzerbetriebe gezählt, die rund 6000 Hektar Rebfläche vorwiegend auf Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper bewirtschaften - und das auch an sehr steilen Hängen.

Franken mit 99 Prozent der Anbaufläche wichtigstes Weinanbaugebiet in Bayern

Heute ist Franken mit 99 Prozent der Anbaufläche das wichtigste Weinanbaugebiet in Bayern. Es gibt etwa 3500 Winzer, 700 davon direktvermarktend, und dazu Genossenschaften, die alle insgesamt auf mehr als 6300 Hektar Wein anbauen.

Junge Winzer führten in den Familienbetrieben mittlerweile Regie, erzählt Frankens Weinbaupräsident Arthur Steinmann. Der Wein werde jünger vermarktet, Weinarchitektur und innovative Vinotheken seien wichtig. Es gibt Kurse, worauf beim Verkosten eines Weines zu achten ist - es darf natürlich geschlürft werden. Und Interessierte können lernen, warum welcher Wein kalt getrunken werden sollte.

Fünf Millionen Wein-Touristen jährlich

Das lockt jährlich rund fünf Millionen Touristen, die gerne beim Winzer probieren und kaufen, an Keller-Führungen teilnehmen oder durch die Weinberge schlendern. Nach einer Studie der Hochschule Geisenheim (Hessen) geben sie dafür jedes Jahr etwa 700 Millionen Euro in Franken aus.

Kehrseite: "Eine viel zu positive Wahrnehmung von Alkohol ist weit verbreitet", meint Gesundheitsforscher Ulrich John vom Uniklinikum Greifswald. Deutschland sei beim Alkohol im internationalen Vergleich "Hochkonsumland". Und Corona verschärft die Lage noch. Unter den Kontaktbeschränkungen wird mehr Zuhause getrunken, wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen mahnt. In belastenden Situationen würden Bier, Wein und Schnaps häufiger als vermeintliche Stresslöser geschluckt. Die Risiken: Alkohol könne mehr als 200 Krankheiten verursachen, darunter Krebs- sowie Herz- und Kreislauferkrankungen.

In den saisonalen Heckenwirtschaften der Winzer wird dieses Thema sicherlich eher am Rande behandelt. Viele Einheimische und Touristen kommen zum Wurstsalat mit Musik, lassen sich Gerupften oder Fränkischen Plootz (Blechkuchen) schmecken - sprich: einfache Gerichte. Bier wiederum ist in den Privathäusern der Weinbauern tabu, dafür gibt es Wein in allen Variationen.
(Angelika Resenhoeft, dpa )

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