Leben in Bayern

Auf der Wildschweinjagd will man Hightech-Waffen einsetzen. Doch Experten bezweifeln, dass die Abschussquote damit erhöht werden kann. (Foto: dpa)

10.04.2015

Streit um Techno-Rambos in Bayerns Wäldern

Gehört das Bild vom in Loden gewandten Waidmann bald der Vergangenheit an? Ein Teil der Jägerschaft träumt von paramilitärischer Aufrüstung

Die Dunkelheit naht heran, alles ist friedlich, nur das Rauschen der Bäume ist zu hören. Eine Familie strebt heim nach einem erholsamen Tag in Feld und Flur. Plötzlich Leuchtsignale, eine Rauchsäule steigt auf. Eine mit hochempfindlichen Infrarot-Sensoren und feinabgestimmter Computertechnik ausgerüstete Drohne hat den humanen Sozialverband geortet. Die friedlichen Wanderer erstarren im Fadenkreuz eines Waidmanns, der im geruchsneutralen Tarnanzug und ausgerüstet mit modernster Nachtzieltechnik dem hehren Spezialauftrag folgt, die Menschheit vor der Bedrohung der Spezies Sus scrofa zu schützen. Für den Bruchteil einer Sekunde senkt sich der Finger. Dann, Dank innovativer Fusion Optik steht fest: Nicht Wildschweine, nein eine Rotte Homo sapiens steht auf der Lichtung. Gefahr gebannt. Die Wanderfreunde dürfen passieren.

Erst Nachtzielgeräte, dann noch härteres Geschütz?

Zukunftsversion nur oder dräuendes Schreckgespenst? In Bayern tobt derzeit ein Stellvertreterkrieg. Das Waidwerk droht zum Hightech-Sport zu avancieren. Das Bild vom freundlichen in Loden gewandten Naturschützer im Ehrenamt soll ein Relikt der Vergangenheit sein. Technische Gadgets sind en vogue und versprechen einen millionenschweren Markt. Warum also nicht auch bei der Jägerei?
Das Nachtzielgerät, vom Waffengesetz als Militärtechnik qualifiziert und deshalb aus gutem Grund bisher auch Jägern versagt, könnte das Einfallstor zur digitalen Pirsch sein. Ein kleiner Teil der Jägerschaft hat sich bereits technisch hochgerüstet. Das weckt Begehrlichkeiten. Die Rufe der Basis sind mittlerweile so laut geworden, dass sich auch Forstminister Helmut Brunner nicht mehr verschließen mag. Eine Hintertür im Waffenrecht soll es möglich machen. Die komplexe und rechtlich tiefgreifende Verflechtung zwischen Jagd- und Waffenrecht, deren Kompetenzen sich zudem zwischen Landes- und Bundesrecht aufteilen, ermöglicht eine Nutzung der Hochtechnologielinse  nur in Ausnahmefällen. Das Gesetz bestimmt das Bundeskriminalamt (BKA) darüber auf Antrag zu entscheiden. Für Brunner kein Hindernis. Er hofft bereits zu Beginn des neuen Jagdjahres Anfang Mai eine Genehmigung zu erwirken.
Unstrittig ist, dass seit Jahren eine Wildschwein-Überpopulation Bayerns Natur stark zu schaffen macht. Für Bauernpräsident Walter Heidl war die Sachlage von Anfang an klar. Die Zulassung von Nachtzielgeräten in Problemgebieten sei unbedingt notwendig. Den Herren springt die SPD-Landtagsabgeordnete Ruth Müller zur Seite, die ein weiteres Argument einführt. Selbst bereits vom Wildwechsel zu Schaden gekommen, sieht sie im Einsatz der Nachtzielgeräte ein probates Mittel, den Wildschaden im Straßenverkehr zu reduzieren. Im Dezember forderte dann der Landtag die Staatsregierung auf, „die Möglichkeiten auszuschöpfen“, eine zulässige Verwendung von Nacht-sichttechnik „zur Bejagung von Schwarzwild zu erwirken“. Das ging einigen Mitgliedern der SPD nicht weit genug. Felix Hälbich, Pressesprecher der Landtags-SPD, ließ mitteilen, man würde die Anwendung der Nachtzieltechnik für alle Wildarten begrüßen, also auch bei der Jagd auf Rehwild und anderes Niederwild. Und damit nicht genug: An der polnisch-weißrussischen Grenze nach Litauen wütet die Afrikanische Schweinepest (ASP), eine besonders aggressive Form der europäischen Variante. Die bayerischen Landwirte fürchten schon um die heimische Schweinezucht und würden eine Aufrüstung der Jägerschaft gemäß dem Motto „Wehret den Anfängen“ gutheißen.

Unkalkulierbares Risiko in den falschen Händen

Das Nachtzielgerät, also der Wunderwuzzi im Kampf gegen die Plagen? Mitnichten, meinen ausgewiesene Kenner der Materie. „Andere waidmännische Maßnahmen bieten sich deutlich eher an,“ so Jürgen Vocke, Präsident des bayerisches Jagdverbandes. In Modellprojekten wurden bereits erfolgsversprechende Konzepte zum regionalen Schwarzwildmanagement vorgestellt. Rainer Grüter, Kreisjagdberater der Unteren Jagdbehörde und des Landratsamts Fürstenfeldbruck, berichtet über „eine Untersuchung in der Schweiz, die zeigt, dass durch Einsatz der Nachtzielgeräte weder der Wildschaden signifikant abgenommen hat, noch die Strecke besonders erhöht wurde“. Andere Pilotprojekte kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Auch geht aus veterinärmedizinischer Sicht von der ASP keine akute Gefahr aus. Und der Wildschaden im Straßenverkehr liefert laut Experten und Statistiken ebenfalls keine hinreichende Begründung für eine Ausnahmeregelung für Hightechwaffen.
„Überdies müsse man für eine geeignete Optik mindestens 8000 Euro ausgeben,“ erklärt Grüter. „Günstige Geräte sind einfach zu unscharf und damit durchaus eine Gefahr.“ Ferner stellen die Nachtzielgeräte wegen ihrer eindeutig paramilitärischen Ausrichtung eine besondere charakterliche Anforderung an den Besitzer. „Ein großes Manko ist sicher darüber hinaus, dass die Waffen schnell zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Bevölkerung werden können, zum Beispiel wenn sie, wenn auch unabsichtlich, in falsche Hände fallen.“ Alles in allem Grund genug, aus seiner Sicht auf die digitalen Helfer beim Ansitzen zu verzichten.
Ferdinand Freiherr von Wiedersperg-Leonrod, Schlossherr auf Schmiechen, sieht das ganz anders. Nicht weil er an eine höhere Abschussquote mit Hilfe der Hochrüstung glauben würde. Er, der vor Jahren durch einen Bauchschuss bei einem Jagdunfall nachhaltig verletzt wurde, erhofft sich im Zuge der Einführung von Nachtzielgeräten eine Legalisierung weiterer technologischer Errungenschaften, zum Beispiel des so genannten künstlichen Mondes. Damit könnte die Treffsicherheit erhöht werden. Und Fehlschüsse reduziert.
Nachtzielgeräte mögen vielleicht für einen Teil der Jägerschaft die Erfüllung der Sehnsucht nach dem Besitz der Freikugel sein, die nach der Jagdmythologie zur völligen Treffsicherheit befähigt. Das allerdings ging sich schon bei Carl Maria von Webers Freischütz nicht aus. Ein Großteil der Jägerschaft lehnt es ab, in der Öffentlichkeit als Technorambo wahrgenommen zu werden. Sie bauen auf „ihren Präsidenten Vocke“ als Garant für ein modernes Jagdverständnis mit Blick auf die Tradition. „Minister kommen und gehen, wir Jäger müssen es ausbaden,“ fasst Grüter das Problem zusammen. In der heutigen Zeit, wo man Natur anders wahrnehme, müsse man überlegen, ob dies das richtige Signal an die Allgemeinheit sei.
Soll man alles dürfen, was man kann? Waidmännische Jagd ist bisher Handarbeit, 15 bis 30 Stunden Ansitzen braucht es im Schnitt um eine Wildsau zu stellen. Digitale Jagd mag dem Zeitgeist entgegenkommen. Aber eine paramilitärische Aufrüstung in den Wäldern sollte wohlüberlegt sein. Dem Zukunftsjäger könnte es zunehmend weniger gelingen, glaubwürdige Naturkompetenz zu vermitteln. Und im nächsten Jahr zu Ostern gehen dann die Kinder mit RC-Drohne und GPS auf Nesterl-Suche. (Rebecca Koenig)

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