Annamaria Andretta leitet eine der ältesten Firmen der Münchner Großmarkthalle. Jeden Tag steht sie um zwei Uhr morgens auf, um frisches Obst und Gemüse zu verkaufen. Doch sie hat Angst: Der Markt ist baufällig und soll saniert werden. Doch wer wird das bezahlen?
Wenn Annamaria Andretta durch die vier Hallen des Münchner Großmarkts zu ihren Ständen geht, kann das dauern. Sie wird von allen Seiten gegrüßt, jeder will mit ihr Neuigkeiten austauschen. Die 64-Jährige steht zusammen mit ihrem Bruder einer der traditionsreichsten Händlerfamilien am Markt vor. Die Südfrüchtehandlung Andretta & Co war eine der ersten Firmen, die Anfang des letzten Jahrhunderts in den Münchner Großmarkt einzog. Andrettas Großvater sei es gewesen, der die Tomate in Deutschland hoffähig gemacht, erzählt Annamaria Andretta. Dann habe er ein kleines Handelsimperium aufgebaut, mit Filialen in ganz Deutschland.
Andrettas Opa machte die Tomate in Bayern hoffähig
Bereits als kleines Mädchen war Annamaria Andretta oft mit ihrem Vater auf dem Großmarkt. Und als sie später in Triest studierte, stand sie jeden Tag ihrer Semesterferien am Stand in München. Heute ist die promovierte Mikrobiologin stellvertretende Vorsitzende des Fruchthandelsverbands und Präsidentin der deutsch-italienischen Handelskammer.
Seit 1912 gibt es den Großmarkt in Sendling, heute ist er Europas drittgrößter Umschlagplatz für Lebensmittel. Morgens um fünf Uhr summt der Markt wie ein Bienenstock, es wird gefeilscht und geboten. Gabelstapler flitzen umher, kistenweise wird die Ware auf Sackkarren fortgeschafft.
Als der Handelsplatz mit seinen vier Markthallen vor hundert Jahren an der Thalkirchner Straße gebaut wurde, wurde das Obst und Gemüse noch ganz gemächlich auf Handkarren oder per Pferdefuhrwerk zu den Ständen transportiert. Heute biegt ein 40-Tonner nach dem anderen in das über 310 000 Quadratmeter große Gelände ein, schlängelt sich schwerfällig über das verwinkelte Terrain dieser kleinen Stadt in der Stadt.
Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass es knirscht im Gebälk der traditionsreichen Gemäuer. Doch das tut es gewaltig. Denn weil fast 99 Prozent der Lebensmittel mit LKWs angeliefert werden, rieselt unten, in den alten Lagerkellern, der Putz von den Decken, die mancherorts schon mit Stahlstützen stabilisiert werden müssen. Die Wände sind feucht, der Werkschutz ungenügend.
Passiert nichts, muss der Großmarkt 2014 aus Brandschutzgründen schließen. Diese Deadline ist der Stadt München seit dem Jahr 2008 bekannt, und die hat seit dem so manches Szenario, wie es mit dem Münchner Handelsplatz weitergehen soll, durchgespielt. Doch 2010 wurde entschieden: Der Großmarkt wird nicht etwa an den Stadtrand ausgelagert, sondern bleibt, wo er ist – mitten in der Stadt. Er soll im großen Stil saniert werden. Kostenpunkt: „im oberen zweistelligen Millionenbereich“, so Kommunalreferent Bernd Plank vage.
Geplant ist der Umzug der Obst- und Gemüsehändler in eine neugebaute Großmarkthalle im Osten des Areals an der Schäftlarnstraße. Drei der vier alten Hallen sollen abgerissen und neu errichtet werden. Dort sollen dann die Feinkosthändler einziehen, die derzeit auf dem Viehhof ihre Stände haben. Dieses Gelände wiederum will die Stadt verkaufen und damit einen Teil der Sanierungskosten hereinholen. Auf die Frage, ob man denn den anderen Teil schon beisammen habe, verweist Bernd Plank auf das Jahresende. Erst kommt das Nutzerbedarfsprogramm, dann die Kalkulation.
Die Händler sind verunsichert. Es geistern Zahlen von gewaltiger Unterdeckung durch die Öffentlichkeit. Dazu kommt die Sorge, man würde auch die Händler in die Pflicht nehmen. Und in der Tat: Bereits Anfang des Jahres hat die Stadt kräftig an der Mietschraube gedreht: Statt zehn Euro pro Quadratmeter für die Standfläche, müssen die Händler nun 13 Euro zahlen. Macht im Fall der Firma Andretta & Co rund 1000 Euro mehr im Monat.
Firmenchefin Andretta ist sauer, verweist auf die angespannte Situation am Markt: „Die Margen sind minimal, es herrscht ein gnadenloser Preiskampf unter den Händlern. Die Grenze ist erreicht.“ Im vergangenen Jahr erst brach in Folge der Ehec-Krise der Verkauf von Gurken um drei Viertel ein. Seither habe er sich nicht mehr richtig erholt, sagt Andretta. Trotzdem steht sie wie auch ihre Kollegen jeden Werktag spätestens um zwei Uhr in der Früh auf, um München und Umgebung mit frischen Lebensmitteln zu versorgen. Insgesamt 300 Import- und Großhandelsfirmen verkaufen auf dem Großmarkt Obst und Gemüse an Einzelhändler und Gastronomen. Im Jahr 2010 setzten sie 1,25 Milliarden Euro um. Etwa 3000 Menschen finden auf dem Markt Arbeit.
Doch viele Händler haben Angst, dass ihre Firmen nicht mehr überlebensfähig sein werden, sollte die aktuelle Erhöhung der Standmieten nicht die letzte gewesen sein. Und tatsächlich, ist der neue, moderne Markt erst fertig, soll es weitere Gebührenanpassungen geben, bestätigt Kommunalreferent Bernd Plank. Spätestens dann wird manch einer aufgeben müssen, fürchtetAndretta. „Wieso wurden keine Rückstellungen gebildet?“, fragt die Firmenchefin. „Dazu ist doch jeder Vermieter verpflichtet.“
Gnadenloser Preiskampf und steigende Mieten
„Das durfte die Stadt nicht“, kontert Plank. Das sei rechtlich erst seit 2007 möglich, als der Großmarkt in den kommunalen Eigenbetrieb Markthallen München umgewandelt wurde. Und seitdem seien zwei Millionen Euro an Rücklagen zusammen gekommen – ein kleiner Tropfen auf ziemlich heißem Stein.
In der Händlerschaft rumort es gewaltig – ausgerechnet zum 100. Geburtstag des Großmarkts, den das Münchener Stadtmuseum mit einer sehenswerten Ausstellung feiert. Die Händler wollen als wichtiger Garant der Nahversorgung im Raum München angemessene Wertschätzung bekommen. Denn ohne das Logistikzentrum blieben viele Regale der kleineren Einzelhändler und die Kantinenschüsseln in den Betrieben wohl leer.
Und so sehr die Anbieter auf dem Großmarkt in München miteinander konkurrieren – in ihrer Empörung sind sie sich einig. Andretta setzt auf Gespräche mit der Stadt. Und sie verweist dabei auch gerne auf das Beispiel Berlin. Dort wollten sich die Großhändler zu einer Genossenschaft zusammenschließen, um auf eigene Faust ein günstigeres Logistikzentrum außerhalb der Stadt aufzubauen. Und siehe da: Die Stadt lenkte plötzlich ein. (Gabi Peters)
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