Leben in Bayern

Ein Laden wie aus der Zeit gefallen: Seit fast 50 Jahren verkauft Johann Zimmermann in der Regensburger Altstadt seine kunstvollen, selbst gefertigten Schachbretter. (Foto: Jädicke)

17.12.2021

Tradition trifft Zeitgeist

Die Intarsienhandwerk ist über 3000 Jahre alt. In und um Regensburg aber sind die kunstvollen Einlegearbeiten noch immer gefragt – nicht nur für Schachbretter

Während bei Schachweltmeisterschaften wie in den vergangenen Wochen in Dubai die Emotionen der Spieler hitzig werden, sorgt in den Werkstätten der Intarsienkünstler das Fertigen der Spielbretter eher für meditative Entspannung. Bei Johann Zimmermann zum Beispiel. Er hat seinen Laden und seine Werkstatt in und um Regensburg.

Seit fast einem halben Jahrhundert verkauft Zimmermann handgefertigte Schachbretter aus der eigenen Werkstatt. Wer seinen Laden betritt, taucht ein in ein Geschäft, wie es es in Zeiten des Internethandels kaum mehr gibt. Ein Herr mit Gespür für feinen Zwirn empfängt dort die Kund*innen mit Auslagen, die einzig handgefertigte Schachbretter, Spieltische und Holzbilder präsentieren.

Zimmermann trägt Brille – weil sie ihn jünger aussehen lasse. Auf dem Kassiertisch liegt ein Gästebuch. „Für die Enkel, einmal.“ Auf einer Anrichte hat er Devotionalien der Vergangenheit aufgereiht. Das Brotzeitmesser des Vaters, das Gebetsbuch des Großvaters und das goldene Feuerzeug Ronson adonis, das er sich von seinen ersten Einnahmen gekauft hat. Der Schachladen in der Regensburger Tändlergasse hat auch in der Zeit der schnellen Bits und Bytes überlebt, so wie auch das Geduld erfordernde Intarsienhandwerk, dessen Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. Die Bezeichnung Intarsie geht auf das lateinische Wort „interserere“ zurück und bedeutet einlegen oder einschieben.

Bereits 1956, als Lehrling, verliebte sich Zimmermann in die hauchdünnen Holzfurniere, mit denen sich Ornamente und Bilder erschaffen lassen, die wie gemalt wirken. Eines seiner Werke schmückt sogar das Patentamt in München. Die Idee mit den Schachbrettern aber hatte seine spätere Frau. Ein einträgliches Geschäft. Denn auch wenn die feine Holzkunst ihre Blütezeit längst hinter sich hat, ist sie Kennern noch immer lieb und teuer. Zu seiner Kundschaft gehören denn auch eher Connaisseure als Millennials. Und doch stellt der traditionsbewusste Handwerker eine Trendwende fest. „Viele wollen wieder etwas Wertiges in der Hand halten“, sagt er.

Zimmermanns Hölzer kommen aus allen Teilen der Welt. Er bezieht sie in kleinen Mengen von ausgesuchten Händlern, mit denen er eine fast ebenso enge Beziehung pflegt wie mit seinem kleinen Laden in der Regensburger Altstadt. Die Werkstatt liegt vor den Toren der Donaustadt bei Beratzhausen. Einen Einblick in seine Alchemistenküche gewährt Zimmermann allerdings nicht.

Mehr Glück aber hat man bei dem jungen Wood-Art-Künstler Matthias Bodensteiner. Seit Anfang des Jahres hat der Kunstschreiner seine Werkstatt mit dem Namen Wuchsform in einem kleinen Gewerbegebiet in Hauzenberg bei Regensburg.
Ein Mann vieler Worte ist Bodensteiner nicht. Er hat sich hinter Brille, Maske und einer roten Tartan-Schiebermütze verschanzt. Mit konzentriertem Blick nimmt er zwei hauchdünne Holzbrettchen ins Visier. „0,6 Millimeter sind der Standard für diese Art der Intarsienkunst“, sagt er. 0,6 Millimeter dünne Holzblätter, mit feinstem Messerwerk aus einem Baumstamm geschnitten, der einst viele Hunderte Zentimeter umfasste. Das mache er nicht selber, sagt Bodensteiner. Die Furniere werden in großen Furnierwerken geschnitten, in unterschiedlichen Stärken. Manche sind bis zu 2,5 Millimeter stark. Andere noch stärker, wenn sie in der Tradition der Einlegeintarsie verarbeitet werden.

Schon im antiken Orient frästen und stemmten Holzkünstler Ornamente und Bilder in eine Holzträgerplatte. Etwa vier Millimeter tief. Anschließend legten sie diese Mulden mit verschiedenfarbigen Hölzern aus. Mit den edelsten, die Wald und Natur zu bieten hatten: Mahagoni, Palisander, Zebrano, Teak, Eiche. Aber auch viele Obsthölzer und bekannte Arten wie Zirbe, Fichte, Tanne oder Ahorn finden bis heute Verwendung.

Bodensteiners Spielbretter und Holzbilder entstehen in der Technik der Marketerie. Unterschiedliche Hölzchen fügt er zu einem Bild, Ornament oder Spielbrett zusammen und verleimt es am Ende mit einem Holzuntergrund. Die wichtigsten Werkzeuge von Bodensteiner: Winkelmaß, Lineal und Skalpell.

Aus Holz: Ein Online-Spiel holte er in die analoge Welt

Freilich gibt es heute vieles im Internet zu kaufen. Vorgefertigt auch mit den kleinteiligsten Mustern. Aber es ist ja gerade das Handwerk, das den 31-jährigen Schreinermeister und ehemaligen Philosophie- und Germanistikstudenten so fasziniert. 2013 hatte er sein Studium an den Nagel gehängt und die Ausbildung zum Schreiner begonnen. Seinen Meister machte er 2020 an der Meisterschule in Ebern. „Eine sehr gute Schule“, sagt er knapp und senkt wieder den Kopf über die Furniere aus Zwetschge und Augenahorn, eine elegante Mischung für das spätere Schachbrett.

Zug um Zug zieht Bodensteiner das Messer an der Schnittschiene entlang. Ein, zwei, drei oder auch vier Mal. Leicht angeschrägt, damit später nach dem Schleifen keine Fugen entstehen. Hat er zu wenig Druck, folgt die Klinge der Maserung. Drückt er zu stark, reißt das Holz. Man braucht Fingerspitzengefühl für die Fertigung von Intarsien und eine Liebe zur Präzision. „Holz ist ein lebendiger Stoff“, sagt Bodensteiner. Wenn er über dessen Beschaffenheit spricht, kommt auch er ins Plaudern. Man brauche eine Strategie, wie beim Schach, sagt er. Dann senkt Bodensteiner wieder den Blick.

Augenahorn, Zwetschge, dann wieder Ahorn: Streifen für Streifen setzt Bodensteiner das Brett mit einem feuchten Klebeband zusammen. Jetzt muss es schnell gehen. Anders als der Meister ist der Kleber wenig geduldig. Vorsichtig drückt er die Streifen mit einem Hölzchen fest. „Spannend ist der Augenblick, wenn man die Gegenseite, eigentlich die Originalseite, vom Klebeband befreit!“ Dann zeigt sich, wie sauber man gearbeitet hat. Diese Seite wird geschliffen und geölt. Fertig!

„Intarsienkunst ist fast wie Meditation“, sagt Bodensteiner. Aus der Zeit gefallen wirken seine Arbeiten dennoch nicht. Für einen Entwickler aus der Gaming-Szene hat er ein Spiel aus der digitalen Welt in die analoge geholt – und fünf kunstvolle Spielfelder in Intarsientechnik gefertigt. Denn auch wenn seine Handwerkskunst uralt ist: Der junge Künstler selbst ist ganz im Zeitgeist verwurzelt.
(Flora Jädicke)

Foto (Jädicke): Wood-Art-Künstler Matthias Bodensteiner sagt: „Intarsienkunst ist fast wie Meditation.“

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