Leben in Bayern

Einsatzleiter Klaus-Peter Bischof steht in der Leitstelle in Fulda. (Foto: Jörn Perske/dpa)

05.06.2019

Vom Inseldenken zum Teamwork

Im Notfall muss es schnell gehen. Wenn Feuerwehr oder Rettungsdienst alarmiert werden, spielen Ländergrenzen und Zuständigkeiten im Drei-Länder-Eck von Hessen, Bayern und Thüringen nur eine untergeordnete Rolle. Das zeigt sich bei einem Leitstellen-Besuch

Der Notruf trifft am Vormittag aus dem benachbarten Wartburgkreis in der Fuldaer Rettungsleitstelle ein. Ein Mann hat sich bei einem Treppensturz ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Nun kann jede Minute zählen, um dem Verunglückten rechtzeitig zu helfen. Doch die verfügbaren Rettungswagen in der Region würden länger brauchen, ganz gleich von welchem Ort sie entsandt werden. Deswegen alarmiert der erfahrene Einsatzleiter Klaus-Peter Bischof den am Klinikum Fulda stationierten Rettungshubschrauber. "Der braucht laut Computer nur acht Minuten bis zum Ziel", erklärt Bischof und verfolgt den Anflug auf einer Echtzeit-Karte am Monitor.

Bischofs Kollege, Leitstellen-Administrator Thomas Steinbrucker, sieht in den Einsätzen des Fuldaer Rettungshubschraubers ein "Musterbeispiel für grenzübergreifende Zusammenarbeit". Zwar wird bei Notfall- und Rettungseinsätzen natürlich viel auf kommunaler und Landes-Ebene organisiert und entschieden. Doch in der Not lösen sich starre Zuständigkeiten auf. Dann helfen sich Nachbarn aus Hessen, Bayern und Thüringen im Drei-Länder-Eck.

Gerade der ADAC-Rettungshubschrauber Christoph 28 ist in Windeseile in allen drei Ländern. Die meisten seiner Einsätze absolviert die Maschine in einem Umkreis von 70 Kilometern. In welche Regionen er damit vordringt, zeigt Leitstellen-Mitarbeiter Alexander Böhm mit einer Art Zirkel auf einer großen Landkarte an der Wand.

Vor allem in dünn besiedelten Regionen, in denen die nächsten Notarzt- und Feuerwehrwagen zum Teil weit entfernt stehen, sei es wichtig, dass die Retter sich als Teil eines Netzwerks verstehen. "Denn die Anfahrts- und Transportwege sind teilweise lang, vor allem in den ländlichen Gebieten", bestätigt Thomas Plappert, der stellvertretende Leiter des Rettungsdienstes im Landkreis Fulda. Der Landkreis grenzt im Süden an die bayerischen Landkreise Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld und im Osten an die Landkreise Schmalkalden-Meiningen und den Wartburgkreis in Thüringen.

Jedes Land kann bei Notfällen auch seine Stärken ausspielen

Länderübergreifende Zusammenarbeit ist ganz besonders bei großen Notfällen nötig. Als sich zum Beispiel im Oktober 2018 auf der Wasserkuppe, Hessens höchstem Berg in der Rhön, ein Flugzeugunglück mit drei Todesopfern ereignete, wurde Großalarm ausgelöst. Angesichts der Notlage eilten auch Retter aus dem bayerischen Bischofsheim mit ihren Fahrzeugen nach Gersfeld und hinauf auf den 950 Meter hohen Mittelgebirgsgipfel. Retter aus Thüringen konnten sich nicht beteiligen. "Die sind von uns aus gesehen strategisch nicht so gut stationiert. Die nächsten Notärzte befanden sich erst in Meiningen und Bad Salzungen", erklärte Plappert. Jedes Land kann bei Notfällen auch seine Stärken ausspielen. So leistet zum Beispiel auch die Bayerische Bergwacht Unterstützung, wenn es mal Unfälle, zum Beispiel mit Gleitschirmfliegern, gibt.

Um abwägen zu können, welche Einsätzekräfte mit welchen Fahrzeugen bei welchen Notfällen am besten helfen können, sind die Kapazitäten benachbarter Landkreise bereits in Fulda im Computer eingepflegt. So sehen die Leitstellen in Fulda und anderswo die Verfügbarkeiten und können bei den Länder-Nachbarn um Unterstützung bitten. Selbst in Bewegung setzen können sie sie aber nicht. "Früher herrschte viel mehr Inseldenken. Doch das verschwindet zunehmend. Es kann ja nicht sein, dass Brandschutz und Rettungseinsätze an Ländergrenzen aufhören. Deswegen wurde die Zusammenarbeit an vielen Orten intensiviert", erklärt der Fuldaer Kreisbrandinspektor Adrian Vogler.

Wie oft hessische Feuerwehrleute und Notfallhelfer pro Jahr in Bayern und Thüringen Hilfe leisten und umgekehrt - darüber liegen dem Innenministerium und dem Sozialministerium in Wiesbaden keine Statistiken vor. Auch das bayerische Innenministerium hat keine Statistiken über gegenseitige Einsätze.

Doch in den Leitstellen wird Buch geführt. Bei der Leitstelle in Fulda wurden im Jahr 2018 den Angaben zufolge 27 320 Einsätze im Bereich des Rettungsdienstes, des Brandschutzes und der allgemeinen Hilfe dokumentiert. Dabei wurden in etwa 740 Einsätzen fremde Rettungsfahrzeuge im Landkreis Fulda tätig. In 519 Fällen kamen Fahrzeuge aus dem Landkreis Fulda außerhalb zum Einsatz. In weiteren 506 Einsätzen wurde der Rettungshubschrauber Christoph 28 zu Einsätzen nach außerhalb alarmiert.

Auch in anderen Grenzlandkreisen sind oft Rettungskräfte aus dem Nachbarbundesland schneller vor Ort als die des eigenen Landes. Die Integrierte Leitstelle Bayerischer Untermain in Aschaffenburg beispielsweise sagt, dass etwa 1250 Mal pro Jahr Kollegen aus Hessen oder Baden-Württemberg in Bayern zur Hilfe kämen. Feuerwehren aus Hessen und Bayern übten teils sogar zusammen. Auch die an Thüringen angrenzende Leitstelle im bayerischen Coburg berichtet von grenzüberschreitender Koordination "mehrmals täglich".

Der Wartburgkreis hat im Jahr 2018 bei mehr als 500 Rettungsdienst-Einsätzen von der Unterstützung benachbarter hessischer Leitstellen profitiert. Nach Angaben des Landratsamtes in Bad Salzungen half etwa die Leitstelle Fulda in 145 Fällen, davon 44 Mal mit dem Rettungshubschrauber. Die Leitstelle Bad Hersfeld schickte Rettungs- oder Notarztwagen zu 284 Einsätzen, die Leitstelle Eschwege zu 98. Umgekehrt rückten Einsatzkräfte aus dem Wartburgkreis 234 Einsätzen in die hessische Nachbarschaft aus, zumeist in den Bereich Hersfeld (127). 75 Mal wurden sie von der Leitstelle Fulda angefordert, 32 Mal im Bereich Eschwege. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Notfall funktioniert im Drei-Länder-Eck.
(Jörn Perske, dpa)

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