Fasching ist die Zeit, zu der man sich unmöglich benehmen darf. Verrückt. Albern. Wo man wer anderes sein darf. Für den einen oder anderen mag sogar gelten: An Fasching ist man endlich mal ganz man selbst. Hier und da allerdings taucht neuerdings ein Problem auf: „Wokeness“ heißt es. Für „woke“ Menschen ist es zum Beispiel nicht mehr okay, ein Kind ins Indianerkostüm zu stecken. Aus Angst vor einem Shitstorm halten sich Faschingsvereine zum Teil auch mit Witz, Sarkasmus und Spott zurück.
Bislang war man an Fasching so frei, cum grano salis zu äußern, was bei Gesprächen im Alltag als „ignorant“ oder „frech“ empört abgelehnt würde. Man durfte lustvoll zuspitzen. Man durfte übertreiben. Man durfte sich verbale Extravaganzen leisten. Und dabei auch schon mal über die Stränge schlagen. Das Faschingspublikum verstand in der Regel, dass in dem, was da womöglich allzu pointiert daherkam, mindestens ein Gran Wahrheit lag. Und schätzte es, wenn auf skurril-karnevaleske Weise auf gern versteckte, wahre Kerne aufmerksam gemacht wurde. Dies scheint inzwischen nicht mehr ganz so unbeschwert möglich zu sein.
„Eine bunte Auszeit vom grauen Alltag“
„Der Fasching unterliegt, wie alle anderen Traditionen, einem gesellschaftlichen Wandel“, sagt dazu Elferrätin Beatrice Nawrath von der Münchner Gesellschaft „Narrhalla“. Dies sei zwar normal: „Es stellt die Akteure aber auch vor Herausforderungen.“ Karnevalsvereine müssen heute entscheiden, welchen Faschingsideen aus der eigenen Runde sie mit Blick auf Wokeness und Cancel Culture einen Riegel vorschieben wollen. Und was sie sich nicht nehmen lassen. „Bei uns im Münchner Fasching galt schon immer eine münchnerische Gelassenheit, und die gilt auch weiter“, sagt dazu Beatrice Nawrath. Grenzen seien dann erreicht, werden Äußerungen beleidigend oder geben sie Anlass, dass sich daran jemand „berechtigt“ stoßen könnte. Inhaltlich seien die Themen „Krieg“ und „Gewalt“ bei Narrhalla tabu.
Von Rigorismus ist man bei der Münchner Faschingsgesellschaft weit entfernt. Indianer- und Cowboykostüme zum Beispiel sind als „Ausdruck von Phantasie und Spiel“ willkommen. Für Beatrice Nawrath haben sie nichts mit „kultureller Aneignung“ zu tun: „Der Fasching soll eine bunte Auszeit vom grauen Alltag sein, da darf man sich in andere Rollen hineinträumen.“
Auch im oberfränkischen Reundorf bei Bamberg sind in diesem Jahr wieder Kinder als Indianer maskiert.
Dass deutschlandweit immer mehr Kitas Indianerkostüme verbieten, sorgt in der 800-Seelen-Gemeinde für Kopfschütteln, meint Klauß Fischer, Vorstand des Reundorfer Faschingsvereins „Die Maapiraten“: „Für uns spielen Wokeness und Cancel Culture keine Rolle.“ Indem man sich als Indianer, Cowboy oder Scheich verkleide, werde niemand provoziert oder diskriminiert. Im Fasching darf man die Maske fallen lassen. Und man darf auch mal sarkastisch sein, findet Fischer: „Solange der Sarkasmus nicht die Persönlichkeit eines anderen verletzt.“
Und doch ist auch für ihn alles nicht mehr ganz so einfach wie früher: „In diesen Zeiten, in denen die Gesellschaft droht, auseinanderzubrechen, sehe ich es als wichtig an, im Fasching einen guten Mittelweg zu finden.“ Im Übrigen beschäftige die Maapiraten im Augenblick die Personalnot weit mehr als das Problem der Wokeness. Immer weniger Menschen engagierten sich ehrenamtlich im Verein: „Weshalb wir Mühe haben, alle Veranstaltungen durchzuführen.“
„Wer mag, darf als Indianer gehen“
Dass man vielerorts inzwischen vorsichtiger mit karnevalistischer Uzerei ist, bestätigt Katrin Hesse, Leiterin des Deutschen Fastnachtmuseums im unterfränkischen Kitzingen. Darf ich das oder darf ich das nicht? Ist das übergriffig oder nicht? Solche Fragen tauchten öfter auf: „Man hat die Schere im Kopf und es ist schwer, einen Mittelweg zu finden, da eine gewisse Hysterie spürbar ist.“
Dabei sei Fasching seit dem Mittelalter das „Fest der anderen Welt“, bei dem die Dinge auf den Kopf gestellt werden und die Wahrheit ungestraft gesagt werden darf: „Das ist ein Wesenszug der Fastnacht.“ Vor allem der Narr durfte die Obrigkeit im Karneval in Späße verpackt mit der Wahrheit konfrontieren. Dennoch entscheidet sich so mancher Faschingsverein, lieber eine abgespeckte Version des ursprünglich vorgesehenen Programms zu präsentieren, um nicht anzuecken. So will man dem Vorwurf entgehen, über bestimmte Kostüme Stereotype zu transportieren. Doch Kostüme, so Katrin Hesse, seien in aller Regel stereotyp.
Die Museumsleiterin erinnert daran, dass es früher eine Zeit lang hochmodern gewesen sei, sich als Holländerin zu verkleiden. Natürlich hatte die karnevaleske „Frau Antje“ nicht das Geringste mit einer echten Holländerin zu tun. Ob man sich nun als mittelalterlicher Chevalier oder Indianer verkleidet, sollte jedem selbst überlassen bleiben: „Wer mag, darf als Indianer gehen.“ Ganz anders schaut es aus, wenn unsensibel zum Beispiel mit der Kolonialgeschichte umgegangen wird. Katrin Hesse erinnert an das belgische Stadtfest „Ducasse d’Ath“, das 2005 von der Unesco als immaterielles Welterbe aufgenommen worden war. Vor zwei Jahren wurde es wieder aus der Liste gestrichen. Stein des Anstoßes war ein „Wilder“, der beim Umzug in Gestalt eines Schwarzen in Ketten mitgeführt wurde. So etwas, betont Katrin Hesse, geht auf keinen Fall.
Das Thema Wokeness ist nicht erst seit Kurzem im Fokus. Darauf macht Peter Krawietz, Vizepräsident des Bund Deutscher Karneval, aufmerksam: „Seit ich selbst in den 1970er-Jahren in die Bütt steige, sprechen die erfahrenen Büttenredner und Zuggestalter von Tabus, die zu beachten seien.“ Krankheit und Tod, der Papst und der Bundespräsident seien früher tabu gewesen: „Darüber machte man sich nicht lustig.“ Auch war zu jener Zeit die Gefahr noch groß, grantige Sprüche zu kassieren, hätte man es gewagt, als Bischof oder Nonne verkleidet aus dem Haus zu gehen, so Peter Krawietz: „Und weibliche Prominente aus Pappmaschee zeigte man nicht nackt.“
Übereifer kann das Gegenteil bewirken
In den vergangenen 50 Jahren sei das Empfinden der Gesellschaft für Gebotenes und Abzulehnendes weiter geschärft worden. „Aber auch die Neigung zur Übertreibung und gelegentlich zur Hysterie aufseiten der Kritiker ist unübersehbar“, so Peter Krawietz. Er hat eine klare Haltung zu der Frage, was tabu sein sollte: Als schwarze Sklaven gewandet, gar noch in Ketten, durch die Straßen zu ziehen, sei rassistisch und dumm. Gleichzeitig lehnt es der Karnevalist ab, bei geringsten Kleinigkeiten wild mit der Rassismus-Keule um sich zu schlagen. Übereifer sei ein strategischer Fehler. Kann er doch das Gegenteil des Gewollten bewirken. (Pat Christ)
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