Die Nachricht, an Krebs erkrankt zu sein, trifft Menschen ins Mark. Zwar bedeutet es nicht zwingend, dass sie sterben müssen. Die Diagnose kommt aber für viele im ersten Augenblick einem Todesurteil gleich. Wie überbringt man Patienten und Angehörigen eine solche Nachricht? „Ehrlich sein“, antwortet der Onkologe Wolfgang Hiddemann, Professor am Klinikum der Universität München. Man dürfe den Menschen nichts vormachen. „Gleichzeitig ist es aber wichtig, Hoffnung zu vermitteln“, ergänzt er. Es gebe schließlich Möglichkeiten, Krebserkrankungen zu bekämpfen. Hiddemann sagt das seinen Patienten immer wieder. Denn oftmals schalten sie, sobald das Wort Krebs gefallen ist, ab – eine Art Schutzmechanismus der Seele, sagt er. „Man muss deswegen Geduld aufbringen und vieles nochmal erklären.“ Und manchmal Betroffenen auch die Hand halten. Denn natürlich kann Krebs nicht immer geheilt werden. Rund 200 000 Deutsche sterben jedes Jahr daran. Viele hinterlassen Ehepartner und Kinder.
Um Menschen mit mehr als nur Medizin zu unterstützen, hat Hiddemann für Patienten und Angehörige 1999 den Verein „lebensmut“ gegründet. Gemeinsam mit dem ehrenamtlichen Vorstand engagiert er sich für die psycho-onkologische Begleitung vor, während und nach einer Krebsbehandlung. Die Idee brachte Hiddemann aus Göttingen mit, wo er als Direktor der Universitätsabteilung für Hämatologie und Onkologie arbeitete. Als Hiddemann nach München kam, wollte er das Angebot auch in München etablieren und ausbauen. Ein wenig blauäugig sei das gewesen, sagt er rückblickend. Denn dafür braucht es Geld, und das muss erst einmal eingeworben werden. Doch dank Unterstützern wie zum Beispiel dem Zeitungsverleger Dirk Ippen konnte mit der Hilfe für Betroffene begonnen werden. Inzwischen sammelt lebensmut durch immer neue Unterstützer wie etwa den Arzt und Comedian Eckart von Hirschhausen rund eine Viertelmillion Euro pro Jahr ein.
Mit Kindern unbedingt über die Erkrankung sprechen
Die Spendengelder fließen in die Kontakt- und Informationsstelle von lebensmut und verschiedene gemeinsame Projekte mit der Psycho-Onkologie am Klinikum. Die Kontakt- und Informationsstelle dient als erste Anlaufstelle und hilft Betroffenen beim passenden Unterstützungskonzept. Dabei geht es nicht selten auch um finanzielle Fragen wegen des Verdienstausfalls nach der Krebsbehandlung. Seit 2002 wird jährlich ein Krebs-Informationstag zu den aktuellen Möglichkeiten der Krebsbehandlung organisiert. Die Familiensprechstunde bietet seit elf Jahren Beratung und Unterstützung für krebskranke Eltern bei der Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen an – am Campus Großhadern und am Campus Innenstadt. Viele Eltern möchten ihre Kinder schützen und vermeiden es daher, über die Krebserkrankung zu sprechen. „Das ist sehr verständlich, aber mit Blick auf die Kinder nicht der richtige Weg“, warnt Hiddemann. „Wenn Kinder nicht verstehen, warum sich ihr Alltag plötzlich so verändert, kann es passieren, dass sie sich zum Beispiel die Schuld an der Krankheit der Eltern geben.“ Insgesamt hat die Familiensprechstunde in den letzten elf Jahren mehr als 500 Familien und über 1000 Kinder unterstützt.
Oft finden Männer keine Worte für ihre Gefühle
Wie wichtig die Hilfe von lebensmut ist, zeigen die Erfahrungen von Patienten. Viele fühlen sich nach der Krebsdiagnose von der Familie isoliert. „Aber auch viele Freunde distanzieren sich“, berichtet Hiddemann. Hauptziel des Vereins ist daher nicht nur, den Patienten zu betrachten, sondern auch die Familie und Freunde im Blick zu haben. 2015 ist für junge Erwachsene zwischen 21 und 39 Jahren gemeinsam mit der Bayerischen Krebsgesellschaft noch „JUKK – Jung. Krebs. Kontakt.“ hinzugekommen. Das Netzwerk bietet frühzeitig den Austausch mit gleichaltrigen Betroffenen an. „FreiRaum“ wiederum ist ein offenes Angebot für Jugendliche von 13 bis 18 Jahren mit krebskranken Eltern.
Seit bald 20 Jahren unterstützt lebensmut die Kunst- und Atemtherapie in der Psycho-Onkologie. Das klingt zunächst sonderbar. „Das klassische Instrument der Onkologie ist das Gespräch“, erklärt Hiddemann. „Oft finden aber Männer keine Worte für ihre Gefühle.“ Durch die Atemtherapie lernen sie, den Körper zu spüren, Blockaden zu lösen und Gefühle zuzulassen. Bei der Kunsttherapie soll die Kreativität Unsichtbares sichtbar machen. Beim Bewegungsangebot „Draußen Aktiv“ überwinden die Patienten analog zur Krebsbehandlung unwegsame Strecken – sicher aufgehoben in der Gruppe.
Ganz neu ist das Projekt „KiA – Krebs im Alter“. „Da geht es nicht nur um psychologische, sondern auch um praktische Unterstützung“, erläutert Hiddemann. Beispielsweise, wie Senioren ihren Alltag alleine meistern können oder einen Reha-Antrag ausfüllen. Es soll nicht das letzte Projekt bleiben: „Wir versuchen weiter, Lücken bei der Unterstützung von Menschen mit einer Krebserkrankung zu finden und zu schließen.“
Der Umgang mit dem Tod belastet auch die Experten
Bei seiner Gründung war der Verein lebensmut noch einer der ersten Fördervereine für Psycho-Onkologie in Deutschland. 2004 wurde eine Dependance in Landshut aufgebaut. Ähnliche Vereine finden sich mit „Lebenswert“ inzwischen zum Beispiel in Köln. Mittlerweile ist das Angebot integraler Bestandteil des psycho-onkologischen Angebots am Klinikum. Um festzustellen, wer Hilfe benötigt, wird eine Belastungsskala genutzt. Dort kann jeder Patient ankreuzen, wie stark ihn die Krankheit belastet – psychisch, körperlich, aber auch sozial.
Selbst Hiddemann kann die gesammelten Erlebnisse mit Tod und Verlust nach Feierabend nicht einfach abschütteln und hat sich selber in psychotherapeutische Beratung begeben. Ein Patient ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. Ein bayerischer Wirtschaftsboss, Choleriker, der an einem Tumor erkrankt war. Hiddemann hat ihn ein Jahr lang begleitet. „Er hat eine Wandlung vom Manager zum Menschen durchgemacht“, erinnert er sich. Zum Schluss habe er Frieden mit seiner Krankheit geschlossen und sei friedlich zu Hause gestorben.
(David Lohmann)
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