Leben in Bayern

Wohin man sieht, entdeckt man auch Plastikmüll. Mehrere Initiativen in Bayern gehen dagegen vor. (Foto: dpa/Patrick Pleul)

26.07.2024

Wenn aus Plastikmüll Handyhüllen werden

Schulen, Unternehmen, Kirchengemeinden: An vielen Orten in Bayern haben sich Initiativen dem Umweltschutz verschrieben

Ein echter Yogi fühlt sich mit allem verbunden. Mit anderen Menschen. Mit Tieren. Mit der Natur. „Die Yogaphilosophie regt uns aber auch an, etwas zu verändern“, sagt Yogalehrerin Viola Ganal aus Lindau am Bodensee. Sie gehört zu jenen Unternehmer*innen im Gesundheitsbereich in Bayern, die etwas gegen die Plastikflut unternehmen möchten. In ihrem Studio gibt es nachhaltige Yogamatten. Und 40 Yogablöcke aus Kork.

Das Bewusstsein dafür, dass es nicht gut ist, die Welt zu vermüllen, wächst. Gleichzeitig wachsen allerdings auch immer noch die Plastikberge. Laut Naturschutzbund Deutschland produzieren wir übers Jahr gesehen bundesweit 6 Millionen Tonnen Plastikabfall. Die Zahlen decken sich in etwa mit jenen des Bundesumweltamts. Weltweit wurden 2022 laut Statista über 400 Millionen Tonnen Kunststoff erzeugt. So viel wie nie zuvor. Laut der Organisation „SeaHelp“ gelangen täglich etwa acht Millionen Plastikteile ins Meer – über 12,2 Millionen Tonnen in jedem Jahr. Die Zahlen wirken niederschlagend. Für die Aktiven selbst, egal, ob sie sich im kleinen eigenen Unternehmen oder in einer privaten Initiative engagieren, bleibt es das Wichtigste, nicht aufzugeben. Auch wenn sich die Sache nach Sisyphusarbeit anfühlt.

Vermeidung ist auch eine Strategie

Gerade für Viola Ganal käme ein Aufgeben nie infrage: „Eben weil ich als jemand, der Yoga praktiziert, weiß, dass alles mit allem verbunden ist.“ Wo immer es geht, versucht sie, natürliche Materialien zu verwenden. Etwa Yogagurte aus Baumwollstoffen. Oder mit Biohirse und Lavendelöl gefüllte Augenkissen zur Entspannung. Um Verpackungsmüll zu sparen, kauft die Yogalehrerin vorzugsweise auf dem Markt in Lindau ein.

In Unterfranken setzt sich Lea Wöhl für eine plastikfreiere Welt ein. Die Mittelschullehrerin mit dem fachlichen Schwerpunkt auf Biologie tut dies seit Jahresbeginn als Umweltreferentin in der Umweltstation KjG-Haus der Katholischen jungen Gemeinde in Schonungen bei Schweinfurt. Dort gibt es seit genau fünf Jahren das Programm „Plastikdetektive“. Sechs bis sieben Schulklassen werden damit jährlich erreicht.

Das Team ist jeweils einen ganzen Vormittag von 8 bis 13 Uhr vor Ort, um mit den Schüler*innen sinnlich zur komplexen Thematik zu arbeiten. Lea Wöhl selbst war zuletzt im Februar bei Würzburger Realschüler*innen der sechsten Klasse zu Gast. Die spielerische Reise in die Welt des Plastikmülls beginnt damit, dass sich die Kinder in Meereslebewesen verwandeln: Sie werden Fische, Quallen, Schildkröten oder Korallen. Als solche machen sie sich daran, beginnend mit Plankton, ein Nahrungsnetz aufzubauen. Zum Schluss entsteht ein komplexes Netz mit realen Seilen, auf das sich die Kinder sogar drauflegen können. Zumindest am Anfang.

„Doch dann passiert was“, erzählt Lea Wöhl. Zwei Schüler mutieren weiter. Sie werden von Plankton zu Mikroplastik: „Die Schülerinnen und Schüler erleben, dass das Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz hat.“ Nach diesem anschaulichen Einstieg gehen die Plastikdetektive daran, sich Faktenwissen anzueignen. Welche Alltagsgegenstände bestehen aus Plastik? Was passiert mit der Flasche, die ich in den Gelben Sack werfe? Warum ist Autoreifenabrieb im Moment so ein riesiges Thema? Und was heißt das, wenn Plastik im Gewässer landet?

„Wir schauen uns an, wie es zerfällt“, so die Umweltreferentin. Wichtig ist gerade bei solchen Themen, nicht beim Problematisieren stehen zu bleiben. In der letzten Projektstunde erfahren die Schüler*innen von möglichen Alternativen. Die Würzburger Realschüler zum Beispiel stellten ein mikroplastikfreies Peeling her. Diskutiert wurde währenddessen, inwieweit man eigentlich ganz alleine gegen die Plastikflut ankämpfen kann.

Das ist nur sehr beschränkt möglich. Vieles, so Lea Wöhl, lässt sich nur in der Gruppe erreichen. Es braucht aber auch die Politik und die Wirtschaft, um umzusteuern. Immer wieder werden die Kinder angeregt, zu diskutieren. Und zwar durchaus kritisch und kontrovers. Als Jugendverband fördert die KjG Partizipation. Kontroversen, so Lea Wöhl, seien grundsätzlich ermutigend: „Sie zeigen, dass sich da jemand wirklich mit dem Thema auseinandersetzt.“ Nach mehreren Schulbesuchen hat die Pädagogin das Gefühl, dass das Programm dazu beiträgt, bei Kindern ein Bewusstsein für die Problematik Plastik im Alltag zu wecken.

Es muss auch praktisch und bezahlbar sein

Wobei Lösungen nicht einfach sind. Ein Schüler zum Beispiel merkte im Februar an, dass es für seine Familie unmöglich sei, alles im Unverpackt-Laden einzukaufen. Abgesehen davon, dass man dort nicht alles bekommt: „Das ist für uns viel zu teuer.“ Lea Wöhl begrüßte diesen Beitrag. Denn ihr geht es ausdrücklich darum, die Lebensrealität der Kinder einzubeziehen. Das Beispiel, sagt sie, demonstriert wiederum, dass es letztlich einen systemischen Wandel braucht.

In der mittelfränkischen Kirchengemeinde Schwabach-Unterreichenbach setzt sich Gisela Greul vom Umweltteam „Grüner Gockel“ für diesen Wandel ein. Im März 2023 organisierte das Team die Aktion „Eine Woche ohne Plastik“. Täglich gab es Tipps und Denkanstöße zum Thema Plastikvermeidung. Müllsammelaktionen und ein Erzähltheater wurden organisiert. „Die ‚Gockelkids‘, unsere Jugendgruppe der Umweltarbeit, haben sich mit der Bildungskiste ‚Ohne Plastik!‘ von ‚Mission Eine Welt‘ auseinandergesetzt“, erzählt Gisela Greul. Andere Teenager drehten einen Youtube-Film über richtige Entsorgung.

Auch in Schwabach wurden schließlich ganz praktische Alternativen präsentiert. Dies war dadurch möglich, dass die Kirchengemeinde einen Töpferofen besitzt. An einem Abend erfuhren Neugierige, was man alles, statt aus Plastik, aus Ton herstellen kann. Außerdem wurden Papiertüten gebastelt und Kerzen für die Osternacht gegossen. „An einem Abend haben wir Einkaufstaschen genäht, sogenannte Boomerang-Bags, oder, wie wir sie nennen, Retourentaschen“, berichtet Gisela Greul. So eine Tasche ist öko. Denn sie besteht ausschließlich aus Stoffresten.

Bis heute werden jeden Monat Boomerang-Bags fabriziert und in verschiedenen Läden von Schwabach ausgelegt. Wer seine Einkaufstasche vergessen hat, muss dadurch nicht zur Plastiktüte greifen. „Das Thema Plastikvermeidung wird in unserer Gemeinde immer wieder kommuniziert“, versichert Gisela Greul. Das Engagement spiegelt sich auch in den Beschaffungsleitlinien wider. Bei Gemeindefesten wird darauf geachtet, Plastik zu vermeiden.

In Augsburg oder besser gesagt von Augsburg aus engagiert sich Dominik Karl gegen die Vermüllung mit Kunststoff. Dies tut er durch sein junges Unternehmen Oceanmata GmbH. Die Firma hat seit Anfang 2020 ein achtköpfiges Team in einem 1000-Seelen-Dorf auf Bali stationiert. An sechs Tagen in der Woche wird Müll, vor allem Plastikmüll, entlang eines 20 Kilometer langen Strandabschnitts gesammelt, erzählt der Firmengründer. Bis zu 300 Kilo Müll kommen jeden Tag zusammen.

Zigtausende Kilo weggeworfener Kunststoff wurden bisher vor Ort recycelt: Plastikflaschen, kleine Kunststoffverpackungen, Joghurtbecher, Plastikbeutel. Doch dabei belässt es Oceanmata nicht. „Um Plastikflaschen zu reduzieren, haben wir Schulen Filteranlagen gesponsert, sodass die Schüler einfach Leitungswasser trinken können“, erzählt Dominik Karl. Geplant ist, ein chemisches Recycling von Plastikmüll zu etablieren.

Durch das bisherige Verfahren entstehen Rezyklate, aus denen neue Kunststoffprodukte hergestellt werden können. Durch chemisches Recycling würde Pyrolyseöl gewonnen. Das könnte zur Produktion von Treibstoffen verwendet werden. Auch dadurch würde also ein Kreislauf generiert. „Bis wir so weit sind, wird es allerdings noch ein paar Jahre dauern“, so Dominik Karl.

Aus Abfällen werden Halsketten

Finanziert wird Oceanmata durch den Verkauf alternativer Waren. Hauptprodukt sind kompostierbare Handyhüllen. Pro Jahr werden rund 60.000 verkauft. Die Hüllen entstehen in Thailand. Das ist weit weg von Deutschland und weit weg von Bali. Allerdings fand das Team nur dort einen ganz bestimmten Biokunststoff aus Maisstärke, der nach Ansicht des Firmengründers am besten zur Herstellung der Handyhüllen taugt: „Der Transportweg ist natürlich nicht optimal.“ Kurz wurde darüber nachgedacht, ob es besser sei, den Rohstoff nach Deutschland zu transportieren und die Hüllen hier produzieren zu lassen. Doch Thailand scheint bisher die beste Möglichkeit zu sein.

Auch Schmuck aus Dingen, die das Sammelteam auf Bali am Strand fand, werden im deutschsprachigen Raum vertrieben. Die Halskette „Turtle“ etwa enthält recyceltes Ozeanglas. Ergänzt wird das kleine, feine Sortiment durch T-Shirts und Hoodies. Das T-Shirt „Wave of Change“ besteht vollständig aus fair produzierter Biobaumwolle. (Pat Christ)
 

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