Leben in Bayern

Das Projekt „Balu und Du“bringt Studierende und ihre Patenkinder zusammen. (Foto: BSZ)

31.05.2024

Wenn Mogli und Balu ein Tandem bilden

Seit 14 Jahren hilft ein Mentoringprogramm jedes Schuljahr Grundschulkindern, die es im Leben nicht einfach haben

Als Magdalena Seidel zum ersten Mal von „Balu und Du“ hörte, war sie sofort begeistert. Sie studiert Schulpsychologie und Grundschullehramt an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und weiß: „In jeder Klasse gibt es Kinder, die größere Herausforderungen haben als andere.“ Eines dieser Kinder ist jetzt ihr Mogli.

Beim Projekt „Balu und Du“ erhalten Grundschulkinder, die es auf irgendeine Art schwer im Leben haben, eine große Schwester oder einen großen Bruder an die Hand. Genannt werden Pat*innen und Kinder Balu und Mogli, wie die zwei Figuren aus dem Kinderklassiker Das Dschungelbuch. Die Balus treffen sich wöchentlich mit ihren Moglis und unterstützen sie beispielsweise mit gemeinsamen Unternehmungen in ihrem Entwicklungsprozess. 

Die Studentin Magdalena Seidel und ihr Patenkind gehen gemeinsam in den Zirkus, ins Kindertheater oder auf den Spielplatz. „Bei schlechtem Wetter häkeln wir beide gerne gemeinsam“, sagt Seidel und lacht. Besonders ans Herz gehen der 29-Jährigen die Momente, in denen sich ihr Mogli ihr gegenüber öffnet. Nicht selten kommen dabei eigene Kindheitserinnerungen hoch. Natürlich muss sie auch manchmal streng sein. Für solche Fälle stimmt sie sich aber immer eng mit den Eltern ab.

Auszeichnung bei Radio-Aktion

An allen Münchner Hochschulen unterstützen Studierende in der Regel einmal pro Woche am Nachmittag Jungs und Mädchen aus Grundschulen. „An fast allen Standorten ist das Projekt in den Lehrplan eingebunden“, erklärt Renate Graf von Balu und Du in München. Sie hat ebenfalls an der LMU studiert und das Projekt seit 2010 am Münchner Familienzentrum aufgebaut.

Für die Teilnahme gibt es oft ECTS-Punkte. An der LMU wird die Arbeit zum Beispiel auf Wunsch als Praxisprojekt für die Bereiche Pädagogik und Psychologie anerkannt. Man kann aber auch einfach so mitmachen. Das Projekt wurde jüngst bei der Bayern2-Aktion „Gutes Beispiel 2024“ auf den zweiten Platz gewählt.

Wer in den Grundschulklassen als Mogli ausgewählt wird, entscheiden die Lehrkräfte. „Meistens sind das die Kinder, um die sich die Lehrerin oder der Lehrer Sorgen macht“, erklärt Graf. Zum Beispiel weil sie in der Klassengemeinschaft nicht gut aufgenommen wurden, noch nicht so gut Deutsch sprechen, die Eltern wenig Geld haben und daher viel arbeiten müssen oder weil das Kind durch Scheidung oder Tod ein Elternteil verloren hat.

Manche Eltern fühlen sich nach der Wahl ihres Kindes zuerst auf den Schlips getreten. „Sie denken, dadurch soll ausgedrückt werden, dass sie sich nicht gut genug um ihr Kind kümmern“, berichtet Graf. Es gehe aber nur darum, dem Kind zusätzlich zum Elternhaus und der Schule Unterstützung und Inspiration durch eine weitere Bezugsperson anzubieten.

An der LMU hat die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Tanja Kretz-Bünese von der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz für Babys, Kinder, Jugendliche und (werdende) Eltern 2023 die Koordination für Balu und Du übernommen und veranstaltet in jedem neuen Schuljahr Infoabende für Interessierte. Die Resonanz war bislang riesig, die verbindlichen Anmeldungen hingegen rar. Kretz-Bünese verwundert das nicht. „Das Programm ist toll“, sagt sie. „Aber man muss sich eben auch für ein Jahr committen.“ Das heißt, die wöchentlichen Treffen können nicht einfach wegen Prüfungsphasen oder Praktika ausgesetzt werden. Magdalena Seidel hat beschlossen, dass es ihr die Zeit einfach wert ist.

Das Angebot gilt übrigens auch für Männer. An der Hochschule der Bundeswehr etwa sind immerhin 20 Prozent der Paten männlich. Wer sich verbindlich anmeldet, bekommt dafür viel zurück. „Allein schon der schöne Moment, als die Kinder bei der Einführungsveranstaltung mit den Eltern und Lehrkräften ihren Balus zum ersten Mal gegenüberstanden“, erinnert sich Kretz-Bünese. Anschließend konnten sie sich mit ein paar Frage-Antwort-Spielen besser kennenlernen. Ausgewählt werden die Tandems nach verschiedenen Kriterien wie Alter, persönlichen Merkmalen der Balus und ihren freien Zeitfenstern.

Das Projekt finanziert sich ausschließlich aus Spenden

Geld gibt es für die Patinnen und Paten nicht – zumindest nicht für ihre ehrenamtliche Tätigkeit. Für die Treffen mit den Moglis erhalten sie ein Taschengeld von 20 Euro im Monat, beispielsweise für den Eintritt ins Deutsche Museum oder die Boulderhalle. Finanziert wird das ausschließlich aus Spendengeldern. „Es müssen aber nicht immer nur Unternehmungen mit Action und Eintritt sein“, erklärt Kretz-Bünese. Genauso gut kann es ein Spielplatz oder die Stadtbibliothek sein. So lässt sich das Geld etwa für einen größeren Ausflug sparen.

Wenn es beim Treffen zwischen Balu und Mogli mal zum Konflikt kommt, ist das laut Kretz-Bünese ganz normal. „Sie haben genau dieselben Herausforderungen wie die Eltern“, erklärt sie. Manche Kinder müssten dauernd motiviert werden, andere testeten ständig ihre Grenzen aus. Um den Umgang damit zu lernen, werden spezielle Begleitseminare und regelmäßige Begleittreffen für die Patinnen und Paten angeboten. Ernsthafte Probleme gab es zwischen den Moglis und Balus an der LMU aber noch nicht. „Unsere Studierenden sind vom Fach“, sagt Kretz-Bünese und lacht.

Gleiches berichtet die Münchner Projektleiterin Graf: „99 Prozent der Fälle in München verlaufen reibungslos.“ Manchmal stimme aber einfach die Chemie nicht. Und in ganz seltenen Fällen müssten die Tandems etwa wegen Unzuverlässigkeit oder falschen Erwartungen aufgelöst werden. Schulische Nachhilfe ist beispielsweise nicht vorgesehen.

Prägend in Erinnerung geblieben sind Graf in den vergangenen 14 Jahren vor allem die vielen schönen Geschichten. Beispielsweise eine, bei der sich ein Tandem wahnsinnig gut verstanden hat. Allerdings brach der Kontakt nach mehreren Umzügen und einem kaputten Handy irgendwann ab. Doch sechs Jahre später hatte der mittlerweile 15-jährige Mogli extremen Liebeskummer – und die Mutter konnte nicht helfen. „Jetzt bräuchte ich meinen Balu“, meinte er.

In einer beispiellosen Aktion machte ihn Renate Graf wieder ausfindig – und dieser reiste sofort zu seinem Mogli. „Solche Geschichten“, sagt die Balu-und-Du-Leiterin, „zeigen mir immer wieder, was für eine wichtige Stelle die Balus im Herzen der Kinder einnehmen.“ (David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Elektroautos bayernweit kostenlos parken dürfen?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.