Ob in amerikanischen Straßenpollern, bayerischen Steinbrüchen oder Kirschbäumen am Bodensee: Zutaten für Farben findet David Kremer auch an ungewöhnlichen Orten. "Man weiß bei der Suche nicht, was einen morgen erwartet", sagt der 38-Jährige. "Man fährt dann einfach in ein Gebiet, spricht mit den Leuten und sucht einen Farbton." Drei Monate im Jahr ist Kremer damit beschäftigt, schließlich verdient er mit der Jagd nach neuen Farben seinen Lebensunterhalt: Kremers Farbmühle im 2700-Einwohner-Dorf Aichstetten verkauft Farbpigmente an Museen, Künstler und Restauratoren.
Der Louvre in Paris, das Getty Museum in Los Angeles und der Vatikan - sie alle gehören zu den Kunden der Mühle im Allgäu. "Die Farbmühle Kremer ist weltweit einzigartig", sagt die Sprecherin des Verbands der Restauratoren (VDR) in Deutschland, Patricia Brozio. "Sie stellen alte Pigmente selbst her, die es in der Form nur selten gibt."
In der bunt bemalten Getreidemühle aus dem 17. Jahrhundert werden die unterschiedlichsten Materialien aus aller Welt mit Mühlsteinen, Öfen und Sieben zu Pigmenten verarbeitet: Lapislazuli aus Afghanistan, Indigopflanzen aus Indien, aber auch Ocker aus Amberg in der Oberpfalz. "Die traditionelle Ocker-Gewinnung war dort vor Jahrzehnten eingeschlafen", sagt Kremer. "Wir haben beim Rückflug aus New York im Landeanflug auf München aber Gruben entdeckt, aus denen wir jetzt Amberger Rot und Gelb produzieren können."
Rohstoffe fehlen, Farben werden teurer
Gerade in Zeiten von Corona sind solche lokalen Quellen laut Kremer besonders wichtig. "Die Rohstoffverknappung in der Pandemie ist eine reine Katastrophe", sagt Kremer. "Es gibt Produkte, vor allem aus Asien und den USA, die sind von heute auf morgen 40 Prozent teurer geworden." Gleichzeitig sei die Nachfrage in der Pandemie gestiegen: "Wir hatten 30 bis 40 Prozent mehr Kunden-Anfragen." Als sich dann im Herbst auch noch ein Teil der gut 40 Mitarbeiter in der Farbmühle mit Corona ansteckte, halfen Kremers Frau und Kinder im Versand aus.
Von ähnlichen Problemen berichten auch andere Hersteller von Künstlerfarben. Zwar habe die Nachfrage vor allem von Endkunden wie Hobbykünstlern in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres wieder angezogen, teilt die Firma Schmincke Künstlerfarben mit Sitz im nordrhein-westfälischen Erkrath mit. "Verschärft haben sich hingegen die logistischen Herausforderungen." Es seien weniger Rohstoffe verfügbar, die Lieferung dauere länger, die Preise stiegen.
"Der Zuwachs an Projekten während der Pandemie kam vor allem von Museen und privater Seite", sagt VDR-Sprecherin Brozio. "Viele Leute konnten nicht reisen und haben deshalb ihre Objekte vom Dachboden zur Restaurierung gegeben." Bei staatlichen Trägern seien dagegen viele Projekte verschoben worden, weil Besprechungen mit Restauratoren vor Ort wegen des Verbots von Dienstreisen nicht möglich waren.
Ein Gramm Pigment aus 10.000 Pupurschnecken kostet 2000 Euro
Traditionell hergestellte Farben würden aber längst nicht bei jedem alten Bild eingesetzt, sagt Brozio. "Bei Restaurierungen verwenden wir meist reversible Materialien." Die Farben müssten bei der nächsten Erneuerung des Bildes wieder abnehmbar sein, ohne das Original zu beschädigen. Bei Orgelhüllen oder Altären nutze man dagegen öfter Originalfarben, sagt Brozio. Es gebe aber auch viele Künstler, denen es einfach darum gehe, für ihre Werke "etwas besonders Wertvolles zu verwenden".
Ein Gramm aus etwa 10 000 Purpurschnecken gewonnenen Farbpigmenten kostet in der Farbmühle laut Kremer 2000 Euro. Beliebt seien in den vergangenen Jahren aber vor allem Neontöne gewesen. "Es ist ein bisschen "back to the 90s"", sagt Kremer. "Aber das ist alles reine Chemie."
Mehr Freude bereiten ihm die Reisen auf der Suche nach natürlichen Farbstoffen - wie ein zweiwöchiger Trip nach Island, von dem Kremer dank guten Kontakten zu einem Bürgermeister vor Ort drei Erdpigmente in Rot, Gelb und Grün mitbrachte. In Aichstetten wird das Material so klein gemahlen, dass das menschliche Auge die einzelnen Körner nicht mehr unterscheiden kann, die Farben aber umso reiner werden.
Auf der Suche nach historischen Abbauorten recherchiert Kremer in wissenschaftlichen Arbeiten, alten Büchern und Kneipen vor Ort. Aber auch Kundenwünsche werden erfüllt - zum Beispiel der eines Schweizer Künstlers, Pigmente aus Geldscheinen herzustellen. Für David Kremer ist die von seinem Vater gegründete Firma deshalb immer noch ein Abenteuer: "Für mich ist der Platz hier seit Kindesbeinen genial."
(Frederick Mersi, dpa)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!