In seiner Freizeit taucht Stefan Will in sein Spielzeugreich eine Etage tiefer ab. Dort füllen seine Playmobil-Welten eine ganze Wohnung im mittelfränkischen Heroldsberg. „Ich mag das Detailverliebte. Mich hat das schon immer begeistert“, sagt er und zeigt stolz die Mittelalterstadt mit Fachwerkhäusern, Schmiede, Kirche und Wehrtürmen, die er wie ein Diorama in einem Regal aufgebaut hat. Dabei ist Will 53 Jahre alt und schon längst aus dem Spielzeugalter raus – müsste man zumindest meinen. Doch es gibt noch viele andere Erwachsene, die sich immer noch oder wieder für Spielzeug interessieren.
Mit ihnen hat Will auch beruflich zu tun. Er ist Geschäftsführer von Ultra Comix in Nürnberg, einem Laden, der neben Comics auch jede Menge Spielzeug für Erwachsene verkauft: Actionfiguren wie Masters of the Universe, elektronische Star-Wars-Helme, Herr-der-Ringe-Sammelfiguren, Spielzeugsets zu kultigen Filmen und Serien wie A-Team oder James Bond sowie Miniaturenspiele, wo erst die Fantasy- oder Science-Fiction-Modelle angemalt und dann auf dem Spielfeld zum Leben erweckt werden.
95 Prozent der Kundinnen und Kunden in dem Laden seien Erwachsene oder Teenager, sagt Will. „Diesen Kundenkreis bedienen wir schon lange.“ Darunter seien Menschen, die Entschleunigung suchten oder eine Auszeit vom Alltag. Bei den Actionfiguren gehe es auch oft um Nostalgie. „Was wir gut verkaufen, sind die Figuren, die die Erwachsenen in ihrer Kindheit lieb gewonnen haben“, erläutert Will.
Erwachsene, die zum Beispiel für Videospiele schwärmen oder Spielzeug sammeln, gibt es schon länger. Kidults – eine Wortschöpfung aus kid (Kind) und adults (Erwachsene) – nennen Fachleute diese Gruppe. „Das ist eine Entwicklung, die wir seit zehn, 15 Jahren sehen“, sagt der Trendexperte Toan Nguyen, Geschäftsführer der Agentur Jung von Matt Nerd. Diese habe nun aber eine neue Schubkraft bekommen.
Spielwarenmesse rückt die Kidults in den Vordergrund
Auch die weltgrößte Spielwarenmesse in Nürnberg sieht die spielenden Erwachsenen als einen wichtigen Trend und rückt Produkte für diese deshalb bei ihrer nächsten Ausgabe Anfang 2024 in den Vordergrund. „Kidults stellen aufgrund ihrer Kaufkraft für den Handel eine umsatzstarke Zielgruppe dar“, sagt Christian Ulrich, Vorstandssprecher der Spielwarenmesse. Allein in den USA seien diese für etwa 25 Prozent des Spielwarenumsatzes verantwortlich, rund 9 Milliarden Dollar pro Jahr. In Japan und Südkorea gebe es bereits Geschäfte, die sich auf Kidults-Produkte konzentrierten. Auch hierzulande könnten seiner Ansicht nach vermehrt solche Läden und Handelsplattformen entstehen.
„Erwachsenenspielzeug ist ein wichtiger Bereich geworden“, bestätigt auch Ulrich Brobeil vom Deutschen Verband der Spielwarenindustrie in Nürnberg. „Dementsprechend stellen sich alle Hersteller darauf ein.“
Dies sei eine gute Gelegenheit, neue Märkte zu erschließen, meint der Münchner Marktforscher Axel Dammler. „Im Kindermarkt kämpfen sehr viele Spielzeughersteller um die Gunst des Kindes. Produkte, die Erwachsene abholen, können außerdem ganz andere Preise abrufen.“
Ein Beispiel dafür sind Bausteinhersteller wie Lego. Dammler selbst baut in seiner Freizeit gerne komplexe Sets aus vielen Tausend Steinen auf. In seinem Keller stehen eine Titanic und mehrere Prinzessinenschlösser, sagt er. Manche Sets baue er aber nur auf und verkaufe sie dann wieder. Bis zu einige Hundert Euro kann so ein Set kosten. Kinder sind hier auch gar nicht die Zielgruppe. Bei Lego gibt es seit einiger Zeit Sets, die extra für Baumeisterinnen und Baumeister ab 18 Jahren ausgezeichnet sind. Man stelle eine wachsende Anzahl erwachsener Fans fest, „für die wir, an ihren Interessenbedürfnissen orientiert, Produkte anbieten“, teilte die Lego-Gruppe mit. Wie viel diese zum Umsatz beitragen, konnte der dänische Spielwarenkonzern nicht sagen. Im Fokus stünden jedoch nach wie vor Kinder und deren Bedürfnisse.
Doch was treibt erwachsene Spielzeugfans an? Trendexperte Nguyen hat drei verschiedene Typen identifiziert: Da gebe es die Nostalgiker. Das seien Erwachsene, die sich das Spielzeug von damals wieder kauften – und möglicherweise auch noch das, was sie sich als Kind gewünscht haben, aber nicht leisten konnten.
Dazu gehört auch Stefan Will. Als er Vater wurde, kamen bei ihm die Playmobil-Erinnerungen wieder hoch. Mit seinem Sohn hat er die Welten aufgebaut, mit den Figuren Rollenspiele gespielt und historische Schlachten nachgestellt. „Er hat mir als Kind oft vorgeworfen, dass ich mehr Playmobil habe als er“, sagt Will mit einem Grinsen. Der Sohn wurde älter, bei Will ließ die Leidenschaft nicht nach. Im vergangenen Jahr sei sein Sohn aus der Wohnung im Erdgeschoss seines Hauses ausgezogen – und die Playmobil-Sammlung dafür ein, sagt Will.
Der zweite Typ der spielenden Erwachsenen seien die Superfans, sagt Nguyen. „Das sind Menschen, die haben nie aufgehört zu sammeln.“ Im Laufe der Jahre sei eine Sammlung dann mit dem Alter und dem steigenden Einkommen kräftig weitergewachsen.
Für Reiche ein neues Statussymbol
Der letzte Typ ist laut Nguyen die Avantgarde. Dazu zählten etwa der US-Rapper Travis Scott und andere Prominente, die mit einem von Cartoons inspirierten klobigen roten Stiefel einen Hype auslösten. „Spielzeug wird zum Statussymbol. Man zeigt nicht nur, dass man Geld hat, sondern auch Geschmack“, sagt Nguyen.
Früher habe man auf Uhren und Sneaker geguckt, jetzt übernehme Spielzeug die Rolle. Auch Nguyen hat sein Büro mit Spielzeug dekoriert. Teilweise lasse er dieses aus Hongkong oder den USA kommen, sagt er. „Das ist fast schon eher Kunst.“ Und wie bei Kunst kann auch Spielzeug eine Wertanlage sein.
Das gilt etwa für seltene Sammelkarten von Magic, Yu-Gi-Oh! oder Pokémon. „Wir erleben gerade eine Renaissance der Sammelkartenspiele“, sagt Will. Es gebe Plattformen, wo diese gehandelt würden, und Agenturen, die den Zustand bewerteten. „Manche Karten werden von Spekulanten gekauft, weil die einen sechsstelligen Geldbetrag wert sind.“ (Irena Güttel, dpa)
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