Leben in Bayern

Fast wie im amerikanischen Westen des Jahres 1860. Dabei befindet sich der Verein, in dem Rainer Funke Mitglied ist, in München. (Foto: Jädicke)

04.10.2024

Wildwest an der Isar

Der Cowboy Club München blickt auf eine 111-jährige Geschichte zurück – zum Schnapszahljubiläum kam sogar der Ministerpräsident vorbei

Es ist frisch an diesem Morgen. Rainer Funke, Schriftführer und neuerdings auch Pressesprecher des Cowboy Club München e. V. (CCM), empfängt einen im maßgeschneiderten Anzug eines angesehenen Bürgers aus dem amerikanischen Westen um 1860. „Alles selbst entworfen, nach historischen Schnittmustern“, erklärt er. Ein paar Ungenauigkeiten, ja, die gebe es, räumt er ein. Gut, aber man wolle ja auch nicht kleinlich sein. Es ist ja bei aller Geschichtstreue auch immer noch ein Hobby. Wenn Funke nicht gerade im Jahr 1860 unterwegs ist, arbeitet er für einen großen bayerischen Autohersteller.

Vor 111 Jahren kam der Wilde Westen an die Isar. Buffalo Bills Abenteuer im Kopf und ein paar Lotterielose in den Händen, gründete eine Handvoll Männer im April 1913 den CCM. Das Vereinsleben sollte sie auf das Leben im fernen Amerika vorbereiten. Bis heute hat der Traum vom Cowboyleben nichts von seiner Magie verloren. Sogar Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schaute zum Jubiläum vorbei. Den stilechten Cowboyhut bekam Söder vor Ort. Die Liebe zum Western hatte er im Gepäck. 

In Deutschlands ältestem Westernclub unter den Buchen und Eichen an der Floßlände im Süden von München herrscht geradezu andächtige Stille an diesem Morgen. Nur zwei übermütige Wallache necken sich auf der Pferdekoppel. Ein wenig Nebel wabert über dem kleinen See vor dem Eingangstor. Wenige Meter entfernt liefert die Isar die passende Hintergrundmusik für die Westernkulisse.

Etwas Romantisierung gehört dazu 

„Gestern Abend hatten wir hier eine große Veranstaltung“, sagt Funke. Hier zwischen Old Trade Post, nachgestellten Siedlerhütten, Tipis und originalgetreuem „Longhorn Saloon“ pflegt man eine Art „Weltflucht für Fortgeschrittene“. Die blüht und gedeiht heute so prächtig wie vor 111 Jahren. Nur historisch sattelfest muss sie sein. Darauf legt man großen Wert im CCM. Es geht um „Living History“, betont Funke. Geschichte bewahren, indem man sie lebt. Natürlich bleibe eine gewisse Romantisierung dabei nicht aus und bekannte Stereotype ließen sich oft auch nicht verhindern. Das trifft vor allem auf die sogenannten Reenactments zu, das Nachstellen historischer Ereignisse, etwa die Kämpfe und Schlachten mit den Native Americans. 

Ein Grund, warum es bislang keine Zusammenarbeit etwa zwischen dem Amerikahaus in München oder dem Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) in Nürnberg gibt, vermutet Funke. „Wir sind denen womöglich nicht ernsthaft genug.“ Sichtlich stolz ist man aber auf die Zusammenarbeit mit Film und Fernsehen und auch der experimentellen Archäologie. Manchmal suchen sie nur Laiendarsteller*innen für ihre Projekte. Häufig nutzen Forschende aber auch das Archiv des CCM und das Wissen, das seine Mitglieder über ein Jahrhundert aus vielen Quellen zusammengetragen haben.

In der Clubchronik finden sich unter anderen die Briefe des 1929 in die Staaten ausgewanderten Indianerchefs „Thunderbird“, bürgerlich Josef Wieland, dem der Verein die ersten Informationen über das wirkliche Leben in Amerika verdankt. Stolz ist man auch auf den Umstand, dass die amerikanische Militärregierung die Hobby-Cowboys schon 1945 tatkräftig unterstützte. 

Die waren von dem Stückchen Amerika in Münchner Süden ganz angetan, erzählt Funke. Jedes Mitglied wählt die Epoche oder Figur, die es verkörpert, selber. Siedler, Soldat oder Lakota-Krieger, Mexikaner, Schreiner, Saloontänzerin, Büffeljäger, Trapper oder, wie Funke bevorzugt, den Bürger und Sheriff. Entscheidend für den Zugang zur Geschichte ist die historische Kleidung. „Das Kostüm ist deshalb Pflicht für aktive Mitglieder“, so Funke. Als Fred Sommer, der Vater des AZ-Kolumnisten Sigi Sommer, dessen Bruder Hermann und Martin Fromberger sich Sprache, Bräuche und Sitten aneigneten, hatten sie ein handfestes Ziel: Auswandern! Zum Vereinsleben gehörte daher von Anfang an das Handwerk, die Herstellung von traditioneller Kleidung, Schmuck und Werkzeugen. Als der erhoffte Lotteriegewinn ausblieb und der Erste Weltkrieg den Traum zunichtemachte, holten sie den Wilden Westen kurzerhand an die Isar. 

Seither pflegen die Mitglieder indianische Tänze und den traditionellen Square Dance. Es gibt Ausritte, Schützentreffen mit historischen Waffen, Näh- und Kochkurse. Und natürlich Saloonabende mit Musik und Kartenspiel. Fast wie in einem bayerischen Wirtshaus.

Laut Markus Söder seien „ Bayern und Cowboys eng verbunden“. Es gebe diverse Parallelen: „Selbstständig und so, sich nicht unterdrücken lassen von Berlin“, sagt er beim Pressetermin zum Jubiläum. Der Ministerpräsident hat die Einladung der Isar-Cowboys nur zu gerne angenommen. „Wir Bayern sind natürlich sowieso freiheitsliebend. Deswegen ist das mit Berlin und den Preußen immer so ein bisschen eine Herausforderung. Auch mit Frankfurt.“ Dafür kann er sich mit Karl Mays Old Shatterhand besonders leicht anfreunden, weil der im Unterschied zu Winnetou überlebt habe, so Söder. Der Club dankt Söder denn auch dafür, dass er sich gegen „das woke Zeug“ und für das Recht einsetze, sich noch als Cowboy und Indianer verkleiden zu können – was freilich auch niemandem verboten ist.

„Indianertümelei“ hilft der Wahrnehmung

Man begegne dem Thema mit Respekt, erklärt Vorstand Gerhard Lack immer wieder gegenüber Medien. „Rassismus hat bei uns nichts zu suchen.“ Wer sich im Verein engagiert, braucht historisches Wissen. Lack selbst hält Vorträge zur Indianistik. Ein Teil des Saloons beherbergt zudem ein beachtliches kleines Museum mit originalen Artefakten. 

Was die Native Americans von all dem halten, erklärt der emeritierte Professor für Amerikanistik, Hartmut Lutz. In einem Interview mit National Geographic spricht er über das Stereotyp des Indianers und indigene Reaktionen auf deutsche Indianertümelei. Den Deutschen attestiert er darin eine „manische Beziehung zu den Native Americans. Aber das Bild ist viel differenzierter, als ich es erwartet hätte.“ Das bestätigt er gegenüber der Staatszeitung. „Das Indianerspielen und die Tipi-Dörfer werden vorwiegend mit Befremden betrachtet“, so Lutz. „Indigene sagen aber auch, dass die Indianertümelei die Menschen dazu bringt, Indigene überhaupt wahrzunehmen. Dadurch können sie Wissen über sich nach Deutschland bringen, das dann – über diesen Umweg – wieder zurück nach Nordamerika gelangen kann.“

Inzwischen hat die niederbayerische Kulturreferentin und Ethnologin Cindy Drexl den Münchner Cowboys ihre Dissertation gewidmet und unter dem Titel „Faszination Wilder Westen – Living History im Kosmos des Cowboy Clubs München“ veröffentlicht.

Und Söder hat nicht ganz unrecht mit der Verbindung von Cowboys und Bayern. Die Geburtsstätte des Wildwestmythos in Deutschland liegt auch auf der Theresienwiese. William Frederick Cody alias Buffalo Bill gilt als der Mann, der mit seiner Show Buffalo Bill’s Wild West die Indianer- und Cowboyeuphorie nach Deutschland brachte. Am 19. April 1890 startete auf der Theresienwiese seine Deutschland-Tournee mit Wildwest-Shows. Und auf dem Oktoberfest wurde bereits in den 1930er-Jahren „Exotisches“ in den Völkerschauen präsentiert.

Auf der Theresienwiese fing 1890 alles an

Inzwischen haben sich Oktoberfestbesucher*innen einer anderen „Tümelei“ hingegeben. Auch hier geht es um spezielle Kleidung. Aber anders als man vermuten mag, sind Dirndl und Lederhose keineswegs historisch authentisch. Man könnte die vermeintliche Bayerntracht eher als geschickten Marketinggag der Wittelsbacher verstehen. König Max II. hatte mit der Fantasiekleidung per Erlass eher das Nationalgefühl und die Einheit der Bayern betonen wollen. Kleider machen Leute. Und so geht es beim Verkleiden immer auch um Identität. Das Leben der Cowboys jedenfalls war in der Realität karg, hart und entbehrungsreich – und weit entfernt von Karl Mays Vorstellung. (Flora Jädicke)
 

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