Leben in Bayern

In Deggendorf holte die AfD bei der Bundestagswahl 19,2 Prozent der Stimmen – es war ihr bestes Wahlergebnis in Westdeutschland. (Foto: dpa)

03.11.2017

"Wir haben auch die Republikaner kleingekriegt"

In Niederbayern, der Herzkammer der Schwarzen, machte jeder sechste Wähler sein Kreuz bei der AfD – die dortige CSU bläst nun zum Gegenangriff

Ob im Vereinsheim des niederbayerischen Dorfs Haibach oder in der Innenstadt von Deggendorf: Seit der Bundestagswahl stehen die CSUler der Region unter Schock. Ihr schwarzes Idyll wurde von einem politischen Erdbeben erschüttert. Sie fragen sich, was so viele Wähler in die Arme der AfD trieb. War es wirklich nur Merkels Flüchtlingspolitik? Ein Besuch in der Region. Im Vereinsheim der „lustigen Hofbergler“ im niederbayerischen Haibach ist die Welt für Alois Rainer noch in Ordnung. Kreuze hängen an den Wänden, Bierkrüge stehen in den Regalen, eine große Vereinsfahne hängt an der Wand. Dutzende Mitglieder des Trachtenvereins, viele in Lederhosen oder Dirndl, sind zur Jahresversammlung gekommen – als der Pfarrer, der örtliche CSU-Bürgermeister und Alois Rainer, der seit 2013 für die CSU im Bundestag sitzt, vorgestellt werden, applaudieren sie.

Viel ist an diesem Abend im Bayerischen Wald von „Heimat“ die Rede. Warum Bayern etwa bei den Trachten besser sei als andere Länder. Redner danken für das Kuchenbacken beim Kinderfasching, loben die funktionierende Dorfgemeinschaft. Und man lobt die örtlichen CSU-Würdenträger, die die Renovierung des Vereinsheims im Gemeinderat des 2100-Einwohner-Örtchens durchgeboxt hätten. Der sichtlich zufriedene Rainer freut sich: „Alle im Raum sind entweder in der CSU oder parteilos, AfD hat von den Anwesenden sicher keiner gewählt.“

„Er ist eben einer von uns“, betont ein älterer Mann. Mit dem langen grauen Bart, der Lederhose und dem Trachtenhut könnte er die Rolle des Parade-Bayern in einem Heimatfilm spielen. Der Rentner heißt Franz Rainer, ist mit dem Bundestagsabgeordneten nicht verwandt und vor Jahren aus der CSU ausgetreten. Seinen Namensvetter hat er dennoch gewählt. „Der kümmert sich um die Menschen hier“, sagt der Haibacher, der Ehrenvorsitzender des Trachtenvereins ist.

Knapp zwei Drittel der Haibacher gaben ihre Stimme dem Christsozialen Rainer, dessen Vater schon CSU-Abgeordneter war und dessen Familie im Ort seit Jahrzehnten eine Metzgerei samt Gasthaus betreibt. Der Fleischermeister, der auch an diesem Abend versichert, er stehe „treu zur Tracht und treu zum Dialekt“, erhielt im Wahlkreis von rund jedem Zweiten das Vertrauen – das ist das beste Direktergebnis aller niederbayerischen Abgeordneten.

Bis heute durchdringt die CSU vielerorts in Bayern weite Teile der Lebenswelten – von der Freiwilligen Feuerwehr bis zum Sportverein. Aber das ist offenbar keine Herrschaftsgarantie mehr. Auf das stark ländliche Niederbayern war bislang allerdings weitgehend Verlass. Doch bei den Bundestagswahlen wurde das schwarze Idyll von einem politischen Erdbeben erschüttert. Um 15 Prozent auf 40,9 Prozent stürzten die Christsozialen ab. Die AfD konnte ihren Zweitstimmen-Anteil auf 16,7 Prozent mehr als vervierfachen. In mehreren Gemeinden im Bayerischen Wald wählte sogar mehr als jeder Vierte die in Teilen völkische Partei.

Problem Niedrigrenten: Mit 81 Jahren noch Taxi fahren

In Rainers Wahlkreis Straubing-Bogen fuhr die AfD 18,4 Prozent der Zweitstimmen ein, im benachbarten Wahlkreis Deggendorf waren es sogar 19,2 Prozent – nirgendwo anders in Westdeutschland konnten die Rechtspopulisten so viele Stimmen erzielen. „Ich war geschockt, dass die AfD mit ihrer Hetze bei uns so gut abschnitt“, sagt Trachtler Franz Rainer. Politiker Alois Rainer hatte die Niederlage dagegen nach den Gesprächen im Straßenwahlkampf schon kommen sehen. „Aber, dass es so heftig kommt, war auch mir nicht klar“, sagt der 52-jährige Experte für Haushaltspolitik.

Doch was trieb viele Ostbayern in die Arme der Rechten? Fehlende Jobs kommen als Ursache kaum infrage. Die Arbeitslosigkeit ist in Niederbayern und der Oberpfalz mit unter drei Prozent niedrig, im Landkreis Straubing-Bogen herrscht mit einer Quote von 2,1 Prozent sogar de facto Vollbeschäftigung. Der parteinahe Politik-Professor Heinrich Oberreuter sagt: „Besonders häufig wählten Menschen AfD, die unmittelbar vom Zustrom der Flüchtlinge betroffen waren, etwa, weil sie an der Grenze oder in der Nähe von Aufnahmelagern leben.“

„CSU wählen, heißt Merkel wählen“, mit solchen Slogans machten AfD-Anhänger Wahlkampf. Auch CSU-Mann Rainer analysiert: „Die Wähler haben Angela Merkels Flüchtlingspolitik abgestraft – uns gelang es nicht, mit unseren Erfolgen bei der Eindämmung der Zuwanderung, etwa durch die Aussetzung des Familiennachzugs, durchzudringen.“

Rainer vermisste in der Bundespolitik „eine klare Kante der Union“: Die Menschen seien hier nun einmal „weit konservativer“ als anderswo. Vier von fünf Niederbayern leben noch immer dort, wo sie geboren sind. Die Einführung der Homo-Ehe hätte „nicht von Unions-Seite kommen dürfen“ –  auch habe man zu wenig im Bereich der inneren Sicherheit punkten können. Meldungen über brutale Gewalt- oder Sexualstraftaten hätten der AfD den Wahlkampf erleichtert, weiß Rainer.

Hinzu kamen bei manchen Wählern Abstiegsängste. Das Gefühl, abgehängt zu sein, spielte in einer Region, in der vielerorts am Wochenende kein Bus fährt und die nächste Klinik oft weit ist, eine Rolle. Die Rentendebatte zum Ende des Wahlkampfs habe der AfD ebenfalls genutzt, berichten ostbayerische CSU-Abgeordnete. Fakt ist: Im Jahr 2013 war laut einer Bertelsmann-Studie jeder Siebte über 65 Jahren im reichen Bayern von Altersarmut bedroht, nur im Saarland und Rheinland-Pfalz war der Anteil höher. Der Bayerische Wald ist besonders betroffen – dort gab es noch vor einigen Jahrzehnten kaum Jobs in der Industrie. Vor allem Frauen, die – wenn überhaupt – als Saisonkräfte in Tourismus und Landwirtschaft arbeiteten, leiden unter Niedrigrenten. So bekommen Ruheständlerinnen in manchen ostbayerischen Landkreisen laut DGB im Durchschnitt weniger als 500 Euro Rente.

Ein 81-jähriger Straubinger Taxifahrer sagt, er müsse noch arbeiten, weil die Renten von ihm und seiner kranken Frau nicht zum Leben reichen. „Nicht wenige hier hatten das Gefühl, für die Flüchtlinge wird viel getan und für uns nichts“, klagt er. Vielen seien auch schlicht zu viele Zuwanderer nach Ostbayern gekommen. Dabei ist die Zahl der Flüchtlinge Rainer zufolge in der Region gar nicht mehr höher als anderswo: Zudem habe die Integration vielerorts gut funktioniert. „Aber das ist bei den Leuten nicht angekommen. Ebenso wie unsere Erfolge in der Sozialpolitik – wie etwa die Mütterrente.“

Auch im teils von waldigen Hügeln umgebenen Deggendorf wollen viele die „Erfolge“ der CSU nicht sehen. Im innerstädtischen Wahllokal St. Martin, das nicht weit vom Bahnhof und einer Erstaufnahmeeinrichtung entfernt liegt, wählte fast ein Drittel der Bewohner AfD.

Es ist Sonntagabend, der Gottesdienst in der Kirche St. Martin ist gerade zu Ende gegangen. Der 79-jährige Gottfried Stoiber schleppt eine Kirchenfahne ins Auto. Seit vielen Jahren sei er CSU-Mitglied, auch diesmal habe er sein Kreuz bei der Liste 1 gemacht. Doch Seehofer und die Parteioberen hätten „den Menschen diesmal nicht zugehört“. Der 1988 verstorbene Ex-Ministerpräsident Franz Josef Strauß hätte sich in Berlin durchgesetzt und „die massenhafte Zuwanderung verhindert“, ist der Rentner überzeugt.

Er habe nichts gegen Flüchtlinge, aber es müsse gerecht zugehen: „Ein Asylant bekommt über 1000 Euro und meine Frau gerade einmal 127 Euro Rente.“ Dass Bayern bei den Sozialleistungen für Zuwanderer während des Asylverfahrens als besonders knausrig gilt und in Aufnahmeeinrichtungen stark auf Sachleistungen setzt, wissen die wenigsten.

Benjamin Probst weiß um die Vorurteile vieler Menschen im Viertel. „Da gibt es viele Missverständnisse. Die Leute glauben, dass die alles kriegen – dabei bekommen die Flüchtlinge gar nicht viel“, sagt der 19-jährige Deggendorfer, der als Sicherheitsmann in einem Flüchtlingsheim in einer Nachbarstadt angestellt ist.

Sowohl in dem Heim, in dem er arbeite, als auch in der Deggendorfer Flüchtlingsunterkunft gebe es seines Wissens keine größeren Probleme, sagt Probst. Er kenne jedoch selbst einen AfD-Wähler sehr gut. Das Bild vom Flüchtling, der Ärger mache, bekomme „man kaum aus den Köpfen“, sagt der junge Mann.

Sind die Menschen im Bayerischen Wald anfälliger für rechte Demagogen als anderswo in Westdeutschland? Vor fast drei Jahrzehnten noch hatten die Republikaner in Deggendorf mit Hass-Tiraden gegen die „Asylantenflut“ Wirtshäuser gefüllt. Doch eine braune Historie gibt es in der Region nicht. So bescherten die Waldler, wie die Bewohner des Bayerischen Walds auch genannt werden, der NSDAP noch bis 1933 herbe Wahlenttäuschungen.

Für den Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CSU), der sein Büro nicht weit entfernt von der Sankt-Martins-Kirche hat, ist klar: Das Vertrauen in den Rechtsstaat sei während der Flüchtlingskrise 2015 und Anfang 2016 „ins Wanken geraten“. Es gab Wochen, in denen Zehntausende über die Grenze kamen – die Verwaltung war überfordert. „Das ist das, was den Leuten bis heute in den Köpfen geblieben ist“, so Bernreiter.

„Den Bauern erklären, dass AfD Hilfen streichen will“

CSU-Mann Rainer hält höchstens ein Drittel der niederbayerischen AfD-Wähler für rechtsradikal. Allen anderen müsse man besser aufzeigen, „wofür die CSU steht“. Vor allem müsse man die AfD bei anderen Themen als der Flüchtlingspolitik stellen. „Den Bauern müssen wir erklären, dass die AfD für die Streichung ihrer Hilfen steht.“ Bei der Rente und vielen wichtigen Themen habe die AfD „keine Lösungen anzubieten“.

CSU-Politiker Rainer ist optimistisch, dass seine Partei die AfD bei der Landtagswahl 2018 in die Schranken weisen werde. „Wir haben vor Jahren schon die Republikaner kleingekriegt.“ Das schafften die Christsozialen auch mit der AfD. „Wir werden Niederbayern wieder zur Herzkammer unserer Partei machen.“ (Tobias Lill)

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