Alexander von Schoeler können Wind und Nieselregen an diesem wechselhaften Tag nichts anhaben. Dem 76-Jährigen ist es wichtig, auf die Einzigartigkeit seiner Heimat hinzuweisen. Mit wehendem Haar steht er auf einem in den See ragenden Steg und sagt: „Der Schliersee ist einer der schönsten Plätze Oberbayerns.“ Er blickt zunächst auf eine unbebaute Seeseite. Dort erstreckt sich ein grünes Band aus Wäldern und Wiesen. Klares Wasser, Almwanderungen und Blick auf die Berge sind für Tourist*innen aus vielen Ländern Grund genug, in die Marktgemeinde zu reisen. Schoeler ist hier aufgewachsen und vor einem Jahr vom Tegernsee zurück in die alte Heimat gezogen. Der Rechtsanwalt deutet in Richtung der Ortschaft: Bis auf den Kirchturm ragt kein Gebäude wirklich heraus, teils ist das Ufer unbebaut. Die meisten Gebäude fügen sich in das Ortsbild ein.
Doch aus Sicht Schoelers und anderer Schlierseer*innen ist das Postkartenidyll in Gefahr. Grund sind die Neubaupläne des Schlierseer Hofs, des wohl traditionsreichsten Hotels in der Gemeinde. Die Betreiber wollten am selben Ort „ein Megahotel errichten“, schimpft Schoeler. Das Luxushotel soll den Bauplänen zufolge mehr als 110 statt der bisherigen 46 Zimmer im vorhandenen Gebäude haben. Das sei „zu viel“. Für ihn ist klar: „Das rund 90 Meter lange und knapp 24 Meter hohe Gebäude wäre zu groß und zu wuchtig.“
Zwar hat sich die große Mehrheit des Schlierseer Gemeinderats hinter das Neubauprojekt gestellt. Doch eine Bürgerinitiative, deren Sprecher Schoeler ist, sprach sich für eine viel kleinere Variante aus – und das mit Erfolg. Anfang Mai stimmte die Bevölkerung in einem Bürgerentscheid über die Betreiberpläne ab. Über 2100 waren dafür, dass beim geplanten Neubau die jetzige Größe der Bebauung nicht wesentlich überschritten werden soll – nur knapp 1700 stimmten für die Pläne des Hoteliers.
Die Angst der Einheimischen ist groß
Nicht nur am Schliersee prallten in Bayern zuletzt touristisches Wachstum und die Angst mancher Einheimischen vor einer aus deren Sicht drohenden Verschandelung aufeinander. Am Chiemsee macht eine Bürgerinitiative gegen einen geplanten Neubau in Seebruck mobil. Das neue Hotel soll mehr als doppelt so viele Gäste beherbergen und deutlich luxuriöser werden, um das ganze Jahr über lukrativ zu sein. In Oberstaufen im Allgäu plant die Marriott-Kette ein Luxushotel mit 160 Zimmern und einem 37 Meter hohen Turm. Bewohnende des Ortes hatten protestiert und erreichten, dass der ursprünglich fünf Stockwerke höher geplante Turm deutlich niedriger wird.
Der Eichstätter Tourismusprofessor Harald Pechlaner sagt: „Die Proteste gegen große Hotels nehmen zu.“ Die Bevölkerung sei „sensibler geworden für den Erhalt der eigenen Heimat“. Auch Thomas Geppert beobachtet seit einigen Jahren vermehrt Proteste gegen Neu- oder Ausbauten von Hotels in Bayern – gerade im Luxussegment. Der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) ist überzeugt: „Keine Neuerungen bedeuten einen Innovationsstillstand. Die Alpen und die schöne Landschaft reichen als Standortfaktor nicht aus.“ Wenn man mithalten wolle mit anderen Destinationen, müsse man „auch etwas bieten“.
„Der Trend geht zu mehr Luxus – auch in Bayern“, bestätigt Marco Gardini, Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Kempten. Die Häuser würden „größer, höher, extravaganter und nobler gebaut“. Ebenso wie sein Kollege Pechlaner und der Dehoga beobachtet auch er gerade auf dem Land eine Verschiebung des Marktes hin zu größeren Hotels. Eine wichtige Ursache hierfür ist Pechlaner zufolge, „dass viele kleinere familiengeführte Herbergsbetriebe dichtmachen“. Diese würden häufig keinen Nachfolger finden, beklagt Dehoga-Mann Geppert. Pechlaner beobachtet „im alpinen Raum den Trend zum Ganzjahrestourismus“. Natürlich sei es „deshalb sinnvoll, wenn Hotels verstärkt auf Wellness setzen“. Auch Geppert sieht großen Investitionsbedarf, um auch für die Nebensaison attraktiver zu werden. Doch es könne „schwierig werden, die für diesen Wandel nötigen Investoren zu finden, wenn die Betreiberfamilien oder Investoren damit rechnen müssen, am Ende Millionen für Planungen in den Sand zu setzen“.
Betreiber hat schon Millionen Euro investiert
Für den Chef des Schlierseer Hofs, Marcel de Alwis, war das Bürgerbegehren ein schwerer Schlag: „Wir haben immer klar kommuniziert, dass die Fragestellung des Bürgerbegehrens die Neubaupläne des Hotels komplett beenden würde“, sagt er. „Viele meinten, dass wir nur pokern wollten und am Ende doch kleiner bauen – aber dies wird leider nicht passieren.“ Millionen Euro hat seine Familie in die Baupläne investiert, sich immer wieder Zeit für Präsentationen genommen. De Alwis beklagt, „dass von den Gegnern vor allem negative Stimmung gemacht wurde“. „Ginge es uns nur um die Rendite, hätten wir das Hotel einfach verkaufen können“, sagt der 25-Jährige. Früher gehörte der Schlierseer Hof bei Prominenten zu den angesagtesten Urlaubszielen: Der verstorbene Bond-Bösewicht Curd Jürgens residierte hier gern und feierte 1955 am Seeufer eine seiner fünf Hochzeiten. „Aber das Hotel ist in die Jahre gekommen und leider nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagt de Alwis.
Seine Familie hat das Traditionshaus vor 18 Jahren gekauft. De Alwis zeigt das Hotelaußengelände: Am Rande der Badewiese stehen ein paar Barhocker, der Pool ist noch geschlossen. „Wir müssen den Gästen auch etwas bieten, wenn das Wetter zum Baden und für Wanderungen noch zu schlecht ist“, sagt er und deutet auf den Rasen und einen Parkplatz. Eine Wellnessoase samt Pools, zwei Restaurants und Ayurveda-Räumen sollen dort entstehen – „zugänglich auch für die Einwohner Schliersees“, wie de Alwis betont.
Schliersee sei kein klassischer Skiort. Gerade in der Nebensaison zwischen Ende Oktober und Mitte April sei der Ort für viele Gäste „uninteressant“. Mitunter sind in seinem Haus dann nur ein paar Betten belegt. Selbst in der zweiten Osterferienwoche habe die Auslastung nur bei 20 Prozent gelegen.
De Alwis zeigte Interessierten zuletzt gern Fotos von anderen Luxushotels – auch von einem Unterwasserzimmer in Dubai. „Die Menschen können überall hinfliegen“, sagt er. „Doch auch ein, zwei Autostunden entfernt gibt es in Österreich zahlreiche extravagante Hotels.“ Seine Präsentation enthält etwa ein Bild eines zur Sauna umgebauten Wohnwagens, der über dem Hoteldach thront – direkt neben einem beheizten Infinity-Pool. „Wir wollen kein Dubai oder Kitzbühel sein.“ Aber dies sei eben der Markt, „mit dem wir konkurrieren“.
Ursprüngliche Pläne einer künstlichen Insel im See sowie einer Verdreifachung der Zimmerzahl hat er längst aufgegeben, spricht von „Fehlern“, die man zu Beginn gemacht habe. De Alwis betont, der Neubau solle auf einer zum Großteil bereits asphaltierten Fläche hochgezogen werden: „Das ist nachhaltig.“ Mehrfach war er Kritikern entgegengekommen – etwa bei Höhe und Zimmerzahl. „Doch bei weniger als den jetzt geplanten 112 Zimmern spielen die Banken nicht mit.“ Eine anfangs geplante Sanierung komme nicht infrage, da diese sogar noch teurer sei. Noch kurz vor dem Bürgerentscheid drohte er: „Wenn wir den Bürgerentscheid verlieren, müssen wir aufgeben.“ Gut möglich, dass Schliersee bald einen jungen Unternehmer verliert.
Auch anderswo im Freistaat scheiterten in den vergangenen Jahren mehrfach Hotelprojekte an Protesten. In Lechbruck am See im Ostallgäu stimmten die Einwohner*innen 2021 gegen den Neubau eines Viersternehotels. Im wenige Kilometer vom Märchenschloss Neuschwanstein entfernten Füssen zog 2019 ein Investor seinen Plan für ein Fünfsternehotel am Forggensee aufgrund des Widerstands zurück. Ein großes deutsches Fremdenverkehrsprojekt wurde 2021 durch einen Bürgerentscheid in der mittelfränkischen 1600 Einwohner großen Gemeinde Pfofeld zu Fall gebracht: ein Center Parc am Brombachsee. Mehrere Hundert Millionen Euro wollte der gleichnamige Touristikkonzern im Fränkischen Seenland für ein riesiges Urlaubsdorf investieren.
Experte Pechlaner sagt: „Der Erfolg des Tourismus ist immer auch der Feind des Tourismus.“ 2019 hatte die Zahl der Übernachtungen in Bayern mit fast 101 Millionen einen neuen Rekord erreicht. 2004 lag der Wert noch bei 69,4 Millionen – ein Plus von gut 45 Prozent in nur 15 Jahren. Zwar brachen die Buchungszahlen in der Folge aufgrund der Corona-Pandemie ein. Im vergangenen Jahr kletterte die Zahl der Übernachtungen aber erneut auf 100,3 Millionen. Pechlaner geht davon aus, dass die Zahl der Touristen, die nach Bayern strömen, „weiter wachsen wird“. Er fordert daher: „Man muss die Urlaubswelt besser mit den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung in Einklang bringen.“ Er verweist etwa auf die steigende Verkehrsbelastung.
„Der Erfolg des Tourismus ist immer auch sein Feind“
Auch am Schliersee wurde nicht nur über das Landschaftsbild gestritten. Dort fürchteten manche ein Anwachsen der Blechlawinen, die schon heute das Tal am Wochenende überrollen. Die geplanten 95 Parkplätze in der Tiefgarage seien viel zu wenig für 112 Zimmer und 270 Restaurantplätze, meint Schoeler. Und irgendwo müssten auch die 110 Beschäftigten parken.
Der Betreiber hält die Zahl der Parkplätze für ausreichend. Der Stellplatzschlüssel sei vorgegeben. Und Bahnreisende bekämen günstigere Zimmer. Hotelier de Alwis musste sich zuletzt viel rechtfertigen. „Dabei will ich ja nur Geld in meine Heimat investieren.“ Während Gegner*innen des Projekts argumentierten, das Riesenhotel würde dem Ort nicht nutzen, weil die Gäste nur im Hotel blieben, geht er davon aus, dass Läden und Handwerk vor Ort von einem großen Hotel profitiert hätten. Er versprach, die Produkte regional zu bestellen.
Mehrere Hunderttausend Euro an Steuern und Kurtaxe sollte das Hotel jährlich in Schliersees Haushalt spülen. Geld, das die Gemeinde wegen fehlender Mittel für den kommunalen Wohnungsbau oder die Sanierung von Straßen nach Ansicht von Kritiker*innen dringend gebraucht hätte. Doch vielen Schlierseer*innen reichte das am Ende nicht. (Tobias Lill)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!