Leben in Bayern

Messdiener sitzen während eines morgendlichen Gottesdienstes im Dom zu Fulda. Immer weniger Menschen sind Mitglied in der katholischen Kirche. 2022 könnte zu einem neuen negativen Rekordjahr werden. (Foto: dpa/Sebastian Gollnow)

26.12.2022

Zahl der Kirchenaustritte schnellt weiter in die Höhe

Für das Jahr 2021 meldete die katholische Kirche in Deutschland einen Negativrekord. So viele Katholiken wie noch nie kehrten ihrer Kirche den Rücken. Zahlen aus bayerischen Städten legen nun nahe: 2022 wird wohl noch desaströser ausfallen

Seit Jahresbeginn sind offenbar deutlich mehr Menschen in Bayern aus der Kirche ausgetreten als in den Jahren zuvor. Das legt eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter den fünf größten Städten im Freistaat nahe. Zehntausende kehrten der Kirche demnach den Rücken. Damit droht ein neuer Negativrekord. Dabei hatten 2021 schon 100 872 Katholiken allein im Freistaat ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Bundesweit waren es 359 338 – so viele wie noch nie.

Doch es wird wohl noch schlimmer für die Kirchen: Allein die Stadt München verzeichnete bis zum 15. Dezember 2022 insgesamt 26 008 Kirchenaustritte, wie ein Sprecher des Kreisverwaltungsrates mitteilte. Das sind knapp 4000 mehr als im gesamten Vorjahr. Die jeweilige Konfession wurde dabei nicht erfasst.

Ein Grund dafür dürfte aber auch das Ende Januar vorgestellte Gutachten zu Missbrauchsfällen in der katholischen Erzdiözese München und Freising sein, das weltweit Schlagzeilen machte. Denn besonders zu Jahresbeginn waren die Zahlen in die Höhe geschnellt.

In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, waren pro Arbeitstag in München etwa 80 Menschen aus der Kirche ausgetreten; nach dem 20. Januar, dem Tag der Vorstellung des Gutachtens, waren es dann zeitweise bis zu 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag – also etwa doppelt so viele.

Die Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) hatte am 20. Januar ein Gutachten im Auftrag des Erzbistums München und Freising vorgestellt. Die Gutachter gehen von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern, zugleich aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus – und davon, dass Münchner Erzbischöfe – darunter auch der spätere Papst Benedikt XVI. – sich im Umgang damit falsch verhalten hätten.

Mehr als 4000 Austritte allein in Augsburg

Die Stadt Augsburg meldete 4251 Austritte bis Mitte Dezember – rund 1300 mehr als im ganzen Jahr 2021. In Regensburg, wo der Benedikt als Joseph Ratzinger einst an der Uni lehrte, lag die Zahl mit 3445 Austritten ebenfalls deutlich höher als im Vergleichszeitraum 2021 (2214). Eine ähnliche Entwicklung gab es auch in Ingolstadt: Bis zum 15. Dezember erklärten dort 2501 Menschen ihren Kirchenaustritt - im Vergleich zu 1371 im Vorjahreszeitraum.

Die zweitgrößte bayerische Stadt Nürnberg zählte bis Mitte Dezember 6628 Kirchenaustritte im Vergleich zu 4544 im gleichen Zeitraum 2021. Davon waren 2434 römisch-katholisch und 2057 evangelisch.

Diese drastische Entwicklung ist allerdings kein rein städtisches Phänomen. Auch im oberbayerischen Burghausen, zu dem der Geburtsort von Ratzinger, Marktl am Inn, gehört, zeigt sich die gleiche Tendenz. Dort traten 2022 insgesamt 438 Menschen aus der Kirche aus, 371 von ihnen römisch-katholisch, 67 evangelisch. 2021 waren es noch 314 Austritte, davon 266 römisch-katholische Kirchenmitglieder und 48 evangelische.

Im oberbayerischen Wallfahrtsort Altötting erklärten bis zum 15. Dezember 446 Menschen ihren Austritt aus der Kirche – im Vergleich zu 288 insgesamt 2021. 388 von ihnen waren römisch-katholisch, 55 waren Protestanten.

Reformbewegung "Wir sind Kirche": "Trend nur schwer zu stoppen"

"Dieser Trend wird wohl nur schwer zu stoppen oder gar umzukehren sein", sagte Christian Weisner von der Reformbewegung "Wir sind Kirche". Er sieht einen direkten Bezug zu der aus seiner Sicht mangelhaften Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche – "denn es hat viel zu lange gedauert, bis die Bischöfe in Deutschland und die beiden Vorgängerpäpste Johannes Paul II und Benedikt XVI. ihre Verantwortung erkannt haben".

Doch nicht nur in Bayern traten die Menschen in diesem Jahr scharenweise aus der Kirche aus, die Tendenz ist deutschlandweit ähnlich, Städte in Baden-Württemberg, Niedersachsen oder auch Berlin melden vergleichbare Tendenzen.

Der Religionspädagoge Ulrich Riegel, der eine vielbeachtete Studie über Kirchenaustritte im Bistum Essen leitete, rechnete schon Ende Februar mit einem neuen Austritts-Rekord in diesem Jahr. (Britta Schultejans, dpa)

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