Leben in Bayern

Auch bei den zahlreichen Call-Centern der Telefonanbieter wird den Kunden oftmals nicht (Foto: dapd)

06.05.2011

Zu Gast in der Warteschleife

Bayerns Verbraucherschützer werden mit Beschwerden über die Abzocke von Telefon- und Internetanbietern bombardiert

Die Zahl der Kunden, die über schlechten Service und überhöhte Rechnungen ihrer Telefonanbieter klagen, wächst dramatisch. Verbraucherschützer kritisieren längst, dass Kunden im Kampf gegen die Anbieter kaum eine Chance haben. Auch BSZ-Autor Felix Scheidl landete in den Servicemühlen eines Internetproviders. Das Angebot scheint perfekt. Eine DSL-Flatrate ohne Vertragslaufzeit für 14,90 Euro im Monat. Selbst unabhängige Vergleichsportale schwören auf diesen Tarif. Anfangs geht alles schnell: Innerhalb weniger Wochen steht die Internetleitung in meiner neuen Wohnung. Doch schon mit der ersten Rechnung stimmt etwas nicht. Der Internetanbieter stellt mir den Einrichtungspreis und einen ersten Monatsbetrag von 24,89 in Rechnung. Das sind 9,99 Euro zu viel.


Die Servicelüge


Die kostenpflichtige Hotline spare ich mir und nehme mit dem Alice-Team im Internet Kontakt auf: „Sie haben mir monatlich 24,89 statt 14,90 berechnet. Bitte buchen Sie mir den korrekten Betrag vom Konto ab.“ Erst bei der zweiten Anfrage antwortet das Kundencenter. In einer Standardantwort erklärt mir das Team alles zum Thema Onlinerechnung. Auf mein Problem geht der Mitarbeiter nicht ein. Anscheinend will man hier nicht mit dem Kunden sprechen. Ich entscheide mich, den Rechnungsbetrag, den Alice von meinem Konto abgebucht hat, zurückzubuchen.
Auch bei einer Freundin buchte Alice irrtümlicherweise einen falschen Betrag vom Konto ab. Innerhalb einer Woche war der Fehler berichtigt und der zu hohe Betrag gutgeschrieben.
Probleme bei der Rechnungsstellung kennen auch Kunden des Telefonanbieters Congstar. Congstar verschickte im letzten Jahr zahlreiche Rechnungen doppelt, stellte gar keine Rechnungen oder verlangte überhöhte Minutenpreise bei Auslandsgesprächen. Das beklagen Dutzende Kunden glaubhaft in diversen Internetforen.
Auch Congstar reagierte über Wochen nicht auf die Probleme: „E-Mails werden nicht bearbeitet und bei der Hotline gibt’s nur warme Worte, aber nichts Konkretes“, klagt ein Kunde im Netz. Andere Betroffene ließen die Beträge zurückbuchen – mit Folgen, allerdings nicht den gewünschten: Von Drohungen des Anbieters den Handyvertrag zu sperren, berichten Nutzer im Internet. Und das, obwohl Congstar zu dieser Zeit längst von Fehlern bei der Rechnungsstellung gewusst haben muss.
Inzwischen stellt sich Congstar seinen Kunden immerhin im Internet. Im eigenen Internetforum, kann jeder Kunde seine Probleme schildern und er hält von Mitarbeitern oder anderen Kunden eine Antwort. Für private Fragen bieten Mitarbeiter einen Kundenchat.
Auch andere Anbieter heuern zunehmend sogenannte Scouts an. Sie sollen die Kunden, die ihrem Ärger im Internet Luft machen, beratend zur Seite stehen. Wirklich verstanden fühlen sich aber nur die wenigsten Kunden.
Auch ohne Internetscouts erhalte ich auf meinen dritte Nachricht vom Alice-Team eine Antwort, die sich ersichtlich speziell auf meinen Fall bezieht: „Für die Ihnen entstandenen Unannehmlichkeiten bitten wir vielmals um Entschuldigung. Der von Ihnen geschilderte Fehler ist bekannt und wird schnellstmöglich behoben“, heißt es darin. Klingt vielversprechend. Ich bin erleichtert, wenn auch etwas verwundert über die späte Einsicht.

Böses Erwachen


Wenige Tage später das böse Erwachen: Post von Alice. Ich solle innerhalb von fünf Tagen schriftlich mitteilen, warum ich den Rechnungsbetrag zurückgezogen habe. Außerdem droht mir das zu Telefónica gehörende Unternehmen mir mit der Sperrung meines Anschlusses. Wieder schreibe ich nach Hamburg, auch wenn ich den Grund für die Rückbuchung des offensichtlich überhöhten Betrages schon zum vierten Mal angebe.
Anfang Februar bucht Alice erneut eine Rechnung von meinem Konto ab: 24,89 Euro für Internet im Februar. Das sind wieder 9,99 Euro zu viel. Ich melde mich bei Alice, bitte um Korrektur und buche den Betrag zurück. Zumindest das Internet haben sie mir nicht abgedreht.
Dass viele Telefonanbieter nicht mit ihren Kunden sprechen wollen, weiß Tatjana Halm, Referentin des Rechtsreferates bei der Verbraucherzentrale Bayern nur zu gut: „Bei Einsprüchen per Mail wird selten auf den Verbraucher eingegangen. Viele klären ihre Anliegen deshalb telefonisch“, sagt Halm.
Doch auch vor Anrufen beim Provider warnt die Juristin: „Am Telefon wird dem Kunden zur Beschwichtigung oft Recht gegeben. Das kann der Kunde bei weiteren Streitigkeiten mit dem Anbieter aber kaum beweisen“, sagt Halm. Im Zweifel zähle nur eine Beschwerde per Einschreiben mit Rückschein.
Dass man selbst schriftlichen Versprechen eines Telefonanbieters nicht glauben darf, musste Wolfgang Thies aus Oberhausen in Oberbayern erleben. Er zog mit seiner Familie in ein neues Haus im Ort, das zwei Kilometer von seiner alten Wohnstätte entfernt liegt.
Die Deutsche Telekom versprach ihm vor knapp einem Jahr persönlich einen DSL-Anschluss ab August 2010 und unterzeichnete einen Vertrag. Wenige Tage vor Vertragsbeginn erhielt Thies von einer Telekom-Mitarbeiterin eine Absage: Eine freie DSL-Leitung sei nun doch nicht vorhanden.
„Ich hing lange in der Warteschleife der Telekom-Hotline, erhielt trotz Versprechen keinen Rückruf, und selbst der E-Mailverkehr lief nur schleppend“, sagt Thies. Dann schaltete er seinen Anwalt ein: Doch der konnte ihm kaum weiterhelfen. Denn die Telekom berief sich auf ihr Recht, den Vertrag mit dem Kunden zu kündigen. Dies sei vor Freischaltung des Anschlusses geschehen.
Als Alternative bot man Thies einen Vertrag für mobiles Internet über eine UMTS-Surfstick an, der Daten über einen Handy-Masten sendet und empfängt. „Das Angebot war aber viel teurer als der abgeschlossene DSL-Vertrag. Die Telekom weigerte sich trotz ihres DSL-Versprechens, mir den UMTS-Vertrag günstiger zur Verfügung zu stellen“, erinnert sich Thies.
Neun Monate später hat er noch immer keinen DSL-Anschluss, dafür aber zwei Verträge und zahlt doppelt: Einen Kontrakt für den Telefonanschluss bei der Telekom und einen UMTS-Vertrag bei einem anderen Anbieter. „Unter dem Strich zahle ich nun 20 Euro mehr im Monat und habe eine langsamere Internetleitung. Dass mir die Telekom trotz Vertragsbruch nicht entgegenkam, hat mich sehr enttäuscht“, so Thies.


Telekom gesteht Fehler ein


Die Telekom gesteht den Fehler ein und will sich noch einmal bei Thies melden: „Eine Schaltung ist technisch leider nicht durchführbar. Wir werden uns bei Dr. Thies nun für die bisherige Bearbeitung des Auftrags entschuldigen und ihn über die weiteren Möglichkeiten beraten“, so Pressesprecherin Cordelia Hiller auf Anfrage der BSZ.
Ob überhöhte Rechnungen oder falsche Versprechen: Tatjana Halm registrierte bei der E-Mailberatung der Verbraucherzentrale Bayern alleine in den ersten beiden Monaten diesen Jahres 200 Beschwerden über Telefonanbieter, die meisten davon wegen Problemen bei der Kündigung und überhöhten Rechnungen. Da viele Verbraucher bei den Beratungsstellen vor Ort Hilfe suchen, schätzt Halm die Anzahl der monatlichen Beschwerden im Freistaat im vierstelligen Bereich.
Betroffenen rät Halm, nur den Betrag zu überweisen, auf den der Anbieter einen Anspruch hat. Bucht der Telefonanbieter den Rechnungsbetrag per Lastschrift vom Konto ab, solle man den falschen Betrag innerhalb von sechs Wochen gesamt zurückziehen. „Weil der Telefonanbieter ein Recht auf Bezahlung der Leistungen hat, muss der Kunde anschließend den berichtigten Rechnungsbetrag überweisen“, sagt Halm.
In diesem Fall habe wohl ich einen Fehler gemacht. Ich habe Alice mehrfach gebeten, den richtigen Betrag von meinem Konto abzubuchen. Passiert ist aber nichts. Deshalb überweise ich den Betrag aus Einrichtungspreis, Versandkosten und den Monatsrechnungen von je 14,90 Euro. Das war wohl zu spät. Noch am selben Tag sperrt Alice das Internet. Nur das Telefon funktioniert noch. Damit habe ich noch Glück. Eigentlich wäre Alice berechtigt, mir bei ausstehenden Rechnungen über 75 Euro das Telefon zu sperren.
Meine weitere Recherche im Fall Alice folgt auf dem Display meines internetfähigen Handys. Nach wenigem Umherschieben der Alice-Seite auf dem kleinen Bildschirm habe ich die kostenpflichtige Rufnummer des Alice-Kundencenters. Ich hatte mir vorgenommen, mein Rechnungsproblem ohne kostenpflichtige Hotlines und Einschreiben zu lösen. Jetzt höre ich Musik von der Warteschleife – für 14 Cent je Minute. Das ist noch günstig, denn andere Anbieter verlangen bis zu einem Euro je Minute.


Rechtsstreit? Unrentabel


Nach weniger als einer Minute ist eine Mitarbeiterin am Telefon. Sie gibt mir recht und gesteht, dass meine Rechnungen überhöht sind. Trotzdem soll ich die überhöhten Rechnungsbeträge überweisen. Erst dann will man mir meine Internetleitung wieder freischalten. Eine Gutschrift über die überhöhte Rechnungssumme würde ich später erhalten.
Dass ich nur gegen die Bezahlung einer ungerechtfertigten Rechnung mein Internet zurückfordern kann, will ich nicht glauben. Der Münchner Rechtsanwalt Philip Rödiger kann das auch nicht verstehen: „Ihr Telefonanbieter hat nur Anspruch auf die Bezahlung der im Vertrag geregelten Leistungen. Das gilt insbesondere, wenn der Anbieter schon zugegeben hat, dass die Forderungen überhöht waren.“ Im Grunde handle es sich bei einem Telefonvertrag um einen Vertrag, wie jeden anderen: Die eine Seite verpflichte sich zur Bezahlung, die andere Vertragsseite zur Leistung. „Also hat der Telefonanbieter die Pflicht zu leisten, wenn die laut Vertrag fälligen Gebühren überwiesen wurden“, erläutert der Jurist. Er geht davon aus, dass die Zahl der Beschwerden deutlich gestiegen ist.
Doch der Verbraucher sitze am kürzeren Hebel, weil er fürchten müsse, dass der Anbieter die Internet- oder Telefonleitung sperre. „Deshalb knicken viele Kunden ein und zahlen“,berichtet Rödiger.
Eine Klage von mir gegen Alice würde Rödiger trotzdem nicht vertreten: „Wegen 20 Euro einen Rechtsstreit anzufangen lohnt sich nicht. Deshalb klagen wir nur nur bei großen Beträgen oder im Rahmen einer Sammelklage“, so Rödiger. Er halte Anbieter wie Alice oder die Deutsche Telekom aber noch für relativ seriöse Anbieter, mit dem man reden könne.
Dass bei Alice Hoffnung besteht, kann ich bald feststellen: Obwohl man sich im Callcenter weigerte, mein Internet wieder freizuschalten und die Hamburger sich seitdem nicht mehr gemeldet haben, läuft das Internet wieder. Dafür habe ich inzwischen eine Rechnung für den Monat März in meinem Postfach. Alice will mir den überhöhten ausstehenden Betrag abbuchen, zusammen mit 24,89 Euro Monatsgebühr für den Monat März. Wieder 9,99 Euro zu viel.
Mir reicht der Ärger, ich konfrontiere die Pressestelle: Die stimmt mir zu: „Wenn Ihr Problem bekannt ist und man trotzdem nicht darauf eingeht, entspricht das nicht unserem Anspruch an den Kundeservice“, sagt Sprecher Carsten Nillies. Dass man auch bei Rechnungsfehlern erst auf die Überweisung des irrtümlich angenommenen Rechnungsbetrages poche, sei im Interesse der Kunden: „So können die Servicemitarbeiter den Betrag schnell überprüfen und eine mögliche Sperrung der Internetleitung verhindern. Sollte der Kunde zu viel bezahlt haben, erhält er die Differenz zur Rechnung schnellstmöglich zurück“, so Nillies.
Immerhin: Nach drei Monaten, etlichen Meldungen über das Kundencenter und mehreren Telefonaten gibt mir der Pressesprecher sein Wort: Der Anschluss bleibt freigeschaltet, alle zuviel gezahlten Kosten werden gutgeschrieben und das Problem schnellstmöglich gelöst.
(Felix Scheidl)

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