Leben in Bayern

Zwei Kordeln verwehren den Zutritt: Der Paternoster im Kontorhaus auf dem Gelände der Münchner Großmarkthalle fährt zwar noch, auch er transportiert aber leider keine Fahrgäste mehr. (Foto: Rudolf Stumberger)

12.06.2015

Zum Schweben braucht’s jetzt einen Führerschein

Eine Verordnung des Bundes bedroht Bayerns Paternoster – einige stehen deshalb schon still

Es war fast wie im richtigen Leben: Es ging rauf und runter. Und immer schön langsam und unentwegt. Nahezu lautlos glitten die einzelnen Kabinen der Aufzugsanlage, wie es im technischen Jargon heißt, durch die verschiedenen Etagen. Eine leichte Spannung beim Aufsteigen und Abspringen immer inklusive: Schafft man es? Und was passiert eigentlich, wenn man oben nach der letzten Etage weiterfährt? Fragen, die sich wohl einige stellten, wenn sie einen Pasternoster benutzten.
Doch mit diesem kleinen Alltag-Abenteuer ist es vorbei – zumindest vorerst. Denn als Folge einer neugefassten Betriebssicherheitsverordnung dürfen die Umlaufkabinen seit dem 1. Juni nur mehr von eingewiesenen Personal benutzt werden. Weil viele der rund 230 Paternoster in Deutschland aber öffentlich zugänglich sind, bedeutet das für die meisten das faktische Aus.

Ein Verein und die Stadt München wollen kämpfen

Doch dagegen erhebt sich Widerstand: Die Stadt München zum Beispiel will für die Weiterfahrt ihrer Paternoster kämpfen. „Wir hoffen, dass die Verordnung angepasst oder aufgehoben wird“, erklärt Cornelius Mager, Leiter der Münchner Lokalbaukommission- Er ist auch Gründungsmitglied des „Vereins zur Rettung der letzten Personenumlaufaufzüge“, der bereits 1994 ins Leben gerufen wurde.
Der Name Paternoster hat übrigens etwas mit seiner Bauweise des Aufzugs zu tun. Die Personenkabinen sind hintereinander an einer Kette aufgehängt und dieses Prinzip ähnelt der Aufreihung der Perlen an einem katholischen Rosenkranz – zum Abzählen der Gebete Ave Maria und Vater Unser – auf lateinisch Paternoster. Erfunden wurde der Paternoster in England, 1876 kam er im Londoner Postamt zum ersten Mal zum Einsatz, zunächst jedoch nur für Pakete. Der erste Umlaufaufzug zur Personenbeförderung wurde 1884 in Betrieb genommen. Zwei Jahre später nahm der erste deutsche Paternoster im Dovenhof in Hamburg seinen Betrieb auf.
Gelände der Münchner Großmarkthalle: Bei dem Kontorhaus Nummer 2 handelt es sich um einen dieser wunderbaren leichten Bauten aus den 1950er Jahren, in denen sich der gesellschaftliche Optimismus in geschwungenen Formen und in Glasfassaden niederschlug. Heute werden hier weniger Orangen verkauft, als dass neue junge Firmen versuchen, mit neuen Ideen auf die Märkte zu kommen. Nahezu geräuschlos gleitet ein Paternoster durch die Stockwerke und die Permanenz der stillen Bewegung korrespondiert mit der Anmut des Treppenhauses. Doch der Schein trügt. Zwei Kordeln verwehren den Zutritt und ein Schild klärt auf: „Der Paternoster ist denkmalgeschützt und weiterhin in Betrieb um ihn nicht ‚einrosten’ zu lassen. Dank der geringen Stromaufnahme durch den gleichmäßigen Umlauf bleiben so alle Komponenten gut geschmiert.“
Szenenwechsel: Das Münchner Polizeipräsidium an der Ettstraße. Ein mächtiger Bau aus dem Jahre 1913. 1956 baute hier die Firma Schmitt & Sohn einen Paternoster mit zwölf Kabinen ein, Tragkraft 24 Personen, Fabriknummer 33446. Ganz oben auf dem Dachboden des Polizeipräsidiums gibt es eine Eisentür und dahinter ist die ganze ölige Pracht alter Mechanik zu sehen. Ein mächtiger Elektromotor, der die Zahnräder antreibt, die wiederum über Antriebsketten die Kabinen bewegen.
Hier musste in den vergangenen Jahren schon öfter Hand an gelegt werden: „Augenscheinlich war im Rahmen der Anlagebesichtigung sowohl der starke Abrieb im Bereich der Lagerung des hinteren Kettenrades, wie auch dessen starke Schrägstellung zum antreibenden Zahnrad feststellbar“, hieß es in einem technischen Gutachten vor sechs Jahren. Darüber hinaus sei an allen Zahnrädern ein fortgeschrittener Verschleiß der Zahnflanken feststellbar. 240 000 Euro kostete damals das Auswechseln der Zahnräder.
Jetzt läuft der Polizei-Paternoster wieder und er wird auch nach dem 1. Juni weiterhin benutzt. Die Beamten haben nämlich die Auflage der neuen Betriebssicherheitsverordnung erfüllt und wurden per E-mail eingewiesen, haben also quasi einen „Paternoster-Führerschein“ erhalten. In der Anleitung heißt es, das Ein- und Aussteigen solle „bündig“ erfolgen, die einzelne Kabine sei mit maximal zwei Personen zu nutzen, der Aufenthalt ist nur im hinteren Teil gestattet, „Außenstehende“ dürften nicht mitgenommen werden, das gleiche gilt für „sperrige Gegenstände“. Eventuell, sagt ein Sprecher der Polizei, gebe es auch noch den praktischen Teil der Einweisung, das wisse man aber noch nicht, weil man  gerade sehr mit dem G7-Gipfel beschäftigt war.
In der Blumenstraße 28 in der Münchner Innenstadt steht das Alte Technische Rathaus der Stadt, erbaut Ende der 1920er Jahre. Auch hier wurde der alte Aufzug vor ein paar Jahren aufwendig renoviert. Dafür hatte man extra bei einer Spezialfirma in Nürnberg ein neues Zahnrad drehen und fräsen lassen, 250 Kilogramm schwer und mit einem Durchmesser von 1,30 Meter. Vier dieser Räder treiben den Paternoster an und ließen bis vor Kurzem seine Holzkabinen mit einer sanften Geschwindigkeit von 0,3 Meter pro Sekunde durch das Haus gleiten. Denn jetzt steht der Aufzug still. „Das Referat ist für die Öffentlichkeit zugänglich“, sagt Pressesprecher Thorsten Vogel, „deshalb mussten wir den Zugang sperren.“ Was auch für die rund 500 Angestellten des Planungsreferats Folgen hat. Denn für diese heißt es jetzt: Treppen steigen oder länger auf den Lift warten. Denn der Umlaufaufzug ist nicht nur eine technische Rarität, sondern hat auch eine ganz praktische Seite. Der Paternoster hat eine „hohe Erschließungsfunktion“, will heißen, er schaufelt ganz schön viele Menschen durch die Etagen, insgesamt schneller als die Aufzüge. Und er ist nicht nur funktional, sondern er gehöre auch zur Identität des Hauses, sei ein belebendes Element, meint Vogel. „Man steigt ein und ist schnell oben. Mit dem Paternoster zu fahren ist einfach schöner, da schwebt man so empor.“

Im Polizeipräsidium läuft der Paternoster weiter

Für den Paternoster-Vereinsgründer Mager jedenfalls steht fest: Die neue Verordnung sei völlig unzulänglich. Durch das Verbot würde die „zentrale Erschließung“ von Häusern wie in der Blumenstraße oder auch dem Stuttgarter Rathaus unmöglich gemacht. Was ihn besonders erzürnt: Es habe nicht einmal eine Übergangsfrist gegeben.
Die Stadt München hat jetzt angekündigt, sie wolle jetzt beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Gemeinsam mit anderen Kommunen will sich die Stadt in Berlin zudem für eine Gesetzesänderung in Sachen Paternoster einsetzen. Derweil hat Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bereits angekündigt, die Bundesländer zu ermächtigen, die Beschränkungen aufzuheben. Was Mager allerdings wiederum für unsinnig hält, denn damit würde ja eine Bundesverordnung durch eine Länderregelung aufgehoben. Besser wäre eine Änderung des Gesetzes, meint er. Der Verein, dessen Vorsitzende die Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk ist, will sich deshalb mit einem Brief an das Bundesarbeitsministerium wenden. (Rudolf Stumberger)   

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