Die Münchnerin Sofia Chtcherban wollte nicht tatenlos zusehen, wie Russland die Heimat ihrer Eltern überfällt. Trotz ihres Geografiestudiums und ihres kleinen Sohnes gründete sie gemeinsam mit ihrer Familie und Prominenten das Hilfsprojekt Together 4 Ukraine, das jede Woche humanitäre und medizinische Güter in das Land liefert.
Der 24. Februar 2022 war der bisherige Tiefpunkt im Leben von Sofia Chtcherban. Es war der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Die damals 24-Jährige lebte und studierte zu dieser Zeit zwar in München, ihre Mutter wohnte jedoch in dem überfallenen Land. Davor lebte die Familie gemeinsam am Schliersee. „Obwohl sie in den 90er-Jahren politisch verfolgt wurde, beschloss sie, nach der Annexion der Krim 2014 zurück in ihre Heimat zu gehen, um als Volontärin zu arbeiten“, erzählt die 26-Jährige.
In den ersten Tagen nach dem Überfall war die Stipendiatin an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität durch die psychische Belastung des Kriegsgeschehens wie gelähmt. Sie wusste, dass ihrem neugeborenen Sohn gerade seine zweite Heimat geraubt wurde. Gleichzeitig sorgte sie sich um ihre Mutter, Verwandte, Taufpaten und Freunde. Sie lebten zwar nicht alle in der Nähe der Front, aber „richtig sicher ist es ja nirgendwo“. Trotz oder gerade wegen des Ohnmachtsgefühls raffte sie sich auf und beschloss, zu helfen – irgendwie. Allein schon, um sich abzulenken.
So entstand die Idee, eine Hilfsorganisation für humanitäre und medizinische Unterstützung zu gründen. Sofia Chtcherban kümmert sich mit um die Medikamententransporte und Social Media. Wöchentlich werden Lebensmittel und Medikamente an Kliniken und die Front geliefert. Die Familie teilt sich die Arbeit: Ihre Mutter ist für die Organisation in der Ukraine zuständig, ihre Schwester in Deutschland. Hier bieten sie auch ukrainischen Geflüchteten Unterstützung bei Übersetzungen für Kliniken oder bei psychologischer Betreuung.
Die Menschen in der Ukraine sind auf ihre Hilfe angewiesen
Nicht immer war ihr Projekt Together 4 Ukraine ein Selbstläufer. „Wir waren mehrmals an dem Punkt, an dem wir mangels Spenden die Hoffnung verloren hatten und unsere Arbeit einstellen wollten“, erzählt sie. Doch genau in diesen Momenten hätten sich Kliniken und Militäreinheiten gemeldet, die dringend Hilfe brauchten. „Da haben wir gemerkt: Wir können zwar nicht die Welt retten, aber den Menschen vor Ort effektiv helfen.“ Das gab neue Kraft. Gemeinsam mit Freunden, Partnerorganisationen und vielen hilfsbereiten Menschen konnten neue Spenden akquiriert werden.
Wie Sofia Chtcherban das zeitlich mit ihrem inzwischen dreijährigen Sohn und ihrem Geografiestudium alles unter einen Hut bekommt? „Inzwischen habe ich mich bei dem Projekt etwas zurückgenommen“, erzählt sie. Davor habe sie vor allem nachts gelernt. Seit ihr Sohn in die Kita geht, hat sie immerhin am Vormittag wieder Zeit zum Lernen. Gedanklich ist sie dabei jedoch oft bei der Kinderbetreuung, Spendeneinwerbung oder den eigenen knappen Finanzmitteln. Denn für einen Nebenjob blieb nie Zeit.
Geholfen hat ihr das Deutschlandstipendium. „Dass der finanzielle Druck weg war, war die größte psychische Entlastung“, betont die 26-Jährige. Jetzt lebt sie nicht mehr in Sorge, wie sie etwa ihre Krankenkassenbeiträge zahlen soll. Sie kann sich besser auf ihr Studium und ihre ehrenamtliche Arbeit konzentrieren – und mit ihrem Sohn auch Ausflüge in den Tierpark unternehmen, die sie sich zuvor nicht leisten konnte. „Die 300 Euro sind eine enorme Hilfe“, versichert die junge Mutter, die kriegsbedingt von der Familie keine große Unterstützung erhalten kann.
Auch im Berufsleben will sie nachhaltig etwas bewirken
Ob sie nach ihrem Bachelor den Master in Geografie macht, kann Sofia Chtcherban noch nicht sagen. Sie hat die BaföG-Höchstförderzeit erreicht. Ihr Praktikum im Bundestag letztes Jahr hat ihr gut gefallen. Sie könnte sich auch vorstellen, bei einer Nichtregierungsorganisation im Bereich der Nachhaltigkeit zu arbeiten. „Mein Traum wäre es, beim Jane-Goodall-Institut in München zu arbeiten“, schwärmt sie. Die Organisation bietet viele Projekte zu nachhaltiger Entwicklung und Entwicklungszusammenarbeit. Ebenso könnte sie sich nach dem Krieg vorstellen, in der Ukraine bei Projekten mitzumachen, die sich der Wiederherstellung der Ökosysteme widmen – oder diese selber zu gründen.
Die LMU-Studentin blickt trotz der Herausforderungen positiv in die Zukunft. Optimistisch ist sie auch mit Blick auf ihre Heimat. „Man denkt zwar immer, es kann eigentlich nicht besser werden“, sagt sie mit Blick auf die starken russischen Truppen oder die Ära von US-Präsident Donald Trump. Aber wenn man mit den Ukrainerinnen und Ukrainern vor Ort spreche, würden sie stets betonen, dass sie gar nicht pessimistisch sein könnten: „Es wird alles gut, weil alles gut werden muss.“ Dieser Funke Hoffnung gibt ihr tagtäglich das nötige Durchhaltevermögen. (David Lohmann)
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