Nicht ins Kino, in die Disco oder in den Zoo. Der seit 9. November geltende Freizeit-Lockdown für nicht geimpfte 12- bis 17-Jährige alarmiert selbst CSU-Leute.
Betroffen von der bayerischen Regel sind rund 60 Prozent der 12- bis 17-Jährigen: Sie sind ungeimpft. Wenn es nach der Ständigen Impfkommission (Stiko) geht, dürften sie von Freizeitaktivitäten eigentlich gar nicht ausgeschlossen werden. Die Stiko will nämlich nicht, dass bei Kindern eine Impfung zur Voraussetzung sozialer Teilhabe gemacht wird.
Tatsächlich könnte sich die Situation im neuen Jahr noch verschärfen. Denn dann läuft die Übergangsregelung aus, wonach die jungen Leute zumindest noch Sport treiben, musizieren oder in die Theatergruppe dürfen.
Wobei auch diese Übergangsregelung diverse Absurditäten enthält. Zum Beispiel dürfen ungeimpfte Kinder zwar schwimmen gehen. Ins Spaßbad dürfen sie aber nicht. So ist die beliebte Therme Erding bei München für ungeimpfte 12- bis 17-Jährige nach wie vor tabu. Grund: Erlaubt ist nur Schwimmen, nicht aber, dass die jungen Leute sich danach auf einer Liege erholen. „Uns wär’s anders lieber“, stöhnt Thermen-Pressesprecher Marcus Maier. „Wir halten 3G für ausreichend.“ Also die Regel, dass neben Geimpften und Genesenen auch Getestete reindürfen. Dazu muss man wissen, dass Kinder in der Schule ohnehin regelmäßig getestet werden
Schon wieder müssen die Kinder zurückstecken
Immerhin sah sich die Staatsregierung genötigt, diese Woche nachzubessern: Jugendliche ohne Piks dürfen jetzt doch essen gehen, und sie dürfen in Hotels und Ferienwohnungen übernachten. Es wäre sonst so mancher Familienurlaub geplatzt.
Doch gut ist damit noch lange nichts: Jona zum Beispiel ist seit August zwölf Jahre alt, die meisten in der Klasse sind noch elf. Sie dürfen ins Kino, ins Museum oder in den Tierpark. Jona nicht. „Das find ich total blöd“, sagt er. Und seine Mutter fühlt sich „einfach nur noch ohnmächtig“. Wie viele Eltern ist sie gefrustet davon, dass von Beginn der Pandemie an vor allem die Kinder zurückstecken mussten. „Die sind megagestresst und total fertig. Und nun wird ihre Stimme wieder nicht gehört“, klagt die 46-Jährige.
Stress, Zukunftsängste: Wie stark die Corona-Pandemie gerade Kinder und Jugendliche belastet hat, zeigen zahlreiche Untersuchungen. Matthias Fack, Präsident des Bayerischen Jugendrings, betont: „Junge Menschen wollen und müssen auch am öffentlichen Leben teilhaben. Dazu brauchen sie Erlebnis- und Begegnungsräume außerhalb von Schule und Familie.“
Impfung für über Zwölfjährige war lange nicht empfohlen
Fack warnt davor, die Übergangsregelung für sportliche, musikalische und schauspielerische Eigenaktivitäten Ende des Jahres auslaufen zu lassen. „Der Impfstatus junger Menschen unter 18 Jahren darf nicht ausschlaggebend für eine gesellschaftliche Teilhabe sein.“ Angelika Guglhör-Rudan vom Deutschen Jugendinstitut hält den Freizeit-Lockdown für ungeimpfte Kinder und Jugendliche ebenfalls für „sehr problematisch“. Auch deshalb, weil die Impfung für über Zwölfjährige lange nicht empfohlen war. Und die Stiko-Empfehlung dann erst nach massivem politischen Druck zustande kam. Klar, dass viele Eltern da noch Zeit brauchen.
Wer mit Eltern nicht geimpfter Kinder spricht, hört viel Wut und Verunsicherung. Selbst wenn sich seine Tochter jetzt noch impfen lasse, sagt ein Vater aus München, werde sie den Geimpft-Status zur Jahreswende nicht haben. Zu diesem Zeitpunkt wollte die Familie zum Skifahren gehen. Ohnehin will er für sein Kind eigentlich die Pikserei vermeiden. Doch ihm graut vor den Folgen. Seine Zwölfjährige turnt im Verein. Da hat ihr der zurückliegende Lockdown ohnehin viel abverlangt. Denn Online-Sportuntericht ist nicht das Gleiche wie live dabei sein. Seine Tochter, sagt der Vater, „hat damals den Spaß am Sport verloren“. Eine weitere Zwangspause würde sie nicht packen: „Dann sitzt sie bloß noch am Smartphone.“
Richtig ist aber auch, dass viele Eltern zwar zögern, die Kinder die Impfung aber unbedingt wollen. Weil sie die ständigen Beschränkungen satt haben und einfach ihr früheres Leben zurück möchten. Allerdings: Laut bayerischem Justizministerium können sich Minderjährige hier grundsätzlich „nicht gegen den Willen der sorgeberechtigten Eltern durchsetzen“. Eine gefestigte Rechtsprechung in diesem Bereich fehle aber noch.
Übergangsregel verlängern
Im Sinne der Kinder und ihrer Eltern wäre es in jedem Fall hilfreich, die jetzt geltende Übergangsregel mindestens zu verlängern. So sieht das auch Andrea Gronemeyer, Intendantin der Schauburg, das Kinder- und Jugendtheater der Stadt München. „Die Kinder haben doch am meisten gelitten, nicht am Virus, sondern an den Maßnahmen.“ Ihr zerreißt es das Herz, wenn sie dran denkt, dass eine Gruppe, die aktuell bereits ihr selbst geschriebenes Stück probt, mit dem Auslaufen der Übergangsfrist komplett auseinanderbrechen würde.
Markus Söders harter Kurs ist selbst in der CSU umstritten. Neben anderen warnt die Augsburger CSU-Bürgermeisterin Eva Weber vor der 2G-Regel für Kinder. Denn damit, so Weber, „würden nicht nur die sozialen, sondern auch die psychischen Folgen für die über Zwölfjährigen deutlich ansteigen“ .
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)
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