Im erbitterten Streit mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Flüchtlingspolitik fordert Bayern nun schriftlich und "unverzüglich" eine Kehrtwende - und droht ansonsten mit einer Klage in Karlsruhe. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) betonte heute nach der Kabinettssitzung, in der der Brief beschlossen und auf den Weg gebracht wurde, Bayern sei sogar juristisch verpflichtet, so zu handeln. "Das liegt gar nicht im Ermessen des Freistaates Bayern."
Seehofer sagte, er hoffe auf eine befriedigende Antwort der Kanzlerin. Wie lange er Merkel konkret Zeit gibt und wann Bayern ansonsten vor dem Bundesverfassungsgericht Klage erheben will, sagte er nicht. Er verwies auf die bewusste Formulierung, dass der Bund "unverzüglich" handeln müsse. Innenminister Joachim Herrmann sagte dazu, man wolle wirksame Maßnahmen "innerhalb der nächsten Wochen".
Konkret fordert das CSU-regierte Bayern eine wirksame Sicherung der EU-Außengrenzen - und bis dahin effektive eigene Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzübergängen, mit vollständiger Registrierung aller Flüchtlinge. Für Deutschland soll zudem eine Obergrenze für Flüchtlinge gelten: 200.000 im Jahr. Und: Flüchtlinge, die aus einem sicheren Nachbarland einreisen wollen, sollen an der Grenze abgewiesen werden - das würde quasi für fast alle Flüchtlinge gelten.
Das sei kein Droh- oder Bittbrief, sondern eine "Anspruchsbrief"
Es gehe darum, Recht und Ordnung an den Grenzen wieder herzustellen, sagte Seehofer. Dazu sei man sogar verpflichtet: "Wir haben es hier mit Rechtsverletzungen zu tun - und die müssen abgestellt werden."
Herrmann und Justizminister Winfried Bausback (CSU) nannten den Brief aus rechtlichen Gründen notwendig. "Hier geht es um einen formellen, verfassungsrechtlich relevanten Akt", sagte Bausback. "Es geht um das Geltendmachen eines verfassungsrechtlichen Anspruchs des Freistaats." Dieser Schritt müsse einer Klage in Karlsruhe vorausgehen. Es handle sich um keinen Droh- und keinen Bitt-, sondern um einen "Anspruchsbrief". "Der Bund steht in der Verantwortung, die Herrschaft des Rechts wiederherzustellen", betonte Bausback.
Die Klage soll bereits in den kommenden Tagen weiter vorangetrieben werden: Bausback kündigte eine rasche Entscheidung darüber an, wer im Fall der Fälle Prozessbevollmächtigter des Freistaats in Karlsruhe sein solle. Es sei aber nicht so, dass eine Klageerstellung einen "wahnsinnig langen Zeitraum" in Anspruch nehmen würde. Schließlich könne man sich bereits auf ein entsprechendes Gutachten stützen, das Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio für den Freistaat erarbeitet habe.
Koalitionsbruch? Seehofer: "Keine Prognose der SPD ist bisher eingetreten"
Seehofer wies die Kritik von SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann zurück, beim bayerischen Brief an Merkel handele es sich um die "Ankündigung des Koalitionsbruchs". Dazu sagte Seehofer: "Ich kenne keine Prognose vom Herrn Oppermann, die jemals in Erfüllung gegangen ist. Keine Prognose der SPD ist bisher eingetreten."
Herrmann warnte vor einer Million oder mehr Flüchtlingen auch in diesem Jahr, sollte Merkel nicht umschwenken. "Eine Kehrtwende der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik ist dringend notwendig." Der Bund stehe "in einer Rechtspflicht zum Handeln", hieß es. "Deutschland kann nicht grenzenlos Flüchtlinge aufnehmen."
Scharfe Kritik von SPD und Grünen: "Politik auf Sandkasten-Niveau"
SPD und Grüne in Bayern kritisierte die Staatsregierung scharf: "Sollte die CSU eine Klage gegen die Bundesregierung einreichen, der sie selbst angehört, ist dies unweigerlich mit einem Austritt aus der Regierung verbunden. Ein Doppelspiel - im Bund Regierung und Opposition zugleich - kann es nicht auf Dauer geben", sagte SPD-Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher. Seine Grünen-Kollegin Margarete Bause sprach von "Politik auf Sandkastenniveau".
Der Brief soll offiziell erst am Freitag im Internet veröffentlicht werden. Herrmann begründete dies damit, dass Merkel den von Seehofer unterschriebenen Brief zuerst persönlich in der Hand haben solle.
Wie es nach einer möglichen Klage weiterginge, lässt sich kaum vorhersagen. Über manche Eilanträge haben die Karlsruher Richter binnen Tagen entschieden, es kann aber auch Monate dauern - das hängt ganz vom konkreten Fall ab. Ob die Verfassungsklage am Ende Erfolg haben könnte, lässt sich daran ohnehin nicht ablesen. Die Richter wägen lediglich ab, ob dem Kläger bis zu einem Urteil Nachteile entstehen, die nicht wiedergutzumachen wären. Der Weg dahin ist lang: Verfahren am Bundesverfassungsgericht dauern im Schnitt zwei Jahre. (dpa)
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