Tiefer Fall nach schnellem Aufstieg: Erst vor wenigen Wochen hat sich die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag konstituiert, nun zerlegt sie sich selbst. Künftig stehen sich zwei innerparteilich verfeindete Lager der Rechtspopulisten gegenüber. Der Streit zieht sich bis in die Bundesspitze der Partei.
Lange hat er gezögert. Doch am Dienstag verkündet der AfD-Chef im Stuttgarter Landtag, Jörg Meuthen, fast staatstragend den Austritt aus der Fraktion. Er stolpert über den Konflikt um den früheren Arzt Wolfgang Gedeon, der wegen seiner Bücher deutschlandweit als Antisemit in der Kritik steht. Lange hat AfD-Landeschef zugesehen, wie sich der umstrittene Politiker hielt - nun zieht Meuthen überraschend die Reißleine.
Er und zwölf weitere Abgeordnete spalten sich ab von der Fraktion. Ob sie es schaffen, eine neue Parlamentsgruppe zu gründen ist ebenso offen wie die Zukunft derjenigen, die nicht bereit waren, sich von Gedeon zu trennen. Was bleibt ist eine Spaltung der Rechtspopulisten im Landtag.
Am Abend versucht Meuthens Widersacherin im AfD-Parteivorstand, Frauke Petry, die Spaltung noch zu verhindern. Nachdem der umstrittene Abgeordnete Gedeon seinen Austritt aus der Fraktion verkündet hat, teilt Petry mit, damit sei die AfD-Spaltung in Baden-Württemberg abgewendet. Dem widerspricht Meuthen. "Der Fraktionsbruch ist rechtskräftig", sagt er der dpa am Abend nach Gedeons Erklärung. An diesem Mittwoch sollen die Abgeordneten zusammenkommen, um über eine mögliche Neugründung der AfD-Fraktion zu tagen, kündigt Meuthen an.
Dabei ist es keine vier Monate her, dass die AfD erstmals und dann gleich als stärkste Opposition in das Parlament einzog. 23 Abgeordnete aus dem Stand. Das war ein Schock für die etablierten Parteien in dem Land unter Führung des Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Aber früh sagten die Alteingesessenen der AfD auch das voraus, was nun eintritt: die Selbstzerfleischung wegen massiver innerparteilicher Differenzen.
Über die Parteigrenzen von Grünen, CDU, SPD und FDP hinweg sowie von Religionsgemeinschaften musste sich Meuthen vorwerfen lassen, den Antisemitismus in den eigenen Reihen nicht entschieden genug zu bekämpfen. Als er sich vor knapp zwei Wochen noch auf den Kompromiss einließ, ein Gutachten über Gedeons Bücher anfertigen zu lassen, war das Entsetzen groß.
Meuthen hatte zwar mit Rücktritt gedroht, sollte Gedeon nicht aus der Fraktion geworfen werden. Dann gab er ihm doch eine Schonfrist. Eigentlich sollte über den Rauswurf erst nach der Sommerpause auf Grundlage des Gutachtens entschieden werden. Zwar wollten sich beide - Gedeon und Meuthen - als Sieger des Kompromisses sehen. Aber die Kommentare, dass vor allem Meuthen schwer beschädigt sei, waren einhellig.
Nun die Wende. Eine Flucht nach vorn. Der AfD-Bundesvorstand sicherte dem Co-Parteichef Meuthen Unterstützung zu, von Petry aber gab es zunächst keine Reaktion. Sie hatte sich schon früh wegen der Einmischung in den Fall den Zorn Meuthens zugezogen. Dabei hatte gerade sie die Kompromisslösung im Juni gelobt. Beigelegt war der innerparteiliche Streit damit aber nicht.
Auf die angekündigten Akzente der Rechtspopulisten warteten die Wähler bisher vergeblich
Nun scheint die AfD-Fraktion im Landtag Geschichte zu sein - noch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause. Der Abgeordnete und Stuttgarter Stadtrat Heinrich Fiechtner und andere Gefolgsleute Meuthens drängten sich am Dienstag dicht um den Parteichef. Früh hatte sich vor allem Meuthen entsetzt darüber gezeigt, dass Gedeon den Völkermord an den Juden als "Schandtaten" verharmloste. Antisemitismus habe keinen Platz in der AfD, betont er nun einmal mehr. Doch andere in der Partei dürften da anderer Meinung sein.
Eine geplante Aktion sei der Austritt der Abgeordneten zwar nicht gewesen. Unüblich sei so ein "unerfreulicher Bereinigungsprozess für junge Parteien" aber nun einmal nicht, meint Meuthen. Ein "schmerzhafter Vorgang" sei es allemal. Da gebe es nichts schönzureden, sagte er am Nachmittag.
Flügelkämpfe, Rücktritte und Eitelkeiten machen der AfD auch in ihrer Hochburg Sachsen-Anhalt zu schaffen. Auch dort befasst sich die als Fundamentalopposition angetretene Partei wie die Südwest-AfD vor allem mit sich selbst. Auf die im Wahlkampf angekündigten Akzente der Rechtspopulisten warteten die Wähler aber bisher vergeblich.
Heute trafen sich Meuthen und Frauke Petry angesichts der Krise zum Gespräch. Sie zogen sich in Stuttgart zu einem Vier-Augen-Gespräch in einem Raum im Landtagsgebäude zurück. Dort wollten sie die "verzwickte Situation" klären, kündigte Petry an. Es sei wichtig, "emotionale Konflikte" aufzuarbeiten. Geklappt hat es wohl nicht: Meuthen kündigte an, eine neue Fraktion zu gründen. Damit besteht die bisherige AfD-Landtagsfraktion nur noch aus neun statt 21 Abgeordneten.
Derweil werden auch der bayerischen AfD-Spitze Kontakte in die rechte Szene vorgeworfen. Der Bayerische Rundfunk berichtete, der bayerische Landesvorsitzende Petr Bystron unterhalte enge Kontakte zu Neonazis. Er habe gemeinsam mit zwei bekannten Rechtsextremisten versucht, in eine Veranstaltung von AfD-Kritikern zu gelangen, und sei erst nach Eintreffen der Polizei abgezogen. Bystron bestreitet die Vorwürfe und spricht von „unwahren und verleumderischen Behauptungen des BR“. Der AfD-Landesvorsitzende hatte über Facebook zu Teilnahme an der Veranstaltung „AfD aufhalten!“ in der Rosa-Luxemburg-Stiftung aufgerufen: „Könnte amüsant werden. Wer kommt mit?“
Der AfD-Bundesverband sah jedoch keinen Anlass, gegen den bayerischen Landesverband aktiv zu werden. „Selbstverständlich wird der Landesverband Bayern dem nachgehen und den Sachverhalt prüfen“, sagte Bundesvorstandsmitglied Georg Pazderski der taz. „Bis dahin gilt natürlich die Unschuldsvermutung.“ Auch ein Sprecher von AfD-Chefin Frauke Petry erklärte, für den Vorfall sei der Landesverband zuständig.
In Bayern schaut allerdings mittlerweile der Verfassungsschutz auf "Schnittmengen" mit Rechtsextremisten und hat einzelne AfD-Mitglieder im Visier. "Unter dem Strich gibt es aber noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen der Gesamtpartei oder des bayerischen Landesverbandes", sagte Markus Schäfert, Sprecher des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, BR24. (BSZ, Ulf Mauder, Oliver Schmale, dpa)
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