Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger hat den Vorwurf des Populismus wegen seiner Rede auf einer Demonstration am Wochenende zurückgewiesen. "Ich stehe zu diesem Satz. Die breite Bevölkerung muss sich schlichtweg wieder Gehör verschaffen, wenn sie anders nicht ernst genommen wird", sagte der Freie-Wähler-Chef am Montag der Deutschen Presse-Agentur in München und wiederholte damit sinngemäß seine umstrittene Aussage auf der Kundgebung gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung vor 13 000 Menschen: "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss (...)."
"Nur weil irgendwann mal ein AfD-ler etwas ähnliches gesagt hat, ist das noch lange kein Tabu-Satz für jeden anderen", betonte Aiwanger. Mit dieser "linken Masche" lasse er sich nicht mundtot machen. "Morgen ruft die AfD dazu auf, in Lederhose aufs Oktoberfest zu gehen, dann dürfte niemand mehr in Lederhose aufs Oktoberfest gehen - oder was?"
Nach seiner Rede hatte unter anderem Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) die Wortwahl Aiwangers massiv kritisiert: "Man kann die Entscheidungen der Ampel für richtig oder eben falsch halten", sagte Aigner der "Süddeutschen Zeitung" und dem "Münchner Merkur". "Aber die Entscheidungen wurden demokratisch gefällt. Das sollte auch ein stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzender einer Partei in Regierungsverantwortung nicht infrage stellen."
Kritik vom Koalitionspartner
Vier Monate vor der Landtagswahl knirscht es nun also laut und vernehmlich zwischen den beiden Koalitionspartnern CSU und Freie Wähler. Ihr Bündnis wollen sie aber nach der Wahl am 8. Oktober fortsetzen.
Tatsächlich setzen Aiwanger & Co. darauf, dass viele Unzufriedene ihr Kreuz künftig bei den Freien Wählern machen und nicht bei der AfD oder anderen. Dass Aiwanger, zumal im Wahlkampf, oftmals deftiger hinlangt, war der CSU zwar schon aufgestoßen, aber bisher meist schweigend toleriert worden - um den Schein einer harmonischen Koalition nicht zu trüben.
Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nannte Aiwangers Wortwahl am Montag "leider unangemessen". "Wir leben in einer Demokratie, und deshalb braucht man auch niemanden aufzufordern, diese von irgendwo zurückzuholen - schon gar nicht als Regierungsmitglied mit besonderer Verantwortung", sagte er. "Bei aller inhaltlichen Auseinandersetzung gilt: Populismus am rechten Rand ist brandgefährlich und gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt", warnte der CSU-Politiker.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) warnte Aiwanger davor, eine Sprache zu gebrauchen, "wie sie bei Querdenkern oder Reichsbürgern auf der einen Seite und bei Klimaklebern auf der anderen Seite benutzt wird". Selbst wenn man sich über das Berliner Ampelchaos noch so aufrege, sollte man nicht in Zweifel ziehen, "dass wir eine rechtmäßige und funktionsfähige Demokratie in Deutschland haben".
"Ganz eindeutiger Populismus"
Auch andere Kritiker warfen ihm daraufhin eine Wortwahl im Stile der AfD vor. "Ich denke, wir hören hier vor allem den Wahlkämpfer 'raus, das ist natürlich ganz eindeutiger Populismus", sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) am Montag im RTL/ntv-"Frühstart". Aiwanger solle sich freuen, seit vielen Jahrzehnten in einer stabilen Demokratie leben zu dürfen. "Das ist nämlich etwas, was man weder verächtlich machen sollte noch gering schätzen sollte."
FDP-Landtagsfraktionschef Martin Hagen, selbst Redner in Erding, warf Aiwanger ein "erschreckendes Demokratieverständnis" vor. Dieser werde immer mehr zur Belastung für die Staatsregierung.
Aiwanger konterte: "Es ist undemokratisch, wenn die Ampel sehenden Auges Politik gegen eine große Mehrheit der Bevölkerung macht." Damit treibe sie die Menschen den Rechten in die Arme.
"Selbst wenn die Ampel demokratisch gewählt ist, ist das kein Beweis dafür, dass alles, was sie beschließt, auch demokratisch im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung ist." Eine Regierung müsse sich immer rückversichern, ob sie Politik für die Bevölkerungsmehrheit mache, "und das ist beim Heizungsgesetz eben nicht der Fall."
Rückendeckung bekam er von Freie-Wähler-Landtagsfraktionschef Florian Streibl. "Hubert Aiwanger hat die Demokratie nicht infrage gestellt - sondern darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Bevölkerung von der Ampel übergangen wird. Denn auch wenn man demokratisch gewählt ist, heißt das noch lange nicht, dass man Narrenfreiheit hat", sagte Streibl der dpa.
Im Wahlkampf werde zudem "manchmal auch härter hingelangt". Aiwangers Satz sei eine "legitime demokratische Äußerung" gewesen. "Klar, dass es der CSU nicht passt, wenn Hubert Aiwanger solch einen Auftritt hinlegt. Ich kann mir schon vorstellen, dass das bei der CSU Ängste auslöst", fügte Streibl hinzu.
Kritik auch am Ministerpräsidenten
Unterdessen meldete sich auch Bernhard Stiedl, Vorsitzender des DGB Bayern, mit scharfer Kritik zu Wort: "Was am vergangenen Samstag in Erding passiert ist, ist nichts anderes als eine Zeitenwende", erklärte Stiedl am Montag in einer Pressemitteilung. "Nicht nur haben sowohl Ministerpräsident Söder als auch Wirtschaftsminister Aiwanger die Bühne gerne genutzt, vor der sich auch Querdenker*innen, Verschwörungstheoretiker*innen und Anhänger*innen einer rechtspopulistischen Partei versammelt haben. Der Wirtschaftsminister war sich darüber hinaus auch nicht zu schade, mit populistischen Äußerungen billigen Applaus abzugreifen." Stiedl forderte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dazu auf, sich von den Äußerungen Aiwangers zu distanzieren.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang kritisiert den Auftritt Söders ebenfalls. Lang sagte am Montag, Söder, der trotz scharfer Attacken gegen die Ampel-Regierung lange ausgepfiffen worden war, gleiche Goethes "Zauberlehrling", der die gerufenen Geister nicht kontrollieren könne.
Nichts, was dort passiert sei, sei überraschend. "Sondern es hat sich dort noch mal ganz klar und auf den Punkt gezeigt, dass die Strategie, den Rechten nach dem Mund zu reden, am Ende nicht den Konservativen nutzt, sondern ganz im Gegenteil das Original stärkt. Und das ist ganz ehrlich eine Gefahr für unsere Demokratie."
Angesichts der zurzeit guten Umfrageergebnisse für die AfD helfe es nicht, mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sagte Lang. Sondern jede Partei trage Verantwortung, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu stärken, an manchen Stellen auch zurückzugewinnen und auf der anderen Seite den Rechtsruck zurückzudrängen.
Für seinen eigenen Auftritt erhielt Söder aber auch Rückendeckung, und zwar von CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Man sollte da, wo man eingeladen sei, Rede und Antwort stehen, sagte Czaja am Montag in Berlin. Das habe Söder in Erding getan. "Und das halte ich auch für richtig." Es sei wichtig, sich nicht zu verstecken, auch wenn einem der Wind etwas intensiver ins Gesicht blase, "und die Marktplätze nicht anderen zu überlassen". (BSZ/Christoph Trost, Marco Hadem, Torsten Holtz, Ulrich Steinkohl, dpa)
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