Selten waren Koalitionsgespräche so kompliziert wie nach dem Wahltriumph der AfD im Osten. Ralf Elcheroth erklärt, wie auch ein Bündnis zwischen CDU und BSW erfolgreich werden kann, wie Alphatiere in einer Koalition besser zusammenarbeiten können und wie er Markus Söders Taktiken zur Kanzlerkandidatur bewertet.
BSZ: Herr Elcheroth, um mit einer stabilen Mehrheit ohne die AfD regieren zu können, muss die CDU in Sachsen und Thüringen mit dem Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) koalieren. Kann das funktionieren?
Ralf Elcheroth: Grundsätzlich schon. Wichtiger als die Verhandlungen sind die Vorbereitungen, also was ist mein Ziel. Im Osten könnten das beispielsweise die Themen Arbeitsplätze, Wirtschaft und Infrastruktur sein. Dann frage ich mein Gegenüber, welche Ideen er hat und wie er die Probleme lösen möchte. Kurz: Man sollte sich auf die Gemeinsamkeiten fokussieren. Wer schon mit der vermeintlich goldenen Lösung in die Gespräche hineingeht, wird nichts erreichen. Entscheidend sind Augenmaß und Beziehungen. Politiker kennen sich, das sollten sie mehr nutzen.
BSZ: Das junge BSW muss im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 einerseits zeigen, dass es Regierungsverantwortung übernehmen kann, andererseits, dass es sich nicht über den Tisch ziehen lässt. Wie soll so ein Kompromiss gelingen, der nicht als Schwäche ausgelegt wird?
Elcheroth: Das wird schwer. Parteien in Regierungsverantwortung verlieren bei der nächsten Wahl in der Regel 3 bis 5 Prozent. Fordern ist einfacher als liefern. Das BSW ist aber in einer starken Position, weil die CDU nicht an ihnen vorbeikommt. Das würde ich verhandlungstaktisch gnadenlos nutzen und so viele meiner Punkte umsetzen. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass man nicht im Sinne der Partei, sondern im Sinne der Bürger handelt.
BSZ: Die AfD ist eine sehr heterogene Partei. Worauf käme es bei Gesprächen an, sollte die Brandmauer doch fallen?
Elcheroth: Es braucht einen Verhandlungsführer, der von allen akzeptiert ist und die Leute im Griff hat. Wenn die Gruppe selbst zerstritten ist, lassen sich keine Verhandlungen führen. Das ist auch bei Firmen so, wenn Führungskräfte, die Projektmanager oder der Einkauf unterschiedliche Ziele haben. Zumindest die Minimalziele müssen bekannt sein.
BSZ: Ist ein breitbeiniges Auftreten bei den Verhandlungen von Vorteil?
Elcheroth: Das hängt von der Machtposition ab. Normalerweise heißt es, wer argumentiert, verliert. In einer starken Situation kann man aber durchaus solche Drucktechniken anwenden. Ich würde es aber nicht übertreiben, schließlich soll es auf eine Partnerschaft hinauslaufen. Von einem zu demütigen Auftritt rate ich ab, sonst wird man später untergebuttert. In der Politik würde ich mich auch nicht auf eine Koalition festlegen oder eine ausschließen. Damit nehme ich mir bei meiner Verhandlungstaktik selbst die Karten vom Tisch.
BSZ: CSU-Chef Markus Söder sprach sich ja schon im Vorfeld für ein Bündnis der CDU mit dem BSW aus. Wie hilfreich sind solche Tipps von Unbeteiligten?
Elcheroth: Ratschläge sind auch immer Schläge. Ein guter Verhandler nimmt das zur Kenntnis und macht einfach weiter. Die Frage ist, warum hat jemand ein Interesse daran, sich in die Verhandlungen einzumischen? In den wenigsten Fällen dürfte es darum gehen, bisher unbemerkte neue kreative Optionen aufzuzeigen.
BSZ: Bei Koalitionsgesprächen dringt vieles nach außen. Erschwert der öffentliche Druck die Verhandlungen?
Elcheroth: Bei den Jamaika-Koalitionsverhandlungen 2017 haben wir ja gesehen, was bei der FDP alles durchgestochen wurde. Das ist ein großes Problem. Um ein Ziel zu erreichen, ist es schwierig, wenn jeder weiß, wie man zum Ergebnis gekommen ist. So lassen sich keine taktisch überhöhten Forderungen aufstellen, die in Wirklichkeit überhaupt nicht wichtig sind. So sehr es ein Recht auf Information geben sollte, bei Verhandlungen schadet es. Das ist sicher ein Grund, warum Verhandlungen oft mitten in der Nacht stattfinden.
BSZ: Ein anderer dürfte sein, dass sich mit zunehmender Müdigkeit leichter Kompromisse finden lassen.
Elcheroth: Sicher. Aber der Hauptgrund ist, dass die Bürger den Eindruck haben, die Politiker hätten wirklich gearbeitet. Wenn die Verhandlungen am Mittag nach 20 Minuten vorbei sind, würden wohl viele Menschen nicht an harte Verhandlungen glauben.
"Die Grünen haben in der Ampel ihren Partnern zu früh zu viel zugestanden"
BSZ: Die Ampel ist mit einer gemeinsamen Vision gestartet. Und jetzt trotzdem im Dauerstreit. Was bedeutet das für die künftigen Koalitionäre im Osten?
Elcheroth: Natürlich wird der Start schwierig werden. Aber es gibt bei Verhandlungen nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich gewinne – oder ich lerne. Wer geschickt verhandelt, wird nicht verlieren. Aus Fehlern lässt sich lernen, daraus kann auch etwas Gutes entstehen. Wer am Anfang stark startet, wird auch in schlechteren Zeiten positiver bewertet, als wer schwach startet, der sogenannte Halo-Effekt.
BSZ: Bei der Ampel scheint dieser Effekt nur bedingt zu wirken.
Elcheroth: Die Grünen haben sich zu schlecht verkauft. Sie haben zu früh den Partnern zu viel zugestanden. Wer einmal in so einer Situation ist, kommt da nicht mehr raus.
BSZ: Können zu viele Kompromisse lähmend sein?
Elcheroth: Absolut – vor allem in der Politik. Wer einen Kompromiss eingegangen ist, der ihn hemmt, kann ja nicht sagen: Ich habe einen Fehler gemacht. Das würde ihm sofort als Schwäche ausgelegt. Also zieht man auch teure Dinge durch, bei denen die Wirtschaft schon längst die Notbremse gezogen hätte.
BSZ: Was empfehlen Sie den Ampel-Mitgliedern, damit die Koalition bis zum Ende der Legislatur hält?
Elcheroth: Die werden sich zusammenraufen, selbst wenn sie noch ein paar Kröten schlucken müssen. In der Regierung können sie immer noch mehr ausrichten als nach der Wahl in einer möglichen Opposition – wenn es die FDP überhaupt wieder in den Bundestag schafft. Verhandlungstaktisch ist es immer besser, an der Macht zu bleiben. Keiner weiß, was morgen ist – denken Sie an Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder Olaf Scholz.
BSZ: Im Gegensatz zur ersten Legislaturperiode knirscht es inzwischen trotz Koalitionsvertrag auch deutlich häufiger zwischen CSU und Freie Wähler – zuletzt diese Woche. Wie erklären Sie sich das?
Elcheroth: Wer Kompromisse gegen seine Überzeugung eingeht, wird seine Selbstdisziplin nicht auf Dauer aufrechterhalten können. Außerdem würde ich mich als Freie Wähler auch von der CSU abgrenzen wollen, damit die Menschen nicht irgendwann einfach mangels Unterscheidung den größeren Partner wählen. Je stärker die Freien Wähler im Bund werden, desto häufiger wird das zu Tage treten.
BSZ: Welche Rolle spielt es, wenn sich beide Koalitionspartner als Alphatiere sehen?
Elcheroth: Das Problem bei Alphas ist generell: Sie hören nur, was sie hören wollen. Während der eine dem anderen Dinge an den Kopf wirft, überlegt der andere schon ein Gegenargument. Besser wäre es, zuzuhören und zu überlegen, warum eine bestimmte Lösung für den anderen so schmerzhaft ist.
BSZ: Welches Verhandlungsgeschick benötigt Söder, um noch Kanzler zu werden?
Elcheroth: Söder macht das taktisch gut. Er hat seine Bereitschaft für die Kanzlerschaft kundgetan, die Verantwortung aber weitergegeben. Nach dem Motto: Wenn Bürger und Politik mich nicht rufen, liegt es nicht an mir. Ich hätte nur meinen Namen etwas früher in den Ring geworfen.
BSZ: Würden Sie sagen, Menschen können besser verhandeln als noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten?
Elcheroth: Ich bin grundsätzlich Optimist, aber die Menschen sind nicht besonders lernfähig. Wir lernen im Leben, aber nicht in Generationen. Wer in Deutschland versucht, sachlich zu verhandeln, ist zum Scheitern verurteilt. Bei uns fallen 90 Prozent der Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Bei uns wird argumentiert auf Teufel komm raus. Auch muss alles immer zügig gehen. In anderen Ländern trinkt man erst mal gemeinsam einen Kaffee. Das sollten wir uns abgucken. (Interview: David Lohmann)
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