Früher konnte man einfach so ins Verwaltungsgericht marschieren. Ins Sozial-, Arbeits-, Finanz-, Land- oder Amtsgericht. Das ist in Bayern seit gut zehn Jahren vorbei. Nachdem Anfang 2012 Staatsanwalt Tilman Caspar Turck am Dachauer Amtsgericht ermordet worden war, zogen Sicherheitskontrollen in die Gerichte ein. Rathäuser und Landratsämter sind noch weitgehend frei zugänglich. Es fragt sich, wie lange noch.
So manche Mitmenschen haben ein cholerisches Temperament. Davon können Beschäftigte in Rathäusern und Landratsämtern ein Lied singen. „Aus dem Jugend-, Sozial- und Ausländeramt sowie aus dem Bürgerservicebüro kommen immer wieder Hinweise, dass sich Bürger aggressiv verhalten“, berichtet Carla Diehl, Pressesprecherin der Stadt Aschaffenburg. Deshalb werde im Moment „intensiv“ diskutiert, ob ein Sicherheitsdienst und eine Einlasskontrolle eingerichtet werden sollten.
Auch in Nürnberg wurde immer wieder mal über Sicherheitsschleusen für sensible Dienststellen diskutiert. „Doch es gab stets eine klare Mehrheitsmeinung, dass solche Schleusen nicht zum Charakter einer offenen Kommunalverwaltung für die Bürgerinnen und Bürger passen“, so Pressesprecher Andreas Franke. Sicherheitsschleusen seien an publikumsstarken Behörden außerdem ein Nadelöhr, das zu Verzögerungen führen kann. Unmut sei deshalb programmiert. „Grundsätzlich möchten wir den Eindruck vermeiden, dass sich Teile unserer Stadtverwaltung gegenüber Besuchern abschotten oder distanzieren“, erklärt Christian Kirschner von der Pressestelle der Stadt Straubing.
Allerdings soll im „Sozialen Rathaus“ der Stadt ein neuer Pfortendienst eingerichtet werden. Dies soll die Sicherheit der Mitarbeiter*innen verbessern – wobei aktuell kein konkreter Vorfall von Bedrohung bekannt ist. Der Betrieb von Sicherheitsschleusen sei nicht geplant. Die Stadtverwaltung hoffe, dass solche Kontrollen auch in Zukunft nicht erforderlich sein werden. Man habe dies aber weiter im Blick.
Fast immer wird der Sicherheitsdienst fündig
Anders in Gerichten. „Wir haben seit Oktober 2012 einen privaten Sicherheitsdienst“, berichtet Irmgard Kellendorfer, Präsidentin des Sozialgerichts in Nürnberg. Der sei auch wichtig: „Denn wir haben es oft mit einem hohen Konfliktpotenzial zu tun, die Leute streiten um Leistungen, die sie unbedingt zum Leben brauchen.“ Oft gehe es ums Existenzminimum: „Die Betreffenden stehen unter hohem Druck.“ Dadurch bestehe die Gefahr, dass jemand ausflippt. Laut Kellendorfer gibt es keine Differenzen mit Menschen, die sich und ihre Taschen vor Betreten des Gerichts per Handsonde checken lassen müssen. Bei den Sicherheitskontrollen wird vor allem nach metallischen Gegenständen gesucht. Im letzten Quartal des Jahres 2022 wurden in Nürnberg 26 Messer, 34 Sprühgeräte, elf Scheren, vier Pfeffersprays, sieben Nagelfeilen mit einer Länge von mehr als 6 Zentimetern, zwölf Glasflaschen und zwei Schraubenzieher abgenommen.
Nach Beobachtungen des Münchner Anwaltsvereins wird „mit Augenmaß“ kontrolliert. Die Zahl der festgestellten Verstöße gegen das Waffengesetz sei „erheblich“, so Petra Heinicke, Vorsitzende des Anwaltsvereins.
Beim Finanzgericht Nürnberg war es in erster Linie die „allgemeine Gefährdungslage“, die am 1. Juli 2012 zum Entschluss führte, eine Sicherheitsschleuse einzurichten. „Ein konkreter Anlass bestand nicht“, so Richterin Ute Halbig. An Sitzungstagen kontrolliert seither ein Sicherheitsdienst.
Gerade vor Sozialgerichten bringen immer mehr Menschen klar und deutlich zum Ausdruck, wie unzufrieden sie im Allgemeinen und vor allem mit der Politik sind, berichtet die Würzburger Sozialrichterin Birgit Rappelt. „Die Atmosphäre hat sich dadurch in den letzten Jahren verändert“, konstatiert sie. Oft sei im Gerichtssaal eine „unterschwellige Aggressivität“ spürbar: „Das geht quer durch alle Schichten.“ So werde beklagt, dass man jahrelang Steuern und Sozialbeiträge gezahlt habe, und jetzt, wo man einmal etwas haben möchte, zum Beispiel ein Hilfsmittel, erhalte man es nicht. Es mangelt an Verständnis gegenüber politischen Entscheidungen und gegenüber Phänomenen wie der galoppierenden Inflation.
Die Sicherheitskontrollen haben sich in Würzburg seit Ausbruch der Corona-Krise geändert. Kontrolliert wird nur noch das Gepäck. „Früher wurde jeder Besucher mit der Handsonde überprüft, seit Corona geschieht dies nur noch anlassbezogen“, sagt Rappelt, die sich kürzlich mit dem Sicherheitsdienst zu einem Informationsgespräch traf. Die Richterin war ordentlich erstaunt, dabei zu erfahren, wie oft Gegenstände aus Taschen und Rucksäcken entfernt werden: „Das ist zu 90 Prozent der Fall.“ Oft handele es sich um Nagelfeilen oder Taschenmesser. Es seien aber auch schon Schlagringe oder Drogen sichergestellt worden.
Sicherheitskontrollen als „Generalverdacht“ zu werten, ist daher überzogen. Das betont mit Blick auf die „hohe Zahl von Sicherstellungen gefährlicher Werkzeuge und Messer“ auch Barbara Stockinger, Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins. An den großen Gerichtsstandorten in München, nämlich am Amtsgericht und im Strafjustizzentrum, komme es jeden Tag zu Sicherstellungen: „Darunter sind Stichwaffen und Messer, die unter das Waffengesetz fallen.“ (Pat Christ)
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