Der Frust bei Maria Grün ist groß. So groß, dass sie ihrer Heimat Bayern sogar den Rücken kehren will. Die 28-Jährige ist seit Februar Gymnasiallehrerin für Französisch und Spanisch. Doch die Aussicht auf eine Planstelle ist gleich Null. Von 3250 Bewerbern bekamen gerade mal 254 zum neuen Schuljahr einen Job. Grün, die eigentlich anders heißt, mit ihrem Notenschnitt von 2,0 nicht. 2017 will sie ihr Glück deshalb in Nordrhein-Westfalen versuchen. „Dort zählt nicht allein die Note“, sagt sie. „Schulen, bei denen man sich persönlich vorstellen kann, haben ein Mitspracherecht.“
Das aktuelle Schuljahr überbrückt Grün mit einem befristeten Vertrag an einer bayerischen Mittelschule. Dort soll sie Flüchtlingskinder unterrichten – ohne weitere Qualifizierung, ihre Ausbildung als Fremdsprachenlehrerin genügt. Was den Verdienst betrifft, muss Grün Abstriche machen. Als Angestellte an einem Gymnasium stünde ihr ein Bruttogehalt von knapp 3520 Euro (Entgeltgruppe 13) zu. An der Mittelschule bekommt sie nur rund 3050 (E 11) Euro.
Tatsächlich herrscht in Bayern akuter Lehrermangel – aber eben nur an Grund-, Förder-, Berufs- und vor allem Mittelschulen. Das liegt zum einen an der großen Zahl an Flüchtlingskindern. Aber auch am seit Jahrzehnten nicht in den Griff zu bekommenden Schweinezyklus. So nennt man in der Wirtschaft den Wechsel zwischen Mangel und Überangebot. Das Kultusministerium versucht, mit einer jährlich veröffentlichten Lehrerbedarfsprognose und der Beratung von Studieninteressenten an Unis entgegenzuwirken, aber mit mäßigem Erfolg. Deshalb will man nun verstärkt Realschul- und Gymnasiallehrer für die Mittelschulen gewinnen. Mit der Aussicht auf eine feste Planstelle. Zwei Jahre dauert dann in der Regel die Umschulung – die Bewerber erhalten für diese Zeit einen befristeten Vertrag in E 11 – allerdings mit der Zusage auf Verbeamtung als Lehrer in der Besoldungsgruppe A12 (3365 Euro). Im vergangenen Schuljahr konnten 280 Realschul- und Gymnasiallehrkräfte dafür gewonnen werden. Über 700 solcher Stellen will Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle im neuen Schuljahr schaffen.
Warum können Flüchtlingskinder nicht aus an Realschulen und Gymnasien Deutsch lernen
Auch Grün hat sich das überlegt – und sich dagegen entschieden. Ausschlaggebend war dabei nicht, dass sie als verbeamtete Gymnasiallehrerin mehr verdient. „Ich sehe mich einfach nicht auf Dauer an der Mittelschule“, sagt sie. „Dort kann ich ja nicht einmal meine Fächer unterbringen.“ Günther Felbinger, bildungspolitischer Sprecher der Freien Wähler, ist dennoch überzeugt: Würden Lehrkräfte aller Schularten gleich entlohnt, wäre die Wechselbereitschaft höher. Mit dieser Forderung beißt die Opposition aber seit jeher auf Granit.
Den Sinn von Qualifizierungsmaßnahmen für mehr Lehrer an Mittelschulen stellt SPD-Mann Martin Güll, Vorsitzender des Bildungsausschusses im Landtag, indes in Frage. „Alle Schüler, die nicht Deutsch können, werden an die Mittelschulen geschickt, obwohl doch vor allem Gymnasial- und Realschullehrer die Zusatzqualifikation Deutsch als Fremdsprache haben.“ Seine Forderung: „Eine Übergangsklasse für jede Schule, damit würden an Gymnasien und Realschulen auf den Schlag 500 Stellen geschaffen.“
Der bayerische Lehrerverband (BLLV) hat dagegen eine andere Lösung im Blick: Alle Lehramtsstudenten sollten ein gemeinsames Grundstudium aufnehmen und sich erst später auf eine Schulart spezifizieren. Die angehenden Lehrer könnten ihre Schulwahl so stärker auf den aktuellen Bedarf ausrichten. Die CSU warnt gleichwohl vor dem „Einheitslehrer“. Ebenso wie Realschullehrer- und Philologenverband. Zu groß seien die Unterschiede an die Anforderungen für Lehrkräfte verschiedener Schularten. Doch warum soll das eigentlich nicht gehen? Erst ein gemeinsames Grundstudium, danach die Spezialisierung nach Schulart?
Referendare halten viel mehr Stunden als notwendig - so stehen noch mehr Lehrer auf der Straße
Thomas Gehring hat noch eine weiter gehende Idee. Er fordert, angehenden Lehrern die Möglichkeit zu geben, ihr Referendariat auch in einer anderen Schulart zu machen.
Den endgültigen Praxistest absolvieren angehende Lehrer heute nämlich am Ende des Studiums in einem zweijährigen Referendariat, in dessen Rahmen sie an Schulen weitgehend selbstständig unterrichten. Mindestens 11 Wochenstunden stehen sie vor einer Klasse. „Bei den meisten sind es aber 15 oder mehr“, berichtet Maria Grün. Sie findet es absurd, dass der Freistaat so Stellen einspart und noch mehr Lehrer auf der Straße stehen. Sie plädiert wie auch der Philologenverband für eine Reduzierung des Unterrichts durch Referendare. „Sonst nehmen wir uns doch die Stellen gegenseitig weg.“ (Angelika Kahl)
Anmerkung der Redaktion: Name und Funktionsbezeichnung vom bayerischen Kultusminister Ludwig Spaenle wurden ergänzt.
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