Politik

Beim Video-Chat mit dem Doktor entfallen lange Anfahrtswege oder zermürbende Wartezeiten in der Praxis. (Foto: dpa/Monika Skolimowska)

29.03.2019

Behandlung per Mausklick

Bayern will die Telemedizin vorantreiben – was bringt das, wo liegen Risiken?

Video-Sprechstunden beim Arzt, Überwachung von Risikopatienten zuhause, Facharztwissen mit einem Klick: Die Telemedizin in Bayern nimmt Fahrt auf. Die bayerische Regierung will „den Freistaat zum weltweiten Spitzenstandort für digitale Pflege und Medizin ausbauen“, wie Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) sagt. „Gerade die Telemedizin bietet große Chancen: Wir können damit medizinisches Fachwissen zu den Menschen bringen – unabhängig von ihrem Wohnort.“

Über neueste Entwicklungen informierten sich vergangene Woche Hunderte Besucher beim Bayerischen Tag der Telemedizin mit 70 Referenten in München. „Das Angebot an digitalen Lösungen für eine optimierte Gesundheitsversorgung wächst beinahe täglich“, betont Siegfried Jedamzik, Geschäftsführer der bayerischen Telemedallianz, die den Kongress zusammen mit dem Gesundheitsministerium veranstaltete.

Gerade wegen des Ärztemangels auf dem Land gilt die Online-Sprechstunde als Gewinn. Beim Video-Chat mit dem Doktor entfallen lange Anfahrtswege oder zermürbende Wartezeiten in der Praxis. Besonders ältere Menschen oder Pflegebedürftige könnten davon profitieren.
Doch ohne schnelle Netze geht es nicht, gibt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP im Landtag, Dominik Spitzer, zu bedenken. „Wir brauchen den flächendeckenden Breitbandausbau.“

60 telemedizinische Projekte hat der Freistaat bislang unterstützt. Bis 2022 will die Regierung laut Melanie Huml sechs Milliarden Euro für die Digitalisierung ausgeben, darunter auch für die Bereiche Medizin und Pflege. Den Trend in diesem Jahr sieht Allgemeinarzt Jedamzik bei der Künstlichen Intelligenz, die etwa Ärzte unterstützt. Das macht zum Beispiel das Projekt deepc, das beim Münchner Kongress den ersten Platz des Bayerischen Innovationspreises Gesundheitstelematik erhielt. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz erkennt es pathologisches Gewebe und priorisiert dringende Fälle.

Problem Datenschutz

Vor allem chronisch Kranke profitieren nach Ansicht des Münchner Allgemeinarztes und Internisten Richard Wimmer von den digitalen Gesundheitsangeboten. „Diabetiker beispielsweise nehmen Eigenmessungen vor und übermitteln diese“, so Wimmer. „Bei Herzrhythmusstörungen können die Patienten mit mobilen Geräten Langzeit-EKGs machen, die Daten werden übertragen. Damit ersparen sie sich womöglich einen Krankenhausaufenthalt, weil man rechtzeitig die Medikamente umstellen kann.“

Einen weiteren Vorteil bietet die Vernetzung von Kliniken mit Fachzentren und Experten. Rettungsdienste können die Daten ihrer Unfallopfer schon aus dem Wagen an die Klinik senden. Und sie sparen lebensrettende Zeit, weil sie kleinere, aber nähere und vernetzte Krankenhäuser ansteuern dürfen. Diese fordern dann online die Unterstützung von Experten an. Gute Erfolge hat man dabei bisher in den Bereichen Schlaganfall, Herzinfarkt und Epilepsie erzielt.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Christina Haubrich, fordert, digitale Vernetzungen zwischen Kliniken, Ärzten und Reha- sowie Pflegeeinrichtungen noch stärker auszubauen und damit die „strikte Trennung zwischen ambulant und stationär endlich aufzuheben.“ Via Internet lassen sich außerdem ärztliche Zweitgutachten leichter einholen. Man kann sich auch schneller über Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten informieren. Auf der preisgekrönten Onlineplattform von Nebenwirkungen.de kann etwa jeder Betroffene Nebenwirkungen eines Medikaments melden, und es ist der direkte Austausch zwischen Patienten, Arzt und Pharmahersteller möglich. Ziel: eine bessere Arzneimittelsicherheit.

Im vergangenen Jahr kippte die Bundesärztekammer das Fernbehandlungsverbot. Damit dürfen Ärzte Patienten ohne Erstkontakt behandeln. Für den gesundheitspolitischen Sprecher der CSU im Landtag, Bernhard Seidenath, ein wichtiger Schritt. Derzeit sei Bayern dran, das umzusetzen. Für Start-ups und telemedizinische Gesundheitsanbieter ein erfreuliches Signal.

Allgemeinarzt Wimmer sieht eine Behandlung ohne Erstkontakt mit den Patienten kritisch. „Bei banalen Problemen, wie einem Bienenstich oder Zeckenbiss, kann der Rat per Videogespräch hilfreich sein, aber sonst halte ich nichts davon, wenn ich die Patienten nicht kenne.“ Kritiker fürchten auch Fehleinschätzungen bei der digitalen Diagnose, wenn Ärzte nicht abtasten und alle Sinne bei der Diagnose einsetzen können. „Das Arzt-Patienten- Verhältnis darf niemals unter der Telemedizin leiden“, betont die Grüne Haubrich.

Sie verweist auch auf das Thema Datenschutz. Wenn hochsensible Gesundheitsdaten gehackt werden, ist der Schaden besonders groß. IT-Experten haben bereits auf Sicherheitslücken in einer Gesundheitsakte hingewiesen. In einer Elektronischen Patientenakte werden wichtige Daten der Behandelten zusammengefasst.

Bis Ende Juni müssen Ärzte in ihren Praxen Anschlüsse für die Telematik-Technik einbauen, sonst droht ihnen ein Abzug von einem Prozent des Umsatzes. Nicht jeder Arzt möchte da mitmachen. Die Meinungen seiner Patienten zur Telemedizin seien unterschiedlich, sagt Richard Wimmer. „Einige finden das sehr gut, andere lehnen das ab.“ Aus Erfahrung weiß der Internist aber sicher: „Die Patienten wünschen auch das persönliche Gespräch.“ (Lucia Glahn)

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