Politik

Geflüchtete in einem Nebenraum im Dom St. Peter in Regensburg. (Foto: dpa/Armin Weigel)

14.02.2025

Bis zu 95 Prozent werden abgelehnt

Zehn Jahre ist es her, dass die Kirchen eine Vereinbarung zum Kirchenasyl getroffen haben – eine Bilanz

In Bulgarien herrschen Flüchtlingen gegenüber ziemlich raue Sitten. „Flüchtlinge werden bei der Verhaftung und auf der Polizeistation geschlagen“, sagt Stephan Theo Reichel, Vorsitzender des ökumenischen Vereins Matteo – Kirche und Asyl. In Aufnahmezentren lebten sie unter unbeschreiblichen hygienischen Bedingungen. Um Flüchtlingen, denen die Abschiebung nach Bulgarien droht, zu helfen, initiiert die Nürnberger Organisation seit Ende 2017 Kirchenasyle in Bayern und Sachsen.

Gerade weil das Thema Migration so kontrovers diskutiert wird, ist es Stephan Theo Reichel wichtig, zu erzählen, wie es abgeschobenen Flüchtlingen ergehen kann. Und warum Kirchenasyl wichtig ist. Seit nunmehr zehn Jahren gibt es die Vereinbarung zum Kirchenasyl zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der katholischen und evangelischen Kirche. Am 24. Februar 2015 trafen BAMF und Kirchenvertreter eine – rechtlich nicht verbindliche – Verfahrensabsprache zu Härtefallprüfungen in Kirchenasylverfahren.

Stephan Theo Reichel betont: „Zwischen 90 und 95 Prozent aller Anfragen lehne ich ab.“ Doch vor allem von Abschiebung nach Bulgarien bedrohten Flüchtlingen versucht der Verein Matteo zu helfen. Ein Ende Januar veröffentlichter Recherchebericht zeigt, wie drastisch die Situation dort ist. Ein nahe Sofia inhaftierter Flüchtling erzählt: „Wir waren 70 Personen in einem Raum. Mehr als die Hälfte hatte kein Bett und wir schliefen auf dem Boden. Wir bekamen die Krätze und es gab Wanzen. Ich bekam schwere Entzündungen.“

Matteo nimmt nur Flüchtlinge auf, wenn sie in großer Not sind und wenn auch sonst nichts Nachteiliges über sie bekannt ist. Letztlich sind die Zahlen im Vergleich zur Masse an Flüchtlingen gering, so Stephan Theo Reichel: „Sie machen den Kohl nicht fett.“

289 Fälle von Kirchenasyl verzeichnete der Freistaat insgesamt 2024. Zum Vergleich: In diesem Jahr wurden in Bayern 36 000 Asylerstanträge gestellt. Fast drei Viertel aller bayerischen Kirchenasyle werden von Matteo angestoßen. 70 Prozent derjenigen, die Kirchenasyl erhalten, sind Syrer. Im Durchschnitt bleiben sie einen Monat in einem Gemeindehaus, einem Pfarrhaus oder Kloster.

289 Fälle von Kirchenasyl gab es in Bayern 2024

Von dort, wo man zu Hause ist, fliehen zu müssen, ist ein schwerer Schicksalsschlag. Der Bayerische Flüchtlingsrat erklärt: „Wir sind der festen Überzeugung, dass die Geltung von Menschenrechten Vorrang haben muss vor einer Politik der Flüchtlingsabwehr.“ Kirchenasyl ist laut Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat eine hilfreiche Institution, die stark nachgefragt wird. Einen Platz zu finden, war und ist nicht leicht. Erst war Corona ein limitierender Faktor. „Dann nahmen viele Kirchengemeinden ukrainische Geflüchtete auf.“ Aktuell werde versucht, die Zahl der Plätze zumindest nicht geringer werden zu lassen.

Dünnwald und Reichel warnen: Sowohl in Bulgarien als auch in Polen und Kroatien drohten zurücküberstellten Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit Haft und Polizeigewalt. Groß sei die Gefahr, dass sie im Krankheitsfall nicht medizinisch versorgt werden. Vor allem in Bulgarien kämen Flüchtlinge „systematisch für ein halbes Jahr oder länger in einen berüchtigten Knast“. Der Flüchtlingsrat betont, dass man solche gravierenden Missstände nicht wegreden könne, auch wenn die asylpolitische Theorie eine andere ist. „Das BAMF argumentiert grundsätzlich, dass es sich um EU-Mitgliedstaaten handelt“, erläutert er. Es verweist darauf, dass es ja EU-weite Aufnahme- und Verfahrensrichtlinien gebe.

Doch der Flüchtlingsrat hält dagegen. Zahlreiche Recherchen und dokumentierte Fälle belegten schwere Menschenrechtsverstöße. Dennoch sei aus Bayern kein Fall bekannt, bei dem das Bundesamt, überzeugt von drohender Menschenrechtsverletzung, die Zuständigkeit für einen Flüchtling aus dem Kirchenasyl übernommen hätte.

Für Menschen, die sich für Kirchenasyl einsetzen, ist die derzeitige Flüchtlingsdebatte schwer erträglich. Viele Flüchtlinge haben unvorstellbares Leid hinter sich, sagt Micha Pollok, der sich beim Erzbischöflichen Ordinariat München ums Kirchenasyl kümmert. Soeben nahm der Migrationswissenschaftler einen Mann aus dem Jemen auf: „Durch eine Landmine hatte er ein Bein verloren.“ Mit Krücken machte er sich auf die Flucht: „In Bulgarien schlug er sich allein eine Woche im Wald durch.“ Dann wurde er von Sicherheitskräften aufgestöbert: „Und sein Bein von Hunden so gebissen, dass mehrere Knochen brachen.“

Auch am Beispiel der Erzdiözese München zeigt sich, dass Kirchenasyl quantitativ nicht ins Gewicht fällt. 35 Kirchenasyle wurden im Jahr 2024 von Micha Pollok organisiert. Im Durchschnitt waren die Flüchtlinge zwei Monate in kirchlicher Obhut. Danach war die sogenannte Überstellungsfrist von regulär sechs Monaten abgelaufen. Was bedeutet, dass dann nicht mehr der Drittstaat, über den der Flüchtling eingereist ist, für das Asylverfahren zuständig ist. Sondern Deutschland.

Auch in der Erzdiözese München werden vor allem Menschen aus Syrien und Afghanistan aufgenommen. Viele sind laut Micha Pollok krank: „Sie leiden zum Beispiel an Krebs.“

Der Wunsch nach Kirchenasyl sei häufig nicht realisierbar. „Ich bekomme im Durchschnitt fünf Anfragen am Tag“, berichtet der Migrationsexperte. In den allermeisten Fällen lehnt er die Bitte nach Kirchenasyl umgehend ab. Vor allem, wenn es sich nicht um Flüchtlinge handelt, die in einen „sicheren“ Drittstaat abgeschoben werden sollen: „Sondern etwa in die Türkei, in den Irak oder nach Sierra Leone.“ Auch muss das Asylverfahren, das nach Ablauf des Kirchenasyls beginnt, große Aussichten auf Erfolg haben. Wird Kirchenasyl nach strenger Prüfung gewährt, seien die Betroffenen überwältigt. Pollok sagt: „Einige empfinden das wie ihren zweiten Geburtstag.“ (Pat Christ)
 

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