Politik

Shoppingmeile Fünf Höfe in München, hier in Vor-Corona-Zeiten. Den Leuten ist das Schlendern durch die Läden inzwischen vergangen. (Foto: dpa/Sebastian Gollnow)

07.08.2020

Bummeln war gestern

Auch nach Corona wird der Handel in vielen Städten nicht mehr boomen – wichtiger werden Gastronomie und Kultur

Vor der Schließung stehende Warenhäuser, verrammelte Schuhläden und insolvente Bekleidungsgeschäfte: Auf Bayerns Innenstädte mit ihren Einkaufsstraßen wird die Corona-Krise gravierende Auswirkungen haben. Die Filialschließungen der bereits vor Corona in Not geratenen Handelskette Karstadt/Kaufhof sind dabei nur die Spitze eines Eisbergs, dessen gesamte Dimension sich erst im Herbst offenbaren dürfte. Dann, wenn Corona-Hilfen ausgelaufen sind und die Insolvenzantragspflicht wieder eingesetzt hat.

Ist Corona der Todesstoß für Bayerns Innenstädte? „Viele lagen schon vor der Krise auf der Intensivstation“, betont Bernd Ohlmann, Pressesprecher des Handelsverbands Bayern. Aufgrund des wachsenden Online-Handels und der Verlagerung von Verkaufsflächen auf die grüne Wiese. Beispiel Ingolstadt: Seit es dort das Westpark Einkaufszentrum und das Outlet-Center Ingolstadt Village gibt, verödet die Altstadt zusehends.

Aber nicht nur Ingolstadt hat ein Problem – auch in den Zentren vieler anderer bayerischer Städte gibt es Leerstand und immer weniger Passanten. Aktuell seien dort immer noch 30 bis 35 Prozent weniger Menschen unterwegs als vor der Krise, sagt Ohlmann. „Im Worst Case könnte es durch Corona in Bayern bis zu 5000 Pleiten im Einzelhandel geben.“ Er hofft nun auf das Weihnachtsgeschäft, um das Schlimmste abzuwenden. „Läuft das gut, kommen wir mit einem blauen Auge davon“, so Ohlmann.

Das Konsumverhalten lässt sich nicht erzwingen

Selbst dann bleibt Corona ein Beschleuniger des Strukturwandels. „Internet-Shopping hat nun auch weniger online-affine Gruppen erreicht“, sagt Manfred Miosga, Professor für Stadt- und Regionalentwicklung an der Uni Bayreuth. „Geht das Umsatzvolumen im stationären Einzelhandel anhaltend zurück, werden viele inhabergeführte Geschäfte ins Taumeln kommen.“ Dann müsse man sich womöglich von der Leitfunktion des Handels in Zentren kleiner und mittlerer Städte verabschieden. Vor allem für die Versorgung im ländlichen Raum wäre das ein Problem.

Tatsächlich sind die Ausgaben in den bayerischen Innenstädten teilweise bereits deutlich gesunken. „In einigen Städten innerhalb von fünf Jahren um rund 25 Prozent“, sagt Markus Hilpert vom Lehrstuhl für Humangeographie und Transformationsforschung an der Uni Augsburg. „Viele Menschen wünschen sich zwar lebendige Innenstädte mit vielen kleinen Läden, aber ihr Verhalten produziert andere Strukturen.“

Die Leute können nicht zu einem anderen Konsumverhalten gezwungen werden. Was also tun? „Man könnte fast von einer Sinnkrise der Innenstädte sprechen angesichts der oft sehr kontrovers geführten Debatten über die richtigen Konzepte“, stöhnt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). „Mehr Supermärkte ja oder nein, Fußgängerzonen ja oder nein, Autos reinlassen ja oder nein ...“ Aiwanger betont: „Probleme entstehen vor allem dann, wenn in einer Innenstadt nichts mehr zugelassen wird, was attraktiv ist und die Menschen anzieht.“ Das müsse nicht unbedingt ein starker Handel sein. Auch Wohnen, Gastronomie oder Dienstleistungen könnten diese Aufgabe erfüllen, so Aiwanger.

Das sehen auch Experten so. „Das Gesicht der Innenstadt wird sich zwar verändern“, sagt Christian Bitter, Geschäftsführer des Berufsverbands City- und Stadtmarketing Bayern. „Eine Nutzungsmischung aus Handel, Kultur, Gastro und Wohnen aber könne es positiv verändern.“ Auch die Wissenschaftler Miosga und Hilpert betonen, ein gutes Citymanagement habe stets die Multifunktionalität im Blick. „Solange die Menschen ausreichend Gründe finden, die Innenstadt zu besuchen, besteht die Gefahr der Verödung nicht.“ Unterstützung kommt hier von Bund und Staatsregierung – mit dem neuen Städtebauförderungsprogramm Lebendige Zentren. 223 Gemeinden in Bayern werden mit knapp 80 Millionen Euro darin unterstützt, ihre Zentren zu attraktiven Orten für Wohnen, Arbeiten, Wirtschaft und Kultur zu entwickeln.

Bei der Multifunktionalität allerdings seien derzeit in den meisten Städten eher negative Entwicklungen zu beobachten, so Hilpert, der hier auch die Politik in der Pflicht sieht. In Augsburg sind etwa die Polizeiinspektion, das Arbeitsamt und die Handwerkskammer aus der Innenstadt weggezogen, klagt er. Wandern solche zentralen Einrichtungen ab, beschleunige das die negative Trendentwicklung. Hilpert mahnt: „Umso wichtiger ist es, dass die kommunalen Entscheidungsträger die Magnetfunktionen solcher Einrichtungen und Institutionen erkennen.“
(Angelika Kahl)

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