Für Christoph P. scheint im vergangenen Jahrhundert so manches geschichtliche Großereignis schlicht nicht stattgefunden zu haben. Dieser Eindruck entstand jedenfalls, als man sich Mitte Februar vor Gericht anhörte, warum der Freistaat Bayern den Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München (HM) unbedingt aus dem Beamtenverhältnis werfen will.
Fein säuberlich zitierte die Vorsitzende Richterin am Bayerischen Verwaltungsgericht München bei der Verhandlung aus zahlreichen Schreiben des Landshuters. Christoph P. habe sich zwischen Januar und November 2016 an mehrere Behörden und Gerichte gewandt. Er melde sich „ab in das Königreich Bayern“, zitierte die Richterin aus einem Schreiben an die Stadt Landshut. Auch habe er einen blauen „Reichspass“ mit der „bayerischen Staatsangehörigkeit“ beantragt. Seinen Personalausweis habe der Professor, zu dessen Schwerpunkten die IT-Sicherheit zählt, an eine Behörde zurückgeschickt.
Manches, was der Professor und Geschäftsmann den Vorwürfen zufolge Behördenmitarbeitern an den Kopf geworfen haben soll, wirkt krude. Kein Wunder: Es gebe starke Indizien dafür, „dass der Professor der Reichsbürger-Bewegung angehört“, so die Richterin. „Reichsbürger“ erkennen in der Regel die Bundesrepublik nicht an, viele von ihnen sehen in Deutschland noch immer ein besetztes Land und lehnen häufig dessen Gerichtsbarkeit ab.
Seit 2003 ist P. laut Gericht Beamter auf Lebenszeit, sein Gehalt wird damit de facto vom Steuerzahler finanziert – doch vom deutschen Staat scheint er nicht die beste Meinung zu haben. Wahlweise habe er etwa die Stadt Landshut als „Firma“ oder einen Bürgermeister als „Fremdgeschäftsführer“ bezeichnet. Das Gericht teilte deshalb die Auffassung des Freistaats: Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei rechtens. P. habe gegen seine „politische Treuepflicht verstoßen“. Es ließ jedoch den Gang in die nächste Instanz zu. P. war vor Gericht nicht anwesend und zunächst auch für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Der Professor ist mit seiner Einstellung, Geld eines Staats zu nehmen, den er eigentlich ablehnt, nicht alleine. Doch das Eis für Menschen, denen eine Nähe zur Reichsbürgerbewegung nachgewiesen werden kann, wird in Bayern dünner. Justiz, Polizei und Staatsregierung fahren einen immer härteren Kurs gegen die Verschwörungs-Bewegung. In einer Vielzahl von Fällen versuchten bayerische Behörden insbesondere bei der Polizei, seit 2016 „Reichsbürger“ aus ihren Reihen zu entfernen.
SPD will mehr Prävention
Klar ist jedoch: Die „Reichsbürger“-Bewegung hat ihre Anhänger im Freistaat bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Jeder vierte identifizierte „Reichsbürger“ in Deutschland lebt in Bayern. Dies geht aus einer aktuellen Erhebung hervor, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) diese Woche im Innenausschuss des Landtags vorgestellt hat. Demnach leben 3850 der bundesweit rund 15 000 „Reichsbürger“ im Freistaat. Bei weiteren gut 1400 Personen in Bayern sind nach Angaben Herrmanns die Überprüfungen wegen eines Verdachts noch nicht abgeschlossen. „Wir gehen weiter aktiv und konsequent gegen die Reichsbürgerszene vor“, sagte er. Generell seien bei der Bekämpfung viele Fortschritte zu verzeichnen.
Am Wochenende hatten die Ermittler in Hof einen mutmaßlichen „Reichsbürger“ gefasst. Er soll im vergangenen Herbst ein Auto in Brand gesetzt haben – über das Motiv ist bislang nichts bekannt. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand die Polizei Waffen und Munition, zudem war der 61-Jährige bei seiner Festnahme bewaffnet. Herrmann betonte weiter, in Bayern sei bislang 269 „Reichsbürgern“ das Recht auf Waffenbesitz entzogen worden. Dabei wurden bis Ende 2017 607 Waffen eingezogen. Ferner seien gegen 18 bayerische Beamte wegen ihrer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene Disziplinarverfahren eingeleitet worden, darunter acht aktive Polizisten.
„Reichsbürger“ seien nicht „irgendwelche Spinner, sondern um Leute, die klar außerhalb des Grundgesetzes stehen“, sagte der Minister. Laut Herrmann besteht der harte Kern der Szene in Bayern aus rund 350 Personen, 60 davon seien dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen. Die Szene sei überwiegend männlich geprägt, der Altersschwerpunkt liege im Bereich der 40- bis 69-Jährigen. Die Opposition lobt die Staatsregierung für ihr härteres Vorgehen. „Wir begrüßen, dass die Staatsregierung die Gefährlichkeit der Reichsbürgerszene endlich richtig einschätzt und entsprechende Maßnahmen ergreift“, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter der Staatszeitung. Es gebe „allerdings auch viel nachzuarbeiten“. Für ihn ist klar: „Gerade bei der Prävention muss noch einiges getan werden.“ Er verweist auf die subtilen Anwerbetricks von „Reichsbürgern“. „Es werden Videovorträge, Seminare und Referate abgehalten, die das Bild vermitteln, man könne die Zahlung von Schulden, Steuern oder Strafzetteln umgehen, wenn man der Ideologie folgt.“ Dies sei „oftmals der Einstieg in die Indoktrinierung“. Doch die klassischen Präventionskonzepte würden hier nicht greifen. „Da ist einiges zu tun“, sagt Ritter. (Tobias Lill)
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