Mitte Dezember wurde die 57-jährige Juristin aus dem Oberpfälzer Wernberg-Köblitz zur neuen Vorsitzenden der SPD-Landesgruppe gewählt. Sie tritt die Nachfolge von Martin Burkert an, der sich nicht mehr zur Wahl stellte. Schieder sitzt seit 2005 im Bundestag, in der SPD-Fraktion fungiert sie auch als parlamentarische Geschäftsführerin. Vor ihrem Einzug in den Bundestag war sie neun Jahre lang Abgeordnete im bayerischen Landtag.
BSZ: Frau Schieder, Franz Müntefering hat einmal gesagt: „Opposition ist Mist!“ Hatte er recht?
Marianne Schieder: Zu regieren ist immer besser, weil man dann eigene Vorhaben auch direkt umsetzen kann. Opposition ist aber auch nicht von Haus aus Mist, sie gehört zur Demokratie dazu. Von der Opposition gehen oft wichtige Impulse aus, das erlebt man vom Gemeinderat bis zum Bundestag. Politik besteht nicht nur aus dem, was man beschließt, sondern auch aus dem, was man an Diskussionen in Gang bringt. Ich würde sagen: Franz Müntefering hatte teils, teils recht.
BSZ: Bei der SPD hat man gerade den Eindruck, dass Regieren Mist ist.
Schieder: Die niedrigen Umfragewerte für die SPD lösen in der Partei schon etwas Verzweiflung aus. Vor allem, weil keiner so genau weiß, woher die schlechten Werte kommen. Denn ich meine schon, dass die Bundesregierung eine gute Arbeit macht und die zentralen Themen der Menschen anpackt. Die SPD und ihre Minister leisten dazu einen entscheidenden Beitrag. Nur kommt das offenbar bei den Menschen nicht an und wird nicht anerkannt. Daher kommt wohl bei vielen Mitgliedern das Gefühl, dass Regieren Mist ist.
BSZ: Wo stehen Sie in der Groko-Frage?
Schieder: Ich weiß, dass eine große Koalition in einem demokratischen Staatswesen nicht die Regel sein darf. Wir wollten die Groko nach der Bundestagswahl ja auch nicht fortsetzen. Wir sind nur wieder ins Boot geholt worden, weil „Jamaika“ an der FDP gescheitert ist. Ich habe damals zu denen gehört, die es abgelehnt haben, Gespräche mit der Union auszuschließen. Aus dem Reden mit der Union ist aus meiner Sicht ein wirklich guter Koalitionsvertrag geworden, dem zwei Drittel unserer Mitglieder zugestimmt haben. Ich finde, diese große Koalition ist wesentlich besser als ihr Ruf.
BSZ: Jetzt hat dieselbe Parteibasis ein neues, Groko-kritisches Führungsduo für die SPD gewählt. Ist das nicht ein eindeutiger Fingerzeig?
Schieder: Richtig ist, dass ein eher Groko-kritisches Duo gewählt wurde. Auf dem Parteitag wurde aber auch mit großer Mehrheit beschlossen, in der Groko zu bleiben.
BSZ: Ist das nicht das Hauptproblem der SPD, dass sie nicht endlich einmal klipp und klar sagt, ob man die Groko ohne Wenn und Aber durchziehen will oder mit aller Konsequenz aussteigt?
Schieder: Unser Auftrag ist, den vereinbarten Koalitionsvertrag abzuarbeiten. Natürlich gibt es kritische Stimmen in der Partei, wir wollen auch keine Debatten unterdrücken. Aber ich bin der Meinung, dass mit dem positiv beschlossenen Leitantrag auf dem Parteitag der Sachverhalt geklärt wurde. Das war ein deutliches Bekenntnis, in der Groko bleiben zu wollen.
"Unsere Chance als SPD ist ein sozial gerecht gestalteter Klimaschutz"
BSZ: Also geht das viele SPD-Anhänger nervende Gewurschtel nicht weiter?
Schieder: Ein Gewurschtel kann ich nicht erkennen. Ich finde, die öffentliche Diskussion läuft auch ein bisschen zu sehr an Personalien orientiert und nicht an Sachthemen. Es läuft mir oft auch zu schwarz-weiß. Bis zu dem Tag, an dem Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken gewählt waren, hieß es in allen Talkshows, die Groko ist Mist. Seitdem heißt es nur noch, raus aus der Groko ist Mist.
BSZ: Liegt das nicht auch an der Außendarstellung der SPD, dass man Probleme in den Vordergrund rückt und nur verschämt über Erfolge redet?
Schieder: Wenn ich das wüsste, wäre ich längst Parteivorsitzende oder Bundeskanzlerin. Wir fragen uns täglich, warum der Erfolg, den wir in der Sache unzweifelhaft haben, nicht auf unser Konto einzahlt.
BSZ: Vielleicht bräuchte es mal jemanden, der eine klare Ansage macht?
Schieder: Dass einer klare Ansagen macht, ist nicht das Ding der SPD. Demokratie lebt von offenen Diskussionen. Da muss man respektieren, dass manche Entscheidungen etwas länger dauern.
BSZ: Wo läge aus Ihrer Sicht für die SPD aktuell die Alternative zur Groko?
Schieder: Da gibt es mit Blick auf die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse im Land keine. Noch einmal: Wir haben einen guten Koalitionsvertrag, wir haben gezeigt, dass wir ihn umsetzen können. Wir sollten unsere Vorhaben weiter abarbeiten – und wenn die Legislaturperiode dann um ist, wird wieder gewählt.
BSZ: Was hat Sie motiviert, gerade jetzt einen Führungsjob in der SPD zu übernehmen?
Schieder: Ich bin seit 2009 stellvertretende Landesgruppenvorsitzende. Jetzt wurde der Posten des Vorsitzenden durch den Wechsel von Martin Burkert zur Eisenbahner-Gewerkschaft frei, deshalb bin ich angetreten. Zum anderen ist die bayerische SPD-Landesgruppe ein gewichtiger Teil der Bundestagsfraktion.
BSZ: Wollen Sie sich auch in der bayerischen SPD stärker engagieren?
Schieder: Ich war schon Mitglied des Präsidiums und des Landesvorstands, als Landesgruppenchefin bin ich da nun wieder vertreten.
BSZ: Wie erleben Sie die bayerische SPD gerade?
Schieder: Die kämpft auch mit schwierigen Umfrageergebnissen. So mancher versucht, die Ursachen dafür auf die Bundesebene abzuschieben. Aber so einfach ist es nicht.
BSZ: Wo hakt es dann in der bayerischen SPD?
Schieder: Das hat sicher mehrere Ursachen, aber das möchte ich lieber intern ansprechen.
BSZ: Braucht die bayerische SPD ein starke, vernehmbare Stimme? Von der Landesvorsitzenden Natascha Kohnen hört man sehr wenig.
Schieder: Sie können es gerne probieren, aber ich gehöre nicht zu denen, die Parteischelte in die Öffentlichkeit tragen.
BSZ: Aber stimmen Sie zu, dass eine gewisse Durchschlagskraft fehlt?
Schieder: Auch darauf bekommen Sie keine Antwort. Ich kenne die Gremien, in denen ich meine Ansichten ansprechen kann.
BSZ: Können Sie wenigstens verraten, mit welchen Ideen Sie in diese Gremien gehen wollen?
Schieder: Meine Priorität gilt jetzt der Landesgruppe, die ich zu einem Ort der politischen Diskussion über die Themen machen will, die für Bayern in Berlin wichtig sind. Wir wollen eine starke Stimme Bayerns in der Bundesregierung sein. Wir Bundestagsabgeordnete müssen uns auch so aufstellen, dass wir trotz geringerer Zahl wieder in der Fläche präsenter sind.
BSZ: Wenn Sie mit Bürgern reden, wie erklären Sie denen, dass die SPD die richtige Wahl ist?
Schieder: Ich sage ihnen, dass wir eine vernünftige Politik machen. Ich zähle die Grundrente auf, die Stabilisierung des Rentenniveaus, die Beschlüsse zur Verbesserung der Pflege, das neue Paketboten-Schutz-Gesetz, das Gute-Kita-Gesetz – es gibt eigentlich keinen zentralen Politikbereich, in dem wir nichts vorangebracht hätten.
BSZ: Trotzdem verliert die SPD auf der einen Seite Wähler an die Grünen, auf der anderen an die Linke und die AfD. Hat die SPD noch eine Zukunft?
Schieder: Aber sicher. In unserer schnelllebigen Zeit kann es in einem Jahr schon wieder ganz anders aussehen. Ein Beispiel: Bei der Bundestagswahl wurden die Grünen die kleinste Oppositionspartei und heute stehen sie in Umfragen bei über 20 Prozent. Ich denke, unsere Chance als SPD ist ein sozial gerecht gestalteter Klimaschutz. Der hat nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Seite. Diesen Ausgleich zu schaffen, dafür steht nur die SPD.
(Interview: Jürgen Umlauft)
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