Politik

Immer wieder werden politisch als nicht zulässig geltende Gastredner und Dozenten an deutschen Unis von Studenten angefeindet und niedergebrüllt - manchmal sogar mit stiller Billigung der Hochschulleitungen. (Foto-Symbolbild: dpa/Fredrik von Erichsen)

19.02.2021

"Über manche Themen soll nicht geforscht werden"

Der Bamberger Philosophie-Professor Christian Illies über Cancel Culture und politische Einschüchterung an deutschen Universitäten

Rund 70 Hochschullehrer*innen aus ganz Deutschland haben Anfang Februar das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit gegründet – weil sie die Freiheit von Forschung und Lehre durch ideologische Motive bedroht sehen. Auch Christian Illies wurde schon attackiert, als er einen Gastredner einlud, dessen Thesen manchen missfielen.
 

BSZ Herr Professor Illies, das von Ihnen mitbegründete Netzwerk sieht die Freiheit der Wissenschaft bedroht. Ist das in einer Demokratie wie Deutschland nicht etwas übertrieben?
Christian Illies Es ist unverzichtbar für jede Wissenschaft, dass sie sich frei entfalten kann und ohne Denk- und Frageverbote die Wahrheit sucht. In Diktaturen wird das oft unterdrückt, aber auch in Demokratien gibt es immer wieder Versuche, die Wissenschaft zu instrumentalisieren oder politisch zu lenken. Mal sind diese stärker, mal schwächer. Und im Moment nehmen die sie in Deutschland erheblich zu.

BSZ Und wie passiert das?
Illies Beispielsweise durch studentische Aktivitäten, die Veranstaltungen verhindern, durch Erwartungen, worüber und worüber nicht geforscht wird, was sich etwa durch die gezielte Vergabe oder eben Nicht-Vergabe von Forschungsgeldern zu politisch gewünschten Themen spiegelt. Und es zeigt sich, wenn man spezielle Redner zu Vorträgen nicht mehr einlädt oder sogar auslädt. An der Universität Hamburg gab es zum Beispiel ein Auftrittsverbot für den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, der von der liberalen Hochschulgruppe eingeladen worden war, während SPD-Vize Kevin Kühnert oder die damalige Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, auftreten durften.

BSZ Mit welcher Begründung?
Illies Es wurde von der Universitätsleitung gesagt, Herr Lindner würde sich parteipolitisch äußern – und dafür dürfe eine Hochschule keine Plattform zur Verfügung stellen –, bei Frau Wagenknecht und Herrn Kühnert dagegen sei es ein primär wissenschaftlicher Vortrag.  Doch das überzeugt nicht, selbstverständlich äußerten sich auch Frau Wagenknecht und Herr Kühnert politisch. Aber sie genießen im akademischen Umfeld mehr Zustimmung mit ihren Ansichten und Thesen.

BSZ Und wer wollte Lindners Auftritt verhindern?
Illies Es war die Universitätsleitung, die hat den Auftritt verboten. Und es wurde auch von der Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) gestützt. Aber das ist nur ein besonders offensichtlicher Fall von Einflußnahme. Meist sind es nicht direkte Verbote, sondern weichere Druckmittel wie soziale Sanktionen. Nur ein Beispiel: Ich selbst hatte vor einiger Zeit den ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, Paul Kirchhof, eingeladen. Er plädierte sehr intelligent dafür, dass Eltern von minderjährigen Kindern für diese zusätzliche Stimmen bei Wahlen erhalten sollen. Darüber kann man natürlich inhaltlich streiten. Im Anschluss bekam ich aber statt Argumenten nur den allgemeinen Vorwurf,  dass man jemanden wie Kirchhof mit seinen Ansichten zur Familie überhaupt nicht einladen dürfe. Und es gab mehrere Warnungen von besorgten Kollegen und Kolleginnen, ich solle doch in Zukunft vorsichtiger sein mit meinen Einladungen.

BSZ Trifft sowas nur Gastredner aus der Politik oder auch Professoren?
Illies Auch Professoren. Paul Kirchhof ja auch Hochschullehrer. Oder denken sie an die Universität Frankfurt/M., da veranstaltete die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter eine Tagung zur Frage, ob das Kopftuch für muslimische Frauen ein Zeichen der Unterdrückung ist. Dagegen erfuhr sie massiven Protest und Druck von Studenten – mit der Begründung, dass sie zu wenig Befürworter des Kopftuchs eingeladen habe und bereits die Fragestellung eine rassistische Position zeige. Es ging aber gar nicht um Frau Schröters Position zum Thema, sondern es sollte überhaupt nicht von Wissenschaftlern darüber gesprochen werden. Zum Glück stellt sich die Unileitung aber hinter Frau Schröter, so dass die Tagung mit Polizeischutz stattfinden konnte.

BSZ Kann einen Wissenschaftler der falsche Gast oder das falsche Vorlesungsthema die Karriere kosten?
Illies Einen verbeamteten Professor sicher nicht die Stelle. Aber es herrscht an den Universitäten inzwischen ein subtiles Klima der Einschüchterung. Das Allensbacher Institut für Meinungsforschung hat ermittelt, dass heute rund ein Drittel der über 1000 befragten Wissenschaftler das Meinungsklima für intolerant halten und sich zunehmend eingeschränkt fühlen. Mit der Folge, dass es sich vor allem junge Kollegen sehr gut überlegen, womit sie sich beschäftigen und mit wem sie zusammenarbeiten, um nicht politisch anzuecken und ihre Laufbahn nicht zu gefährden. Das geht allerdings schon länger so. Bereits zu meiner Zeit als Assistent riet mir ein wohlmeinender älterer Kollege, bestimmte Publikationen in Bewerbungen lieber wegzulassen, weil das meine Chancen auf eine Professur schmälern könnte.

BSZ Worum ging es da?
Illies Ich forschte damals zu religionsphilosophischen Fragen, etwa zur Frage, ob es denkmöglich ist, das Leiden in der Welt mit einem guten Gott zu vereinen. Einen ähnlichen Fall erlebt ich einmal in der Ethik, in der etwa  starke Schutzforderungen für Embryonen bereits eine Position ist, mit der man seine Berufungsaussichten erheblich schmälert.

BSZ Wovor fürchten sich die jungen Wissenschaftler?
Illies Wissenschaft lebt von Kritik und davon, dass wir abweichende Meinungen ernst nehmen und bedenken. Doch derzeit wird, im öffentlichen Leben wie an der Universität, die Trennung zwischen Person und Meinung immer weniger klar vollzogen. So wie wir es in der Politik erleben, dass abgelehnte inhaltliche Positionen auch zu einer Diskreditierung oder Diffamierung der sie vertretenden Menschen führen, so geschieht das inzwischen auch in wissenschaftlichen Diskursen. Sie werden immer polarer, es gibt nur noch gute und böse Positionen. Damit werden sie aggressiver und verbunden mit einer Ablehnung des Forschers, der eine andere Auffassung hat. Die jungen Wissenschaftler sehen das und fürchten, mit abweichenden Meinungen oder Forschungsfragen keine Stelle zu finden.

  

BSZ Gibt es an den Universitäten eine Cancel Culture?
Illies Ja, durchaus. Bestimmte Forscher werden nicht mehr eingeladen oder sie werden wegen ihrer Themen und Positionen geächtet. An der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr  sollte es 2018 einen Vortrag des amerikanischen Wissenschaftlers Murray Salby geben, der die menschliche Beteiligung am CO2-Anstieg für nicht entscheidend hält. Der musste abgesagt werden, weil diese Position als nicht akzeptabel galt. Nun glaube ich zwar auch an den von Menschen gemachten CO2-Anstieg; die Evidenz scheint mir kaum bestreitbar. Aber es ist unwissenschaftlich, wenn sie gar nicht mehr kritisiert werden kann, wenn eine solche Position wie die von Salby nicht mehr vertreten werden darf an Unis.

BSZ Wann begann diese Entwicklung, die Sie beklagen?
Illies Die offensichtlichen Manifestationen sind in den vergangenen zehn Jahren sichtbar geworden – vor allem zunächst in den USA. Hans Ulrich Gumbrecht spricht da bereits von einem „Regime des Meinungsterrors“. Aber seit einigen Jahren auch in Deutschland. In dieser Schärfe wiederum ist es ein sehr junges Phänomen bei uns – so seit zwei, drei Jahren. Ich las, dass  Muray Salbay 2013 noch an der Bundeswehrhochschule einen Vortrag halten konnte, 2018 aber nicht mehr. Die Cancel Culture in Form von gestörten universitären Vorträgen sind dabei nur der sichtbare Teil. Gefährlicher ist die schleichende Unsicherheit und der schleichende Konformismus von Wissenschaftlern, die sich diesem allgemeinen Stimmungsbild und Zeitgeist in vorauseilendem Gehorsam anpassen und etwa sogenannte umstrittene Personen gar nicht mehr einladen, um keinen Ärger zu bekommen. Oder auch nicht mehr wagen, in der Wissenschaft eigenwillig gegen den Strom zu denken.

BSZ Ich stamme aus der Ex-DDR: Bin ich paranoid, wenn ich mich angesichts Ihrer Ausführungen daran erinnert fühle?
Illies Da ich nie in der DDR lebte, kann ich das nicht wirklich beurteilen. Aber es ist interessant, dass vor allem meine Kollegen aus Ostdeutschland hier sensibel reagieren, weil sie  Mechanismen der Meinungsbeschränkung zu gut kennen. Allerdings: In der DDR gab es ganz offensichtliche Meinungslenkung durch Verbote und eindeutige Einschränkungen der Freiheit. Davon sind wir noch weit entfernt.

BSZ Bewegen wir uns darauf zu?
Illies Ich hoffe nicht. Es gibt aber zumindest Statistiken die zeigen, dass der Wert, welcher der Freiheit zugesprochen wird, bei uns abnimmt. Lebenssicherheit und Komfort werden den Menschen wichtiger, auch in der akademischen Welt. Das erschreckt mich, weil es wohl heißt, dass immer weniger für die Freiheit aufstehen, wenn sie bedroht ist.

BSZ Wer steckt hinter der Cancel Culture?
Illies Es gibt ganz offensichtlich politische Gruppierungen, die dieser Cancel Culture durchaus offen gegenüber stehen – vor allem, wenn auch nicht nur, aus dem linken Spektrum. Dort begrüßt man es ausdrücklich, dass Universitäten verstärkt politisch gestaltend auf die Wissenschaft Einfluss nehmen. Aber die Einflüsse kommen auch von anderen Seiten, die so ihre Interessen durchsetzen wollen. Und wenn man meint, es gehe sowieso bei der Wissenschaft nicht um Wahrheit und Erkenntnis, sondern um bloße Deutungsmacht, dann liegt das ja auch nahe, sie selbst als Machtspiel zu betreiben.

BSZ Was erhoffen Sie sich von dem  neu gegründeten Netzwerk?
Illies Es ist wichtig, über dieses schleichende Problem zu sprechen. Viele Hochschullehrer, Mitarbeiter, aber auch Studenten erkennen es bereits als ein solches. Es gibt eine spürbare Beschränkung der Meinungsfreiheit an den Universitäten, das zeigen ja die Untersuchungen von Allensbach. Aber in einer Schweigespirale wird darüber zu oft nicht geredet. Wir müssen diese Beschränkung in die Öffentlichkeit bringen und das Schweigen durchbrechen. Ich erhoffe mir daher vom Netzwerk, eine kritische Selbstreflexion der Universitäten anzuregen. Und es muss auch in der Öffentlichkeit deutlich werden, was Wissenschaft bedeutet, was sie braucht für ihre Entfaltung - und was die Politik tun muss, um diesen Raum der freien Entfaltung zu erhalten und um Versuche einer Einflussnahme von außen wie von innen zurückzuweisen. Denn wenn die Wissenschaft ihre Freiheit verliert, dann verlieren wir die Wissenschaft.
(Interview: André Paul)

Foto im Text (BSZ): Christian Illies (57) ist seit 2008 Professor an der Universität Bamberg.

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