Nach den umstrittenen Bundestagsabstimmungen zur Migrationspolitik haben in Bayern mehrere teils hochrangige Mitglieder des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) die Partei verlassen. BSW-Landeschef Klaus Ernst berichtete auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa, dass inzwischen sieben Mitglieder ihren Parteiaustritt erklärt hätten, darunter der Europaabgeordnete Friedrich Pürner. Zuerst hatte am Mittwochabend der "Spiegel" über die Austritte berichtet, zu dem Zeitpunkt waren es noch sechs – darunter sind allerdings zwei Mitlieder des Landesvorstands und ein Top-Gewerkschafter.
Pürner hatte schon in den vergangenen Wochen mehrfach öffentlich gesagt, dass er darüber nachdenke, die Partei zu verlassen. Er hatte dies insbesondere mit dem parteiinternen Umgang miteinander begründet.
„Hierarchische Top-Down“-Struktur beim BSW?
Sechs bayerische Mitglieder mit teils wichtigen Parteiämtern haben bereits in den vergangenen Tagen - auch und gerade wegen des Rechtsrucks beim Thema Migration - ihren Austritt aus dem BSW erklärt. In einem „Statement zum Austritt aus der Partei“, das der Staatszeitung vorliegt, monieren die sechs Aussteiger vorwiegend die Migrationspolitik des BSW. Die Unterzeichner kritisieren dabei eine „populistische Zuspitzung, die unnötige gesellschaftliche Spaltungen fördert und Gefahr läuft, sich rhetorisch am rechten Rand zu bedienen“. Man dürfe nicht „Minderheiten gegen Minderheiten“ ausspielen, heißt es in dem Schreiben, über das ebenfalls zuerst der „Spiegel“ berichtet hatte.
In ihrem Statement kritisieren die Abtrünnigen das BSW-Abstimmungsverhalten beim Zustrombegrenzungsgesetz im Bundestag in der vergangenen Woche scharf: „Dass wir hier wohl von einigen Mitgliedern der CDU und FDP beim Thema Menschlichkeit links überholt wurden, ist für uns nicht hinnehmbar.“ Zum Hintergrund: Manche Liberalen und Christdemokraten hatten entgegen der Fraktionslinie nicht für das Gesetz gestimmt.
Eine Rolle für die Austritte der sechs Unterzeichner des Schreibens spielte dem Statement zufolge auch die angeblich herrschende „hierarchische Top-Down“-Struktur beim BSW.
Die Partei verlassen hat unter anderem Josef Ilsanker, der als stellvertretender BSW-Landesvorsitzender fungierte. Er ist Stadtrat in Passau. Auch ein weiteres Mitglied des BSW-Landesvorstands verließ die Partei. Ebenfalls bitter für die Wagenknecht-Partei ist das Ausscheiden von Sinan Öztürk. Er war zwar nur einfaches BSW-Mitglied. Als stellvertretender Verdi-Landeschef war er jedoch der höchstrangige Gewerkschafter der Partei im Freistaat. Der Gewerkschaftsflügel der Wagenknecht-Partei wurde auch wegen anderer Austritte von Verdi-Funktionären empfindlich geschwächt.
BSW-Spitze spricht von normalem Vorgang
Bayerns BSW-Chef Klaus Ernst betont auf Anfrage der Staatszeitung die Echtheit des Schreibens, spricht allerdings von „Austritten in marginaler Zahl“. Er bezeichnet die Austritte als nicht ungewöhnlich. Ernst betont, dass sein Landesverband gerade wieder 30 Menschen aufnehme. „Würden wir alle aufnehmen, die eine Mitgliedschaft beantragt haben, hätten wir bereits locker über 1000 Mitglieder.“ Aber man wolle langsam und kontrolliert wachsen.
Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa spricht Ernst von einem ganz normalen Vorgang. "Wir betrachten das als ganz normalen Vorgang", sagte er. Es sei bei einer jungen Partei üblich, dass es am Anfang solche Bewegungen gebe. "Die Leute merken, dass sie nicht richtig sind, und treten wieder aus. Das wird uns nicht besonders ins Kontor hauen."
Ähnlich äußerte sich Parteichefin Sahra Wagenknecht. In allen Parteien gebe es Ein- und Austritte, sagte sie der Münchner "Abendzeitung". "Dass es sechs Parteimitglieder mit ihrem Austritt in die bundesweite Berichterstattung schaffen, gibt es allerdings nur beim BSW." Allerdings sind es eben keineswegs schlicht nur einfache Mitglieder – dass viele Verdi-Leute und zwei Mitglieder des Landesvorstands nun fehlen, dürfte schmerzen.
Auch Co-Chefin Amira Mohamed Ali betonte auf Anfrage, dass Parteien Mitglieder gewönnen und verlören sei eine Normalität, die sonst keinen Nachrichtenwert habe. "Außer gegenwärtig beim BSW, das die alten Parteien und die ihnen nahestehenden Medien offenkundig mit allen Mitteln aus dem Bundestag herausdrängen wollen", fügte sie hinzu. Das BSW sei eine junge Partei mit Rückgrat, die die deutsche Politik verändern könne. "Dass wir deshalb viele Feinde haben, ehrt uns."
BSW-Politiker rechtfertigen Zustimmung zum Unions-Entwurf
Sowohl Wagenknecht als auch Ernst rechtfertigten das Abstimmungsverhalten des BSW im Bundestag. "Wir haben den Antrag der CDU unterstützt, nicht der AfD", sagte Ernst. Inhaltlich sei der Antrag akzeptabel gewesen, ergänzte er. "Unsere Forderung, die Migration zu begrenzen und den Kontrollverlust zu beenden, ist seit Parteigründung bekannt", sagte Wagenknecht dazu in dem Interview.
Pürner, ein bayerischer Held der Corona-Kritiker, kritisiert derweil, dass im BSW Kritiker öffentlich diffamiert würden, er nahm aber Wagenknecht von seiner Kritik explizit aus. Nach seinem Austritt erneuerte der 57 Jahre alte Arzt seine Kritik: "Ein Zirkel von Ex-Linken im Bundesvorstand manipuliert und schüchtert Kritiker ein", sagte er der "Welt am Sonntag". Diese "intriganten Personen" setzten ihren Willen durch. "Wenn die Menschlichkeit und Meinungsfreiheit hintangestellt werden, möchte ich dieser Partei nicht mehr angehören."
Pürner war einst als Leiter des Gesundheitsamtes im schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg bekanntgeworden, weil er während der Pandemie die Corona-Politik der bayerischen Staatsregierung kritisierte. In der Folge wurde Pürner auf einen anderen Posten versetzt. Durch den BSW-Erfolg bei den Wahlen im Juni 2024 zog er ins Europaparlament ein. (Tobias Lill)
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