Politik

Viele Geflüchtete haben brandneue ukrainische Pässe. Sozialbetrug? Oder hatten sie zuvor wirklich keine Ausweisdokumente? (Foto: dpa/Riedl)

13.10.2023

Wie der deutsche Staat für Viktor Orbán zahlt

Von den rund 150 000 ukrainischen Flüchtlingen in Bayern soll ein Teil ungarische Pässe haben. Diverse Landkreise vermuten Sozialbetrug. Die Staatsregierung sieht den Bund in der Pflicht

Thomas Karmasin gilt als einer, der sich auch bei heiklen Themen nicht wegduckt. Seit Monaten warnt der Landrat von Fürstenfeldbruck und Präsident des Bayerischen Landkreistags, die Kommunen seien bei der Flüchtlingsunterbringung am Limit. Umso wichtiger ist es aus Karmasins Sicht deshalb, dass nur jene nach Deutschland kommen, denen auch tatsächlich ein Bleiberecht zusteht. Doch bei manchen, die in den vergangenen Monaten als Kriegsflüchtlinge in seinen Landkreis zogen, geht der CSU-Politiker davon aus, dass diese zu Unrecht den Schutzstatus beantragt haben.

Konkret geht es um einen Teil der Roma, die zuletzt in größerer Zahl als ukrainische Kriegsflüchtlinge nach Bayern gekommen sind. Im Fürstenfeldbrucker Landratsamt glaubt man, dass ein Teil von ihnen in Wahrheit neben der ukrainischen auch eine ungarische Staatsbürgerschaft hat. Es steht der Verdacht des Sozialbetrugs im Raum. Schließlich werden geflüchtete Ukrainer besser behandelt als reguläre Asylbewerber*innen. Sie haben in Deutschland vom ersten Tag an Anspruch auf Bürgergeld – vorausgesetzt, dass sie nicht auch Bürger*innen eines EU-Staates sind. Denn letzteren bleibt die deutsche Sozialhilfe auch nach Jahren in der Regel verwehrt.

Es geht um Sozialbetrug in erheblichem Ausmaß

Für betroffene Roma-Großfamilien geht es im Einzelfall um bis zu mehrere Tausend Euro an Sozialleistungen pro Monat. Im September schätzte das Fürstenfeldbrucker Landratsamt die Zahl der mutmaßlich ukrainischen Roma in den Flüchtlingsunterkünften im Brucker Landkreis auf rund 100. Gut 80 von ihnen sind laut Karmasin „auf wundersame Weise“ im Besitz brandneuer ukrainischer Pässe. Viele der Roma sprächen Ungarisch.

Karmasin sagte der Staatszeitung: „Dass diese Familien – vor allem diese Vielzahl – ihr gesamtes Leben lang ohne Identitätsdokumente waren, halten wir für sehr unwahrscheinlich und lebensfremd.“ Er verweist darauf, „dass diese im Grenzbereich leben“ und bei Fahrten von der Ukraine nach Ungarn Passkontrollen üblich sind. Der Erfahrung nach habe „dieser Personenkreis durchaus ukrainische (alte) Pässe, mit vielen Aus- und Einreisestempeln“. Dies habe man „zu Beginn der Ukraine-Krise beobachten können“.

Nicht nur in Fürstenfeldbruck haben Behörden den Verdacht, dass manche tatsächlichen oder vermeintlichen ukrainischen Flüchtlinge den Besitz eines ungarischen Passes verheimlichen. Das ergaben Anfragen der Staatszeitung bei zahlreichen bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten sowie dem bayerischen Innenministerium. In Einzelfällen ist auch fraglich, ob die Betroffenen überhaupt aus der Ukraine kommen.

Eine Sprecherin des Landratsamts Rosenheim sagt: Vor allem die seit Anfang 2023 zuziehenden ukrainischen Flüchtlinge mit Roma-Hintergrund würden „meist neu ausgestellte Reisepässe besitzen“. Meist stammten diese Personen aus Transkarpatien, einer an Ungarn grenzenden Region in der Westukraine. Ein Teil von ihnen spreche Ungarisch. „Viele dieser Personen können im anschließenden Verwaltungsverfahren ihre Schutzberechtigung nicht geltend machen, da sie nicht nachweisen können, vor Kriegsausbruch in der Ukraine gelebt zu haben“, so die Sprecherin.

Auch eine Sprecherin des Dachauer Landratsamts teilt mit: „Seit Kriegsbeginn sind 88 Sinti und Roma in unseren Landkreis gekommen.“ Mittlerweile seien „fast alle untergetaucht“. Es habe sich „herumgesprochen, dass wir streng kontrollieren“. Ihre Behörde geht „von gut 60 Personen aus, bei denen der Verdacht auf die ungarische Staatsangehörigkeit besteht“. Die Aufklärung laufe derzeit. So lange erhielten die Betroffenen keine Sozialleistungen über das Jobcenter.

Auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen heißt es, die Flüchtlinge aus dem ukrainischen Grenzgebiet „mit neu ausgestellten Reisepässen“ würden „oft Ungarisch sprechen“. Auch reisten sie „häufig für nur wenige Tage zum Monatsende beziehungsweise Monatsanfang in einen EU-Staat“ – meist nach Ungarn oder Rumänien. Weitere Landkreise wie Ebersberg, Straubing-Bogen, Coburg und Garmisch-Partenkirchen berichten von „vereinzelten Verdachtsfällen“. In München liegen laut KVR „keine Zahlen vor“.

Mehrere Landkreise haben sich wegen des Verdachts einer verschleierten ungarischen Staatsangehörigkeit an das CSU-geführte bayerische Innenministerium gewandt. Der Freistaat habe rund 1200 Verdachtsfälle zur Überprüfung an den Bund weitergegeben, so ein Ministeriumssprecher. „In den beschriebenen Fällen einer mutmaßlich unterdrückten ungarischen Staatsangehörigkeit wird derzeit seitens des Bundesinnenministeriums versucht, eine Lösung mit den ukrainischen und ungarischen Behörden für einen entsprechenden Registerabgleich zu etablieren.“

Rund 150 000 ukrainische Flüchtlinge leben in Bayern. Wie hoch die Zahl der Roma ist, wird nicht erfasst. Das Innenministerium zweifelt nicht daran, dass zumindest der Großteil der als Flüchtlinge gekommenen Roma tatsächlich in der Westukraine lebt. Deren Pässe stellten sich bei Überprüfungen in der Regel als echt heraus.

Beschäftigten der Ausländerbehörden stößt es allerdings bisweilen mächtig auf, dass sich Viktor Orbáns Regierung in Budapest einen schlanken Fuß macht und die Versorgung von womöglich bundesweit bis zu mehreren Tausend seiner Staatsbürger*innen dem deutschen Staat überlässt.

Flüchtlingsrat und Linke halten dagegen

Ein Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats geht davon aus, dass viele westukrainische Roma sich schlicht deshalb erst kürzlich neue Pässe machen ließen, weil sie „zuvor keine gebraucht haben“. Kathrin Flach Gomez, Landessprecherin der Linken, sagt: Deutschland habe gegenüber den Roma aufgrund des Holocaust eine besondere Verantwortung. „Es muss sichergestellt sein, dass sie hier würdig leben können.“ Menschen, die als Flüchtlinge kommen, sollten stets vom ersten Tag an arbeiten und Bürgergeld beantragen können.

Für den CSU-Bundestagsabgeordneten Max Straubinger ist die mutmaßliche Erschleichung von Sozialleistungen dagegen das beste Beispiel dafür, dass Deutschland die falschen Anreize setze. „Wir müssen soweit es geht auf Sachleistungen umsteigen. Der Zustrom von Wirtschaftsflüchtlingen muss ein Ende haben.“ (Tobias Lill)
 

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