BSZ: Frau Fleischmann, fünf Jahre war Michael Piazolo von den Freien Wählern Kultusminister. Welche Schulnote geben Sie ihm für seine Amtszeit?
Simone Fleischmann: Wir sind prinzipiell gegen Noten. Wir wollen die Kinder nicht skalieren. Daher fällt es uns schwer, den Kultusminister mit einer Schulnote zu bewerten. Aber abseits von Noten lässt sich sagen: Die Rolle des Kultusministers haben wir recht ambivalent erlebt. Er war kooperativ, hat uns zugehört. Die Zusammenarbeit mit uns bewerten wir insgesamt positiv. Das, was dann am Ende von ihm erreicht wurde, hat bei Lehrerinnen und Lehrern und dem BLLV dagegen nicht immer zu Bestnoten geführt. Dies lag auch daran, dass er in eine Koalition aus CSU und Freien Wählern eingebunden war und nicht allein entscheiden konnte. In den vergangenen Jahren machte vor allem der Lehrkräftemangel den Schulen massiv zu schaffen.
BSZ: Lehrkräftemangel, Ärger bei der Digitalisierung, massive Probleme bei Integration und Inklusion: Welche Baustellen sollte Piazolos Nachfolgerin Anna Stolz als Erstes angehen?
Fleischmann: Zuallererst muss der noch immer bestehende massive Lehrkräftemangel bekämpft werden. Frau Stolz und das Kabinett müssen sich auch dringend um die Frage kümmern, wie der ab 2026 bestehende Anspruch der Eltern auf einen Ganztagsplatz erfüllt werden kann. Auch bei der Digitalisierung bleibt es spannend. Doch zentral ist der Lehrkräftemangel. Und dieser kann mittelfristig nur behoben werden, wenn die Kernmannschaft an den Schulen gesund bleibt. Wir hoffen, dass die Ministerin unser 36-Punkte-Programm berücksichtigt und vieles davon umsetzt.
BSZ: Darin fordern Sie kleine Klassen, bessere Arbeitsbedingungen und vor allem mehr Lehrkräfte. Die Koalitionäre wollen bis 2028 gut 6000 zusätzliche Stellen für Lehrkräfte und 3000 neue Stellen für multiprofessionelle Unterstützungskräfte wie Sozialpädagog*innen und Schulpsycholog*innen schaffen. Wird das reichen?
Fleischmann: Es ist gut, dass das im Koalitionsvertrag steht. Dadurch wird auch eingeräumt, dass hinten und vorne Personal fehlt. Denn man schreibt ja nicht freiwillig bis zu 9000 zusätzliche Stellen rein, wenn man keinen Bedarf erkennen würde. Die Frage ist, ob man genug Köpfe findet und auch, welche Köpfe man findet. Gelingt es, die 6000 Lehrerstellen tatsächlich mit ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern zu besetzen? Oder sind das am Ende Seiten- oder Quereinsteiger? Es mangelt sowohl an ausgebildeten Lehrkräften als auch an Fachkräften für die zusätzlichen multiprofessionellen Teams.
BSZ: Aktuell fehlen in Bayern ausreichend Bewerber*innen. Doch ein Lehramtsstudium dauert samt Vorbereitungszeit mehr als ein halbes Jahrzehnt. Sollte der Freistaat aufgrund der Notlage noch mehr in anderen Bundesländern wildern?
Fleischmann: Nein, das ist keine Lösung. Es muss darum gehen, das Lehramt in Bayern attraktiver zu machen. Der Freistaat hat ja eine Expertenkommission zum Thema Lehrerbildung eingesetzt. Diese wird bald Ergebnisse präsentieren, wie mehr Nachwuchs gewonnen werden kann. Das Lehramtsstudium muss attraktiver werden. Wir schlagen das Modell der Flexiblen Lehrerbildung vor. Dafür benötigen wir auch die gleiche Besoldung für Grund- und Mittelschullehrer wie an anderen Schulen.
BSZ: Insbesondere für Mittelschulen droht in den kommenden Jahren sogar eine Verschärfung des Lehrkräftemangels. Bayern hat beschlossen, dass die Besoldung A13 für alle Grund- und Mittelschullehrer ab dem Schuljahr 2027/28 gelten soll. Zu spät?
Fleischmann: Ja, das muss auch mit Blick auf den demografischen Wandel schneller umgesetzt werden. Junge Menschen überlegen sehr genau, ob sie auf Lehramt studieren, und wenn ja, für welchen Bereich. Dabei haben sie natürlich das Gehalt und die Arbeitsbedingungen im Blick. Junge Leute sollen über den Lehrerberuf sagen: „Das ist der schönste Beruf – den will ich ergreifen.“
BSZ: Die Herausforderungen für Lehrkräfte werden nicht kleiner. Eigentlich sollen beeinträchtigte Kinder seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention Regelschulen besuchen. Doch in Bayern geht der Großteil der Kinder mit Behinderung noch immer auf exkludierende Förderschulen. Warum?
Fleischmann: Eltern haben dieses Recht durchaus erkannt und oft auch genützt. Doch viele haben gemerkt, dass wir an den Regelschulen weder die nötige Ausbildung noch das nötige multiprofessionelle Personal haben, um individuell zu fördern. Vielen Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung ist deshalb bewusst, dass ihre Kinder an bayerischen Regelschulen untergehen. Das liegt nicht daran, dass wir keine Lust haben, diese Mädchen und Jungen zu unterrichten – wir haben aufgrund der schlechten Bedingungen schlicht nicht die Chance dazu. Das ist traurig!
BSZ: Frau Stolz will nach eigener Aussage mehr beeinträchtigte Kinder an Regelschulen bringen. Was braucht es dazu?
Fleischmann: Wir benötigen an den Regelschulen Förderschullehrkräfte, die den Förderschwerpunkt des Kindes idealerweise studiert haben. Auch die Schulen müssen entsprechend umgebaut werden, dass sie beispielsweise den hör- und sehbeeinträchtigten Kindern gerecht werden. Und wir brauchen eine Lehramtsausbildung, die junge Kolleginnen und Kollegen fit für die Inklusion macht. Inklusion sollte ein Modul in der Masterphase werden. Das alles kostet – auch – Geld! Inklusion gibt’s nicht zum Nulltarif.
BSZ: Auch die Integration ukrainischer Schüler*innen verläuft schleppend. Wie kann das verbessert werden?
Fleischmann: Die Kinder haben einen besonderen Bedarf bei der sprachlichen Förderung, aber auch in anderen Bereichen wie Wertevermittlung. Hier braucht es mehr Unterrichtsstunden. Professionelle Formate und top ausgebildetes Personal sind dafür die Grundlage.
BSZ: Bei aller Kritik: Bayern ist bei Leistungstests wie der Pisa-Studie oft in der bundesweiten Spitzengruppe. Was macht der Freistaat hier richtig?
Fleischmann: Bildung hängt vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern ab, und der ist in Bayern hoch. Hier können viele Eltern Bildung „zufüttern“ und sich Nachhilfe und persönliche Förderung leisten. Zwar geben die Lehrkräfte alles. Die Schere an den Schulen geht dennoch auf. Ein Viertel aller Schüler erfüllt die Mindeststandards nicht. 50 000 Mädchen und Jungen verlassen die Schulen ohne Abschluss.
BSZ: Sie haben viel zu besprechen mit Frau Stolz. Wann treffen Sie die Ministerin erstmals?
Fleischmann: Informell haben wir uns schon getroffen. Und das erste offizielle Treffen steht sehr bald an. Wir haben große Erwartungen.
(Interview: Tobias Lill)
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