Politik

Das deutsche Wahlrecht bevorzugt seit Jahrzehnten große Parteien. (Foto: dpa)

22.02.2025

Umstrittenes Wahlrecht: Eine Frage der Gerechtigkeit

Mit einer Reform wollte die Ampel offensichtlich gezielt CSU und Linke schaden. Das Bundesverfassungsgericht kam beiden Parteien zu Hilfe. Doch für manchen CSU-Abgeordneten könnte es aufgrund der Novellierung dennoch eng werden

In den USA lässt sich seit vielen Jahren beobachten, wie wichtig das Wahlsystem für den Wahlausgang ist. Durch das radikal ausgelegte Mehrheitswahlrecht haben andere Gruppierungen als die beiden großen Parteien in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten keinerlei Aussicht auf Erfolg. 

Doch auch Deutschland ist keine rein repräsentative Demokratie, in der jede Stimme gleich viel zählt. Das deutsche Wahlrecht bevorzugt in der Tendenz die großen Parteien. Bis heute gilt eine Fünf-Prozent-Hürde, die kleine Parteien benachteiligt. Als Folge konnten sich bislang neben CDU, CSU, SPD und FDP nur Grüne, Linke und AfD dauerhaft auf Bundesebene etablieren.

In diesem Jahr könnte die Sperrklausel dazu führen, dass, wenn FDP, Linke, BSW und Freie Wähler diese nicht überspringen, rund jede fünfte Stimme in der Rubrik „Sonstige“ landet und letztlich verfällt. Das Votum von Millionen Menschen bliebe im Parlament ungehört. Außer, die von ihnen gewählte Partei zieht mithilfe von Direktmandaten ins Parlament ein, was jedoch zumindest bei den Liberalen und dem BSW oder den Kleinstparteien wie ÖDP und Volt definitiv nicht passieren wird.

Wahlrecht lässt sich mit einfacher Mehrheit ändern

Wie in Deutschland gewählt wird, ist in weiten Teilen Sache des Gesetzgebers. Das Grundgesetz gibt zwar die allgemein gültigen Wahlrechtsgrundsätze vor, um den demokratischen Charakter der Wahl zu gewährleisten. Zu diesen Grundsätzen zählen etwa Unmittelbarkeit, Freiheit und Gleichheit der Wahl. Die konkreten rechtlichen Bestimmungen der wichtigsten Abstimmung des Landes sind aber im Parteiengesetz, der Bundeswahlordnung und insbesondere im Bundeswahlgesetz festgelegt.

Für die Änderung des Wahlgesetzes genügt in Deutschland eine einfache Mehrheit im Bundestag. Es muss nicht einmal der Bundesrat zustimmen. Folglich besteht hierzulande eine große Gefahr, dass eine Regierung das Wahlrecht benutzen könnte, um die Oppositionsparteien mit einer trickreichen Gesetzgebung kleinzuhalten. Abgesehen von der Einführung der Fünf-Prozent-Hürde, die einst mächtige Lokalparteien wie die Bayernpartei oder die deutsch-nationale DP aus dem Parlament fegte, war es bislang Usus, dass eine Regierung das Wahlrecht nicht für Attacken auf eine andere Partei missbraucht.

Erst die Ampel warf diese Praxis über Bord. Sie beschloss 2023 eine Änderung des Wahlgesetzes, die die Chancen für die CSU und die Linke, in den Bundestag einzuziehen, massiv erschweren sollte. Vor allem die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel bereitete beiden Parteien Existenzsorgen. Demnach zieht eine Partei, die drei Wahlkreise gewinnt, auch dann weiterhin in den Bundestag ein, wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Für die CSU, die in der Regel fast alle Bundestagssitze im Freistaat gewinnt, ist diese Klausel die Garantie, dass sie auch als von der CDU unabhängige Partei stets in den Bundestag einzieht. Die CSU erreichte bei der Bundestagswahl 2021 5,2 Prozent, die Linke sogar nur 4,9 Prozent. Nur dank dreier Direktmandate schaffte letztere den Einzug ins Parlament. Erst im Juli 2024 konnten beide Parteien aufatmen: Karlsruhe urteilte damals, dass die Regelung weiter gelten müsse.

Die Ampel schuf ein für sie vorteilhafteres Wahlrecht

Doch noch immer sorgt die 2023 verabschiedete Wahlrechtsreform bei den Christsozialen für Aufruhr. Denn anders als bei früheren Wahlen erhält nun jede Partei nur noch so viele Sitze, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Falls eine Partei über die Erststimmen mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr gemessen am Zweitstimmenergebnis an Sitzen zustehen, gehen die Wahlkreissieger der jeweiligen Partei mit den schlechtesten Wahlergebnissen leer aus. Wer einen Wahlkreis für sich entscheidet, zieht also nicht mehr automatisch in den Bundestag ein.

Durch die Streichung der Überhangmandate fallen zudem die Ausgleichsmandate weg. Damit wollten SPD, Grüne und FDP den Bundestag verkleinern und das Verhältniswahlrecht stärken. Doch in Bayern könnte das neue Wahlrecht je nach Wahlergebnis den Verlust einer Vielzahl von Mandaten der Christsozialen bedeuten. Hätte 2021 bereits das neue Wahlrecht gegolten, wären neun der 45 CSU-Abgeordneten nicht ins Parlament eingezogen.

Schaffen es noch alle Wahlkreissieger ins Parlament

 Aufgrund der aktuell guten Umfrageergebnisse für die CSU stehen die Chancen für die meisten Direktkandidaten bei dieser Wahl allerdings gut. Würden die Christsozialen in Bayern bei der nächsten Bundestagswahl wieder nur knapp 32 Prozent wie im Herbst 2021 einfahren, würde in jedem Fall eine Vielzahl an Abgeordneten ihre direkt gewonnenen Wahlkreise nicht im Bundestag vertreten dürfen. Zuletzt stand die CSU in einer Umfrage bei 42 Prozent. Insidern zufolge ist es deshalb nicht unwahrscheinlich, dass alle oder zumindest fast alle direkt gewählten CSU-Abgeordneten den Sprung nach Berlin schaffen.

Wie viele Abgeordnete die CSU nach Berlin schicken kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Wenn etwa BSW, FDP, Linke sowie Freie Wähler ins Parlament einziehen, braucht sie ein besseres Ergebnis. Allerdings ist es keineswegs sicher, dass die Christsozialen alle Direktmandate holen. In München etwa gelang es bei vergangenen Wahlen immer wieder Grünen- oder SPD-Kandidaten, Wahlkreise für sich zu erobern. Und dann sind da ja auch noch die Freien Wähler. Hubert Aiwangers Truppe setzt mangels Chancen, bundesweit auf über 5 Prozent zu kommen, darauf, mit mindestens drei Direktmandaten den Sprung ins Parlament zu schaffen. Einzelne Christsoziale könnte dies das Ticket nach Berlin kosten. Schaffen die FW den Sprung als Gruppe in den Bundestag, wäre auch denkbar, dass sie als Zünglein an der Waage für eine Koalition zur Verfügung stehen. (Tobias Lill)
 

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