Es ist ein Grundprinzip unserer Demokratie: Jeder Deutsche ist wahlberechtigt. Auch, wer etwa wegen geistiger Behinderung einen Betreuer hat oder wegen einer Straftat im Gefängnis sitzt, darf wählen. Nur in absoluten Ausnahmefällen kann deutschen Staatsbürgern das Wahlrecht für maximal fünf Jahre aberkannt werden, etwa, wenn sie zum Beispiel aufgrund von Hochverrat oder Bestechung verurteilt wurden. Selbst in vielen westlichen Ländern sind mehr Menschen vom Wählen ausgeschlossen.
Doch diesmal könnten Zehntausende womöglich um ihr Wahlrecht gebracht worden sein. Viele Deutsche im Ausland klagen über Probleme dabei, ihre Stimmen für die vorgezogene Bundestagswahl fristgerecht abgeben zu können.
Der deutsche Botschafter in Großbritannien, Miguel Berger, moniert etwa auf X. Bei ihm in London seien keine Wahlunterlagen angekommen. Viele Deutsche im Ausland könnten ihr Wahlrecht bei der Bundestagswahl nicht ausüben, so der Diplomat. "Fristen wurden zu knapp kalkuliert, die Verfahren sind zu bürokratisch. Eine Reform ist dringend notwendig", kritisiert er.
Verstoß gegen das Grundgesetz?
Und auch die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland warnt einem Bericht der Nachrichtenagentur dts zufolge vor einem Verfassungsbruch: "Das derzeitige System verstößt gegen Artikel 38 des Grundgesetzes. Das Wahlrecht den Auslandsdeutschen theoretisch zu gewähren, in der Praxis aber nicht sicherzustellen, ist verfassungswidrig. Das wird das Bundesverfassungsgericht auch feststellen", sagte Oliver Junk, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Verbundenheit, der Agentur.
Immer mehr Deutsche ohne Wohnsitz in Deutschland berichten demnach von massiven Hindernissen. Viele haben bis jetzt keine Wahlunterlagen erhalten, andere wurden nicht ins Wählerverzeichnis aufgenommen oder scheitern an organisatorischen Problemen der Briefwahl. "Uns haben in den vergangenen Tagen zahlreiche Mitteilungen von Betroffenen erreicht, die ihre Stimme nicht abgeben können, obwohl sie wahlberechtigt sind", zitiert Junk dts.
Nur wenige nutzten einen Kurierdienst
In einer Mitteilung der Bundeswahlleiterin hieß es zuletzt ebenfalls, dass Fragen und Beschwerden von im Ausland lebenden Deutschen eingegangen seien. Wie viele Beschwerden es genau sind, teilte sie allerdings nicht mit.
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes leben zwischen drei und vier Millionen Deutsche im Ausland - allerdings sind längst nicht alle davon wahlberechtigt. Bislang haben sich laut Bundeswahlleitung mehr als 213.000 Auslandsdeutsche in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen - deutlich mehr als bei der Wahl 2021. Damals lag diese Zahl bei gut 129.000.
Nur ein Bruchteil der an einer Stimmabgabe interessierten Auslandsdeutschen hat seine Briefwahlunterlagen über den Kurierdienst des Auswärtigen Amtes nach Deutschland geschickt, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Wie ein Ministeriumssprecher mitteilte, gingen bis Donnerstagabend 9.000 Briefwahlunterlagen bei der Kurierstelle in Berlin ein. Diese würden jetzt in die Post gegeben. Die Deutsche Post habe zugesichert, dass alle Unterlagen, die am Freitag in die Post gegeben werden, rechtzeitig zur Bundestagswahl in den Gemeinden eintreffen.
Enorme logistische Herausfordeurng
Ein Großteil der Deutschen im Ausland lebt laut Innenministerium in anderen europäischen Staaten, sodass eine Zustellung auf dem normalen Postweg weniger problematisch ist. Die Briefpost der Inlandsdeutschen dürfte, wenn sie fristgerecht aufgegeben wurde, dagegen ihr Ziel im Regelfall rechtzeitig erreicht haben – dafür garantiert die Deutsche Post.
Doch darf es sein, dass Stimmen vieler Auslandsdeutscher womöglich nicht zählen. Bereits im Dezember 2024 hatte die Stiftung Verbundenheit in ihrem Positionspapier "Demokratische Teilhabe weltweit: Abbau von Grenzen im Wahlrecht für Auslandsdeutsche" einem „ntv“-Bericht zufolge auf die systematischen Defizite hingewiesen und konkrete Vorschläge zur Verbesserung erarbeitet. Doch klar ist: Die vorzeitigen Neuwahlen waren für die Behörden eine enorme logistsiche Herausforderung. Am blamablen Ergebnis ändert dies aber nichts.
"Es geht um Tausende, wenn nicht Zehntausende"
Manche fragen sich nun: Ist durch die Probleme bei der Wahl der Auslandsdeutschen die Gültigkeit der Wahl gefährdet? "Es geht um Tausende, wenn nicht Zehntausende", sagt Verfassungsrechtler Ulrich Battis „tagesschau.de“. Er sieht darin eine klare Beeinträchtigung des hohen Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl. Beschwerden beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags oder gar im zweiten Schritt beim Bundesverfassungsgericht dazu seien denkbar.
Verfassungsrechtler Battis bezweifelt, dass deswegen das ganze Bundestagswahlergebnis für ungültig erklärt wird. "Aber es könnte der Auftrag des Verfassungsgerichts an den Gesetzgeber dabei herauskommen, dafür Sorge zu tragen, dass das Wahlrecht im Ausland auch ausgeübt werden kann", zitiert ihn „tagesschau.de“ Das sei momentan erkennbar nicht der Fall. (till)
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