Politik

27.02.2025

Ist die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht?

Ist in Deutschland die Meinungsfreiheit bedroht? Ja, sagte der US-amerikanische Vizepräsident J. D. Vance in seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Und Wolfgang Kubicki, prominenter FDP-Bundestagsabgeordneter, der auch gerne neuer Parteivorsitzender werden würde, sieht das ähnlich. Felix Kolb, Mitgründer der Kampagnenorganisation Campact e.V., ist da ganz anderer Meinung

JA

Wolfgang Kubicki, FDP-Abgeordneter und scheidender Bundestagsvizepräsident

Ja, die Meinungsfreiheit im Land ist bedroht. Wenn rund 50 Prozent der Menschen im Land das Gefühl haben, sie könnten ihre Meinung nicht mehr frei äußern, bekommen wir über kurz oder lang ein Demokratieproblem. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in den 1950er-Jahren im berühmten Lüth-Urteil festgestellt, dass die Freiheit der Meinungen die Grundlage der Freiheit überhaupt ist. Deshalb ist die Meinungsfreiheit für die liberale Demokratie schlechthin konstituierend.

Und wir haben in den vergangenen, wenigen Jahren erlebt, dass der Staat es häufig ist, der sich immer übergriffiger entwickelt. Wenn Familienministerin Paus erklärt, wir müssten auch schon Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze verfolgen, dann ist das eine Grenzüberschreitung. Wenn auf staatliches Geheiß Meldestellen errichtet werden, die entsprechende Äußerungen dokumentieren, dann ist das nicht mehr akzeptabel. Oder wenn, wie im sogenannten Schwachkopf-Fall, Machtkritik sogar zur Hausdurchsuchung führen kann, dann ist unsere Freiheit insgesamt in Gefahr. Wir erleben, dass die Grundlagen der freiheitlichen Ordnung, wie wir sie kannten, mehr und mehr zerbröseln. So werden, wie wir es dieser Tage erleben, mittlerweile parlamentarische Anfragen ins Reich der Antidemokratie geschoben.

Die Unionsfraktion wollte jetzt von der Bundesregierung mittels einer Kleinen Anfrage wissen, wie die Steuermittel für NGOs eingesetzt werden. Für Grüne und SPD sind schon diese Fragen ein Skandal und ein Angriff auf die „Zivilgesellschaft“. Wer aber nicht mehr fragen darf, der wird auch nicht mehr kontrollieren können und der wird sich keine Meinung bilden können. Sollte dies ein Vorgeschmack auf den politischen Diskurs der kommenden Legislaturperiode sein, dann geht die Bundesrepublik einen schweren Gang. Dann werden nicht mehr Argumente ausgetauscht, sondern nur noch Haltungen demonstriert und präsentiert. Das wäre das Ende des Meinungsstreits und der Freiheit, die wir mal liebten. 

NEIN

Felix Kolb, Mitgründer der Kampagnenorganisation Campact e.V.

Zurzeit haben die Klagen, dass man nichts mehr sagen dürfe, wieder Konjunktur. Nicht selten kommen sie von Menschen, die regelmäßig in Talkshows zur besten Sendezeit ihre Meinung in epischer Breite darlegen dürfen. In der Realität ist die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Meinungsfreiheit – abgesehen von wenigen Einzelfällen – in Deutschland vollumfänglich gewährleistet. Wer diese bei uns dennoch in Gefahr sieht, hat die Idee der Meinungsfreiheit nicht verstanden.

Meine Meinung frei äußern zu dürfen, ist nicht gleichbedeutend mit dem Schutz vor Widerspruch. Wenn ich also, wie Unionsfraktionsvorsitzender Mathias Middelberg, die Meinung vertrete, das Bürgergeld sei viel zu hoch, kann ich nicht erwarten, dass jeder meine Meinung teilt. Und der Einwurf, dass das Bürgergeld nicht beliebig gesenkt werden darf, weil laut Bundesverfassungsgericht dessen Höhe ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern muss, ist keineswegs eine Einschränkung meiner Meinungsfreiheit. 

Meine Meinung frei äußern zu dürfen, ist auch kein Freifahrtschein für das Verdrehen der Wirklichkeit. Bereits das alttestamentliche 8. Gebot postuliert, dass man nicht falsch gegen seinen Nächsten aussagen soll. Unser Rechtssystem bietet aus gutem Grund die Möglichkeit, gegen falsche Tatsachenbehauptungen vor Gericht zu ziehen. So wurde dem CDU-Abgeordneten Christoph Ploß untersagt, wahrheitswidrig zu behaupten, Campact erhalte staatliche Zuschüsse. 

Und selbstverständlich endet meine Meinungsfreiheit dort, wo sie die anderer einschränkt oder bedroht. Niemand käme auf die Idee, zu behaupten, die Meinungsfreiheit würde rechtfertigen, dass ich meinem Nachbarn bei einem Streit am Gartenzaun Gewalt androhe oder dessen Tochter aufs Äußerste beleidige. Es bleibt das Rätsel libertärer Fundamentalisten, warum die elementaren Regeln des Anstands und des Zusammenlebens im Internet nicht ebenso gelten sollten. 
 

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