Wenn Pfarrer Philipp Werner in diesen Tagen durch Poing läuft, eine Gemeinde im Speckgürtel von München, dann hat er oft seinen Kameramann dabei. Sie stellen sich an Wegkreuzen auf, vor der Kirche, auf einer Streuobstwiese oder positionieren sich an einem Strandkorb - und drehen Youtube-Videos.
Zusammen mit dem 17 Jahre alten Gymnasiasten Jonas Schlögl hat Werner inzwischen Dutzende dieser Videos produziert und im Youtube-Kanal seiner Pfarrgemeinde online gestellt. "Wir laufen auf die 70 zu seit März."
Schon kurz nach dem Lockdown und dem Verbot von Gottesdiensten mit Publikum reifte die Idee zu den Videos, sagt Werner. "Wir haben uns gefragt: Wie, um Himmels Willen, können wir den Kontakt zur Gemeinde halten, wenn wir keine Gottesdienste mehr feiern dürfen?" Ein Live-Stream sei keine Option gewesen. "Uns fehlt da nicht nur das Equipment, wir haben in der neuen Kirche nicht mal einen Telefonanschluss."
Die Drehorte für die kurzen Clips befinden sich immer im Gemeindegebiet - als Wiedererkennungswert für die Gläubigen, die sich im Lockdown nur eingeschränkt draußen bewegen durften. "Wir haben dazugelernt", sagt Pfarrer Werner. "Am Anfang waren die Videos viel zu lang. Inzwischen wissen wir: Zwei Minuten reichen."
Vor allem ein Filmchen, in dem er Kommunionkindern von einem Strandkorb aus die Beichte erklärt, kam gut an. "Das hat gerockt." Knapp 350 Mal wurde es aufgerufen. In Kirchenkreisen ist er damit so etwas wie ein Youtube-Star - auch wenn bekanntere Größen wie der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, mit dem Format "Mittwochsminuten" rund 20 000 Klicks erreicht.'
Bei den Kirchen gelte noch immer: "Bedenken first und digital second"
"Ich war sehr überrascht, als ein Pfarrer aus Norddeutschland mich angerufen und gefragt hat, ob er Gedanken aus meinem Video in seiner Predigt aufgreifen darf. Da ist mir erst klar geworden, dass das Ganze auch ausstrahlt." Neben Priestern aus Norddeutschland sind vor allem die Mitglieder der Poinger Pfarrgemeinde die Zielgruppe der Videos. Besonders 30- bis 50-Jährige schauten sich laut Google Analytics die Videos an. Und: "Wir haben 30 Prozent mehr weibliche Nutzer als männliche", sagt Werner. "Keine Ahnung warum, aber in unserer Gemeinde halten Frauen generell das Zepter in der Hand." Bei den Jugendlichen seien die Zahlen dagegen "ausbaufähig", sagt Werner.
Der Kommunikationswissenschaftler Markus Wiesenberg von der Universität Leipzig arbeitet gerade im Auftrag der Medienberatung der Deutschen Bischofskonferenz an einer Studie über die Online-Aktivitäten der beiden Großkirchen in Deutschland in der Corona-Krise. Einen leichten Digitalisierungsschub sieht er zwar, allerdings sei das Niveau vorher auch so niedrig gewesen, dass der Schub noch lange nicht ausreiche. "Die Evangelische Kirche ist da sicher schon etwas weiter als die katholische, aber insgesamt gilt bei beiden eher: Bedenken first und digital second", sagt er. Außerdem hat er Zweifel daran, dass das, was nun in der Krise angestoßen wurde, auch wirklich nachhaltig ist. "Man sieht deutlich eine Zunahme der Online-Aktivitäten in den Monaten März und April, aber das geht schon wieder deutlich zurück."
Von einem "Quantensprung" spricht dagegen der Kommunikationschef des Erzbistums München und Freising, Bernhard Kellner. "Wir erreichen damit Menschen, die wir sonst wahrscheinlich nicht erreicht hätten", sagte Bernhard Kellner, Kommunikationschef des katholischen Erzbistums München und Freising, der Deutschen Presse-Agentur. "Das macht uns Hoffnung."
Seit dem Lockdown verfolgten seinen Angaben zufolge insgesamt 1,5 Millionen Nutzer die per Livestream ins Netz übertragenen Gottesdienste aus der Münchner Frauenkirche. "Im Schnitt haben wir etwa 7500 Zuschauer an einem Werktag und rund 13 000 an Sonn- und Feiertagen." Den Rekord schaffte mit 55 000 Nutzern die Weihe von fünf jungen Männern zu Diakonen am 30. Mai. Bei der Priesterweihe am 27. Juni waren es 21 000 und an Fronleichnam 28 000.
Andere Bistümer im Freistaat berichten von ähnlichen Erfahrungen - nach manch holprigen Anfangsphasen: Im Bamberger Dom musste in der Krise die Hard- und Software für Live-Übertragungen erst noch angeschafft werden, wie ein Sprecher des Erzbistums sagt. Und auch die Pfarreien waren alles andere als technisch perfekt ausgestattet. "Die Ausstattung reicht von einfacher Übertragung mit Smartphone bis hin zu aufwändigeren Anlagen. In vielen Pfarreien wurde mit Hilfe von technisch versierten Ehrenamtlichen eine Lösung gefunden." Bis zu 1700 Mal werden die Aufzeichnungen der gestreamten Gottesdienste aus dem Bamberger Dom angeschaut.
Den Livestream der Osternacht aus der bischöflichen Hauskapelle in Augsburg verfolgten nach Bistumsangaben auf den unterschiedlichen Kanälen rund 10 000 Nutzer. Im Bistum Passau sind die Zugriffszahlen nach Angaben einer Sprecherin inzwischen wieder zurückgegangen, "stabilisierten sich jedoch auf deutlich höherem Niveau als vor der Krise".
Im Bistum Würzburg wurden die 80 Livestreams aus der Corona-Zeit mittlerweile 27 871 Mal aufgerufen, wie ein Sprecher sagt. Außerdem hätten die Nachfragen und Kontakte bei der Internetseelsorge erheblich zugenommen. Seit Juli 2020 gestalten Bischof Franz Jung und andere Seelsorger biblische Kurzandachten für den Fernsehsender BibelTV, die auch online abgerufen werden können. "Die digitalen Seelsorgeangebote sind gerade in Krisenzeiten eine Chance, auch jüngere Menschen oder Menschen, die sich von der Kirche abgewandt haben, zu erreichen", sagt der Sprecher.
Auch wenn es inzwischen wieder Gottesdienste mit Publikum gibt - Werner will seine Internetpräsenz nicht aufgeben: "Das muss man weiterführen", sagt er. "Wir sind hier auf etwas gestoßen, das uns offensichtlich ganz andere Menschen und Ansichten erschließen kann. Ich glaube, das ist ein gutes Werkzeug zur Evangelisierung." Oder, wie Kommunikationschef Kellner es sagt: "Petrus und Paulus wären auch bei Facebook und Twitter gewesen - ganz sicher."
(Britta Schultejans, dpa)
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