Zuerst die Furcht vor dem Coronavirus, jetzt zusätzlich die Sorge ums Geld: Nach den Zwangsschließungen spüren viele Kulturschaffende die Auswirkungen im Portemonnaie. „Ich habe Angst um meine Existenz und Zukunft“, klagt die Münchner Lichtkünstlerin Marlene Neumann. Wie viele Freiberufler hat die 34-Jährige keine Arbeitslosenversicherung. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie aktuell von dem Geld, das sie eigentlich für ihre Hochzeit angespart hatte. Die musste sie absagen. Länger als ein paar Wochen reichen die Finanzen trotzdem nicht mehr. Ob sie die jetzt in Aussicht gestellte staatliche Hilfe bekommt, weiß sie nicht. „Bei den Behörden ist seit Tagen kein Durchkommen.“
Die Kreativbranche ist besonders von der Zwangspause bis voraussichtlich 19. April betroffen. Über 70 Prozent der Erwerbstätigen sind Selbstständige oder wie Garderobieren Aushilfen auf Minijobbasis. Sie alle bekommen kein Kurzarbeitergeld. Und bei einem Jahresdurchschnittsgehalt von 13 000 Euro dürften die wenigsten Geld auf der hohen Kante haben.
Nach dem Absage-Marathon von Theateraufführungen, Musikkonzerten, Filmdrehs, Lesungen oder Club-Events fürchten viele das Schlimmste. Besonders betroffen sind private Konzertveranstalter. Allein das Münchner Kulturzentrum Backstage hatte bis zum Ende der Zwangspause über 110 Konzerte geplant – viele entfallen ersatzlos. „In diesem Fall müssen wir die Ticketeinnahmen zurückzahlen und bleiben auf den bereits angefallenen Kosten wie zum Beispiel für Werbung sitzen“, erklärt Patrick Oginski von der Münchner Bookingagentur Südpolmusic. Ihm sind bereits Umsätze in sechsstelliger Höhe entgangen. Veranstalter bezweifeln, dass sie die Kosten von bis zu 20 000 Euro pro Event vom Versicherer erstattet bekommen. Eine Epidemie ist selten abgedeckt.
Selbst Proben sind verboten
Nicht viel besser geht es den Mitarbeitern in öffentlichen Kultureinrichtungen. Festangestellte erhalten ihr Gehalt weiter. Wobei nach Informationen der BSZ fest angestellte Aushilfen vereinzelt gebeten werden, Aufhebungsverträge zu unterzeichnen. Wer im Theater als Gastkünstler für eine abgesagte Vorstellung engagiert wurde, erhält keine Gage, Bühnenautoren bekommen keine Tantiemen. Viele Einrichtungen wollten während der Spielpause zumindest weiterproben. Nur dann werden Künstler ohne Festvertrag bezahlt – und das ist der Großteil. Wegen der erhöhten Infektionsgefahr wurden aber in staatlichen Betrieben die Proben verboten. Ohne Proben ist auch offen, ob es nach der Zwangspause nahtlos weitergehen kann. Wegen der Infektionsgefahr sind selbst Aufführungen ohne Publikum, die etwa auf Staatsoper.tv ins Netz gestreamt werden, nur mit einem ausgedünnten Ensemble möglich. Die Deutsche Orchester-Stiftung nennt die Lage der frei arbeitenden Berufsmusiker „dramatisch“.
Im Gegensatz zu den nicht-öffentlichen Veranstaltern können staatliche oder städtische Einrichtungen immerhin hoffen, sich mit Fördermitteln über die Durststrecke retten zu können. Allein bei der Bayerischen Staatsoper geht das Kunstministerium allerdings bis zum 19. April von Einnahmeausfällen von rund vier Millionen Euro aus. Das kommunale Würzburger Mainfranken Theater rechnet mit Verlusten im mittleren sechsstelligen Bereich, beim Landestheater Schwaben in Memmingen sei der ökonomische Schaden „bedrohlich“. Das muss erst einmal kompensiert werden – zumal auch andere Wirtschaftszweige Hilfe fordern.
Um den Menschen zu helfen, hat die Staatsregierung diese Woche das Corona-Soforthilfeprogramm gestartet. Unter stmwi.bayern.de/soforthilfe-corona erhalten explizit auch Kulturschaffende Liquiditätshilfen – je nach Mitarbeiteranzahl zwischen 5000 und 30 000 Euro. Erste Beträge werden laut Staatsregierung bereits überwiesen. Selbstständige sind Angestellten in einem weiteren Punkt gleichgestellt: Wer offiziell in Quarantäne muss, erhält einen Verdienstausfall.
Die Bundesregierung will Kreative ebenfalls entlasten. Zum einen mit Direktzahlungen und Darlehen, zum anderen mit Steuerstundungen, also Verschiebung von Steuerzahlungen. Außerdem sollen sie leichter Hartz IV beantragen können und einfacher ein Darlehen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau bekommen. Aufgrund der hohen Zinsen von bis zu sieben Prozent ist das aber für Freiberufler oft nicht machbar.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat zusätzlich angekündigt, bei vom Bund geförderten Projekten und Veranstaltungen „so weit wie möglich“ auf Rückforderungen zu verzichten. Die SPD im bayerischen Landtag verlangt, der Freistaat solle ebenso verfahren.
Den Grünen ist selbst das zu wenig. Ob Haftungs- und Regressansprüche gegen den Staat wegen der Schließung von Kultureinrichtungen bestehen, ist derzeit offen. „Die – notwendigen – Verbote kommen aber Enteignungen gleich“, kritisiert Grünen-Abgeordnete Sanne Kurz. „Daher sollten sie auch wie Enteignungen entschädigt werden.“ (David Lohmann/Mitarbeit: Tobias Lill)
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