Politik

Neue Parteichefin: Gisela Sengl. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

02.02.2024

„Dialekt und Berufserfahrung spielen eine Rolle"

Gisela Sengl, neue Landesvorsitzende der bayerischen Grünen, über ihre Motivation zur Kampfkandidatur, ihre Pluspunkte und darüber, was sie den Grünen in Berlin rät

Die bayerischen Grünen werden künftig von zwei Frauen geführt. Eine von ihnen ist Gisela Sengl (64), Biobäuerin aus dem Chiemgau. Die frühere Landtagsabgeordnete setzte sich in einer Kampfkandidatur knapp gegen Amtsinhaber Thomas von Sarnowski durch.

BSZ: Frau Sengl, Sie scheinen mit Ihrer Kandidatur an der Grünen Basis einen Nerv getroffen zu haben.
Gisela Sengl: Ja, es hat mich gefreut, dass meine Kandidatur so bestätigt worden ist.

BSZ: Womit, glauben Sie, haben Sie vor allem gepunktet?
Sengl: Mit meiner Bodenständigkeit und meiner pragmatischen Art. Bei mir weiß man gleich, dass ich vom Land komme und für das Land stehe. Mir ist ein guter Umgang miteinander wichtig und ich gehe dahin, wo die Menschen sind, egal ob am Stammtisch, im Bierzelt, im Kindergarten oder in der Schule. Mir geht es darum, dass man den Menschen auf dem Land auf Augenhöhe begegnet.

BSZ: Ihre knappen Wahlergebnisse auf dem Parteitag wirken, als würden sie eine exakte Trennlinie zwischen Stadt und Land in der Partei nachzeichnen.
Sengl: Eine Trennlinie sehe ich nicht. Ich glaube eher, dass Eva Lettenbauer und ich die Grünen in ihrer Breite repräsentieren. Wir ergänzen uns optimal. Mein Gefühl auf dem Parteitag war, dass das Wahlergebnis letztlich alle beruhigt und befriedet hat.

BSZ: Was war eigentlich Ihre Motivation für die Kandidatur gegen die Amtsinhaber?
Sengl Das war ganz klar, dass die Themen des ländlichen Raumes bei uns nicht hinten runterfallen.

BSZ: Hat auch der Frust über Ihren gescheiterten Wiedereinzug in den Landtag eine Rolle gespielt?
Sengl: Natürlich war ich enttäuscht. Aber die Landtagswahl hat uns ganz klar vor Augen geführt, dass die Grünen in der Stadt super dastehen mit gigantischen Ergebnissen zum Teil über 40 Prozent. Aber dass wir am Land so stark verlieren, damit hatte ich auch selbst nicht gerechnet.

BSZ: Sie haben vor dem Parteitag gesagt, die Menschen auf dem Land bräuchten eine andere Ansprache als die in der Stadt. Wie haben Sie das gemeint?
Sengl: Auf dem Land hilft mir mein Dialekt, auch dass ich schon etwas älter bin, ein Mensch mit Lebens- und Berufserfahrung. Das spielt auf dem Land durchaus eine Rolle. Die Grünen sind ja überwiegend eine junge Partei, was auch gut ist. Aber vielleicht braucht es dazu eine Ergänzung wie mich. Das hat aber nichts mit einer anderen Ansprache zu tun.

BSZ: Geht es ein bisschen konkreter?
Sengl: Ich erkläre das mal mit dem Gebäudeenergiegesetz. Es gehört zu guter Politik einfach dazu, dass man sich bei Vorhaben überlegt, wo die Folgen besonders aufschlagen. Das Gebäudeenergiegesetz betrifft die meisten Menschen in der Stadt nicht direkt, weil sie überwiegend zur Miete wohnen. Aber am Land ist fast jeder betroffen, weil die meisten ein Wohneigentum haben. Das hätte man schon beachten müssen. Da hätte es nicht geschadet zu erklären, dass das für den einzelnen Hausbesitzer eine große Herausforderung sein kann, man das aber mit Förderprogrammen abfedern will.

BSZ: Auf dem Parteitag haben Sie auch gesagt, Sie wüssten, wie man mit wütenden Bauern umgeht. Verraten Sie das Geheimnis?
Sengl: Man muss sich auch einmal hinstellen und eine klare Ansage machen. Ich habe bei einer Demonstration vor meinem Regionalbüro die Polizei zu Hilfe geholt und den Bauern klar gesagt: Ihr stürmt mir mein Büro nicht! Ich rede gerne mit euch, aber die Bedingungen müssen klar sein: Wir gehen respektvoll miteinander um, es wird niemand beschimpft. Auf dieser Grundlage hat es funktioniert.

BSZ: Aber um die Programmatik der Grünen kommen Sie selbst bei der besten Ansprache nicht umhin. Mehr Tierwohl im Stall, weniger Gülle auf dem Acker – das löst bei vielen Bauern keine Jubelstürme aus.
Sengl: Da muss man ehrlich auftreten und deutlich sagen: Wir haben ein Problem mit Überdüngung, wir müssen die Zahl der Tiere an die vorhandene landschaftliche Fläche anpassen. Beim Tierwohl muss ich als Landwirt auch gesellschaftliche Entwicklungen wahrnehmen und darauf reagieren. Und beim Umweltschutz ist es doch im Sinne der Landwirtschaft, wenn die Artenvielfalt erhalten wird. Auf der anderen Seite muss es einfach mehr Geld für die ökologischen Leistungen der Landwirtschaft geben, dafür weniger für die reine Flächenbewirtschaftung. Weil da noch ziemlicher Nachholbedarf besteht, verstehe ich die Enttäuschung der Landwirte. Deshalb bin ich auch für den Tierwohl-Cent, weil damit zusätzliches Geld bei den Landwirten für den Umbau der Ställe ankommt.

BSZ: Die Wärme- und Energiewende findet vor allem auf dem Land statt mit Freiflächenphotovoltaik, Windrädern und neuen Heizungen. Wie wollen Sie die Menschen da mitnehmen?
Sengl: Eine wichtige Säule für die Akzeptanz der Energiewende ist die finanzielle Beteiligung an den Erlösen vor Ort – die Bürgerenergie. Da kann man zum Beispiel bei der Ausschreibung von Windkraftprojekten noch mehr machen. Wir Grüne fordern das schon lange.

BSZ: Wie groß ist Ihr Einfluss auf die Landespolitik der Grünen ohne Mandat im Landtag? Die sehr städtisch geprägte Landtagsfraktion ist entscheidend für die praktische Umsetzung.
Sengl Unsere wichtigsten politischen Inhalte sind klar. Der Landesvorstand ist in engem Austausch mit der Landtagsfraktion, wir arbeiten für die gleichen Ziele.

BSZ: Schwerpunkt der Landtagsfraktion ist gerade der Kampf gegen Rechtsextremismus. Das bewegt vor allem die Menschen in der Stadt.
Sengl: Das sehe ich nicht so. Klar kommen in München, in einer Großstadt, über 100 000 Menschen zu einer Demonstration. Aber am Samstag waren in Traunstein mehr als 3000 Leute – die größte Demo in der Stadt seit 1950. Nein, dieses Thema bewegt auch die Menschen auf dem Land.

BSZ: Sie halten also den Themenmix der Grünen richtig gesetzt?
Sengl: Demokratieschutz und Klimaschutz – das sind unsere wichtigsten Themen, und diese Mischung halte ich für richtig. Das sind die Themen für unsere Zukunft.

BSZ: Ihre Fraktionschefin Katharina Schulze hat als Konsequenz aus der Landtagswahl gefordert, die Grünen müssten mehr raus zu den Leuten. Waren sie das nicht?
Sengl: Doch. Aber wir Grüne haben im Landtag 32 Abgeordnete bei 96 Landkreisen. Wir müssen überall im Land präsent sein, überall Verknüpfungen zu den relevanten Gruppen, Vereinen und Verbänden vor Ort schaffen. Das müssen wir noch verbessern.

BSZ: Als Landesvorsitzende haben Sie jetzt direkten Zugang zu den Bundes-Größen Ihrer Partei. Was wollen Sie denen mit auf den Weg geben?
Sengl: Dass sie das Land nicht vergessen. Es macht schon einen Unterschied, ob man in Berlin auf eine Demo geht oder sich in Deggendorf oder Hoyerswerda hinstellt. Wir haben in Ostdeutschland drei Landtagswahlen anstehen. Ich bin mir sicher, dass unsere Bundespolitiker regelmäßig hinfahren, sich zeigen und unsere Kandidatinnen und Kandidaten direkt vor Ort unterstützen. (Interview: Jürgen Umlauft)

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