Der Kurs in der Flüchtlingspolitik und insbesondere die Tonlage der Parteispitze zieht auch innerhalb der CSU heftige Kritik auf sich. Bayernweit verloren die Christsozialen deshalb Mitglieder. Andere wie die ehemalige Sozialministerin Stewens hoffen, von innen heraus etwas ändern zu können – vor allem an den Umgangsformen und in der Abschottungspolitik.
In den rund fünf Jahrzehnten, in denen Josef Göppel nun schon CSU-Mitglied ist, war er natürlich nicht immer einer Meinung mit der Spitze seiner Partei. Doch eine „derartige Entfremdung“ zu den seitens der CSU-Führung vertretenen Positionen und insbesondere der Tonlage habe er noch nie erlebt, sagt der mittelfränkische Förster.
15 Jahre saß der Umweltexperte bis Herbst 2017 für die Christsozialen im Bundestag. In den vergangenen Wochen und Monaten fragte er sich erstmals: „Ist das noch meine Partei?“ Für ihn ist klar: „Parteichef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder haben zuletzt die Parolen der AfD übernommen.“ In einer christlichen Partei hätten Begriffe wie Asyltourismus jedoch nichts zu suchen. „Wir müssen jedem Menschen mit Würde begegnen.“ Der Umgangston gegenüber Flüchtlingen und der Schwesterpartei sei mit bürgerlichem Anstand nicht vereinbar, sagt der 67-Jährige.
Unterfranken: 41 Mitglieder treten aus Protest aus – innerhalb von vier Wochen
Göppel entschied sich nach einigem Überlegen, „es noch einmal innerhalb der CSU versuchen“. Mitte Juli schloss er sich deshalb der „Union der Mitte“ an – eine wachsende Zahl an CDU- und CSU-Mitglieder haben sich darin jüngst gegen den Rechtsruck bei der CSU und zur Unterstützung des Kurses von Angela Merkel zusammengetan.
Manch andere haben den Glauben, sie könnten innerhalb der Partei etwas bewegen, dagegen längst verloren. Der Bamberger Domkapitular Peter Wünsche verabschiedete sich Ende Juni aus der CSU – nach 44 Jahren. Diese verliere die bürgerliche Mitte, postete er bei Facebook. Anfang Juli trat Harald Leitherer, der bis 2013 Landrat des Landkreises Schweinfurt war, nach 49 Jahren aus seiner Partei aus. „Wir dürfen keinen Hass gegen Menschen aus anderen Ländern schüren“, begründete er seinen Schritt. Bereits Mitte April war der frühere Ebersberger Landrat Hans Vollhardt aus der CSU ausgetreten – relativ geräuschlos. Zuletzt kritisierte er Söder jedoch auch öffentlich. „Es geht ihm nicht um die Menschen.“
Im Ebersberger CSU-Kreisverband wurden nach dem Austritt Leitherers eine Reihe besorgter Stimmen laut. Die ehemalige bayerische Sozialministerin Christa Stewens sagte Mitte Juli, sie wolle zwar der CSU treu bleiben – aber keineswegs, weil sie den aktuellen Kurs für gut befände. „Ich bin eine Kämpfernatur und glaube, dass man von innen heraus etwas ändern kann.“ Ändern müssten sich die Umgangsformen. Besorgt sei sie auch über „die Abschottungstendenzen in der Flüchtlingspolitik“, sagte sie der SZ. Vieles, was aktuell gefordert wird, widerspreche der Genfer Konvention. Ähnliche Kritik hören sie von vielen in der CSU. So mancher hätte sein Parteibuch schon zurückgegeben. „Das sind oft langjährige Mitglieder aus der bürgerlichen Mitte, sie sind stark verunsichert“, sagt Stewens.
Klar ist: Wünsche, Leitherer und Vollhardt sind keine Einzelfälle. Mitte Juli hatte der CSU-Bezirk Unterfranken bekannt gegeben, dass dort 41 Mitglieder in nur vier Wochen der Partei den Rücken gekehrt hätten. In Briefen kritisierte ein Teil den restriktiven Kurs der Partei in der Asylpolitik, vor allem aber die Art der Auseinandersetzung in der Union. Auch in Niederbayern sollen zuletzt innerhalb von vier Wochen fast 30 Mitglieder ausgetreten sein, wie es aus dem Bezirksvorstand heißt. Da ist etwa der Kreisverband Dingolfing-Landau. Er habe in jüngster Zeit fünf Austritte und keinen Eintritt verzeichnet, sagt der Kreisvorsitzende Max Straubinger. Das klingt bei über 1550 Mitgliedern erst einmal wenig dramatisch. „Das Problem ist, wer da ausgetreten ist“, sagt Straubinger. Ein Mitglied sei 53 Jahre, ein anderes 47 Jahre in der Partei gewesen. „Darunter sind Leute, die vor Ort lange Zeit wichtige Posten hatten, etwa als CSU-Ortsvorsitzende, Markträte oder im Vorstand der Fraktion.“
Straubinger betont, er bedauere jeden Austritt. „Doch diesmal sind das Menschen, die besonders verwurzelt sind.“ Mitglieder, die etwa in Vereinen oder der Kirche aktiv waren – Multiplikatoren, wie man sie in der Sprache der Werbetreibenden nennt. Die Ausgetretenen hätten sich vor allem an der Wortwahl im Flüchtlingsstreit gestört. Für Straubinger geht es auch um den Charakter der Partei. „Wir müssen aufpassen, dass alle Teile der CSU erhalten bleiben, auch der christliche und der liberale. Wir haben viele in der Partei, die etwa in Flüchtlingsinitiativen helfen.“ Straubinger wünscht sich von der Parteispitze, dass diese stärker die AfD-Parolen anprangere. „Wenn man daran denkt, wie wir früher gegen die Republikaner vorgegangen sind – das vermisse ich jetzt.“
„Die Austritte betreffen das historische Rückgrat der CSU“
Auch in anderen Kreisverbänden hatten die CSU-Granden zuletzt alle Hände voll zu tun, um insbesondere christlich Engagierte zum Bleiben zu bewegen. Manche Funktionäre berichten allerdings auch von Neumitgliedern, die eintreten, um bewusst den Söder-Kurs in der Flüchtlingsfrage zu stützen. CSU-Generalsekretär Markus Blume bestätigt, dass es bayernweit insgesamt zuletzt „eine erhöhte Zahl an Austritten, aber auch deutlich mehr Eintritte als sonst gegeben hat“. Diese hielten sich auf „höherem Niveau die Waage“.
Tatsächlich gab es zum Beispiel in Unterfranken nach Angaben des Bezirks innerhalb von vier Wochen fast genauso viele Ein- wie Austritte, in Niederbayern überwogen die Eintritte sogar etwas. Blume sagt: „Wir merken: Die Zeiten sind politischer und polarisierter.“
Doch wenn honorige Mitglieder und gestandene Lokalpolitiker abwandern, muss das die Führung alarmieren. Die Austritte beträfen das „historische Rückgrat der CSU“, sagt der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Er spricht „von einer ernsten Situation für die CSU“. Die Inszenierung von Machtspielen stoße christlich motivierte Menschen ab, warnt er. Bezeichnend seien die warnenden Stimmen von CSU-Urgesteinen wie Hans Maier. Der 87-Jährige, der unter Franz Josef Strauß Kultusminister war, hatte jüngst kritisiert, der CSU sei „die christliche Wertorientierung abhandengekommen“.
Der ehemalige Kohl-Berater Weidenfeld sieht durch die Austritte altgedienter Mitglieder mögliche Probleme für die Mobilisierung in künftigen Wahlkämpfen. „Es bleibt ja nicht bei den Austritten. Die Ausgetretenen haben ein Umfeld, das wiederum andere mitzieht.“ Der Vorgang sei deshalb „weitreichender als die pure statistische Zahl“.
Dass der heftige Tonfall beim Flüchtlingsstreit ein Eigentor war, beklagen viele Christsoziale. „Wir verlieren dadurch in der Mitte mehr Unterstützer, als wir am rechten Rand gewinnen“, sagt etwa der Lindauer Landtagsabgeordnete Eberhard Rotter, der sich selbst als „wertkonservativ“ bezeichnet. Und der niederbayerische Bundestagsabgeordnete Alois Rainer fordert: „Wir müssen nun im Wahlkampf stark unsere Erfolge betonen.“
„Ich bin gläubige Christin. Das C ist für mich wichtig“
Auch CSU-Generalsekretär Blume will in der heißen Phase den Wahlkampf vor allem auf Landesthemen abstellen. „Bayern steht unglaublich stark da.“ Blume ist allerdings keiner, der alles schönredet. Jenen, die wegen ihres Austritts oder aus Unzufriedenheit Briefe an seine Zentrale schreiben, antwortet er persönlich. „Ich kämpfe um jeden“, sagt er. Manchmal trifft der Münchner die Kritiker auch zum Gespräch. Tutzings Vize-Bürgermeisterin Elisabeth Dörrenberg etwa. Sie hatte mit einigen Mitstreitern den Kurs der Parteispitze in der Flüchtlingsfrage in einem Schreiben an Seehofer öffentlich kritisiert und mit Austritt gedroht. „Ich bin gläubige Christin. Das C ist für mich wichtig“, sagt sie und ergänzt, dass sie konservativ sei. „Aber Toleranz und Respekt spielen für mich eine große Rolle.“ Blume konnte sie im Gespräch überzeugen, zu bleiben. „Wir kamen überein, dass wir unsere unterschiedlichen Meinungen respektieren“, erklärt Dörrenberg. Dass Söder zuletzt angekündigt hatte, verbal abzurüsten, begrüße sie ausdrücklich.
Doch wie glaubhaft, sind derlei Ankündigungen von CSU-Spitzenpolitikern? Nicht allzu lange nach der Verkündung von Söders Friedensbotschaft hat CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Focus gesagt: „Wir haben jetzt das schärfste Grenzregime, was es je gegeben hat.“ Dörrenberg ärgern derlei an den Kalten Krieg erinnernde Floskeln.
Klar ist aber auch: Die CSU diskutiert so intensiv über Stil und Ausrichtung wie lange nicht. Und zumindest Generalsekretär Blume ist sich bewusst, dass eine Volkspartei verschiedenste Strömungen braucht. „Wir können nur Volkspartei bleiben, wenn auch in Zukunft Liberale bei uns genauso selbstverständlich politische Heimat haben wie Konservative.“
(Tobias Lill)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!