Politik

Ein Selfie in der Grünen-Landeszentrale, bevor der Wahlkampf in Bayern offiziell startet. Fraktionschefin Katharina Schulze, das Spitzenduo Anton Hofreiter und Jamila Schäfer sowie der Landesvorstand Gisela Sengl und Eva Lettenbauer (von links). foto: loh

17.01.2025

Die Grünen bashen jetzt zurück

Wahlkampf mit den Grünen: Die Umfragewerte sind mäßig, die Chancen, es in die Regierung zu schaffen, waren schon mal besser – die Stimmung ist trotzdem gut

Die Grünen starten selbstbewusst in den Wahlkampf. Die Spitzenkandidatin Jamila Schäfer (31) versucht, enttäuschte Jungwähler zurückzugewinnen, ihr männliches Pendant Anton Hofreiter (54) verweist auf die wirtschaftlichen Erfolge der Partei in der Ampel. Doch der Umgang mit Migration und Ukraine-Krieg bleibt eine Herausforderung.

Die Grünen haben in den letzten Jahren viel Kritik einstecken müssen, seit CSU-Chef Markus Söder sie zu seinem politischen Hauptgegner erklärt. Bislang haben sie die Angriffe stoisch über sich ergehen lassen. Doch zum Wahlkampfauftakt in dieser Woche ging die Grünen-Landesvorsitzende Gisela Sengl in den Angriffsmodus über.

„Der CSU dürfen wir die Bundesregierung nicht überlassen“, ruft sie den rund 100 begeisterten Mitgliedern in der Münchner Grünen-Zentrale zu. Die Abkehr von den selbst gesteckten Klimazielen zeige, dass die Christsozialen „täuschen und lügen“. „Schluss mit der betrügerischen Politik im Hinterzimmer“, fügt sie unter lautem Jubel der Anhänger hinzu, die aus allen Winkeln Bayerns angereist sind. Darunter viele altgediente Umweltschützer mit Jutebeuteln, aber auch junge Frauen mit kurzen Haaren und Männer mit Ohrringen. 

Die Mitgliederzahlen stiegen nach dem Ampel-Aus rasant

Auch andere Grüne halten sich inzwischen nicht mehr mit Kritik zurück. Kanzlerkandidat Robert Habeck warf der Union jüngst „grobe Wählertäuschung“ vor. Der Bundestagsabgeordnete Sebastian Schäfer bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz vom Noch-Koalitionspartner SPD wegen dessen Absage an Waffenlieferungen für die Ukraine als „verantwortungslos“.

Nach dem Ende der Ampel-Koalition scheint sich in der Partei ein Gefühl von Befreiung breitzumachen. Die Lust auf Wahlkampf ist an diesem Nachmittag jedenfalls deutlich spürbar. Stapelweise rollen die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer Wahlplakate zusammen und stopfen sich die Taschen mit Buttons, Handcreme, Lippenpflegeprodukten und Mützen für ihre Wahlkampfständen voll.

Das neue Selbstbewusstsein der Grünen resultiert auch aus den stark wachsenden Mitgliederzahlen. Bei Sengls Frage, welche Orts- und Kreisverbände steigende Mitgliederzahlen haben, reißen fast alle Anwesenden die Hände in die Höhe. Tatsächlich verzeichnet die Partei seit dem Koalitionsbruch so viele Aufnahmeanträge wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Allein in Bayern stellten in den letzten zwei Monaten 3000 Menschen einen Mitgliedsantrag, wodurch die Gesamtzahl auf fast 26 000 anstieg. 
Allerdings spiegeln sich die bundesweit steigenden Mitgliederzahlen bisher nicht in den Umfragen wider. Dort liegen die Grünen weiterhin knapp unter ihrem letzten Bundestagswahlergebnis von 14,8 Prozent. Damit stehen sie jedoch besser da als die SPD, die im Vergleich zu 2021 stärker verloren hat – allerdings insgesamt immer noch um ein bis drei Prozentpunkte vor den Grünen liegt.

In Bayern setzt die Partei vor allem auf Jamila Schäfer, die als Nachfolgerin von Claudia Roth zur Spitzenkandidatin nominiert wurde. Roth hatte – offiziell zugunsten eines Generationswechsels – auf die Kandidatur verzichtet. Schäfer war bei der Bundestagswahl 2021 in ihrem Wahlkreis München-Süd die erste Grüne in Bayern, die überhaupt ein Direktmandat gewonnen hat.

Ob die 31-Jährige mit ihren zentralen Forderungen – gute Kitas, bezahlbare Mieten und günstige Mobilität – über das großstädtische Milieu hinaus Wählerinnen und Wähler im Freistaat überzeugen kann, bleibt abzuwarten. Hinzu kommt, dass Schäfer sich parallel zum Wahlkampf um ihr Baby kümmert, wodurch wenig Zeit für landesweite Wahlkampftouren bleibt. Der Applaus der Mitglieder an diesem Nachmittag für sie ist jedenfalls riesig, manche nennen sie nur „Ms. Zuversicht“. 

Eine ihrer wichtigsten Aufgaben wird sein, enttäuschte junge Menschen wieder für die Grünen zu gewinnen. Im Herbst kam es in der Grünen Jugend wegen der als unzureichend empfundenen Klimapolitik bundesweit zu zahlreichen Austritten – auch der gesamte bayerische Landesvorstand trat geschlossen zurück. Schäfer versichert im Gespräch mit der Staatszeitung, dass sie sich die Kritik in vielen persönlichen „Küchengesprächen“ zu Herzen genommen habe. „Ich war auch nicht mit allem, was die Grünen in der Ampel gemacht haben, zufrieden.“ Doch die Partei habe daraus gelernt.

Bei den nächsten Koalitionsverhandlungen stünde daher die Finanzierbarkeit der grünen Vorhaben, etwa durch eine Lockerung der Schuldenbremse, an erster Stelle. Ebenso habe man aus der misslungenen Kommunikation rund um das Heizungsgesetz gelernt. Künftig will man den Menschen also besser erklären, dass nicht sie allein die Kosten für den ökologischen Umbau tragen müssen. Stattdessen sollen die finanziellen Belastungen gerecht verteilt werden – etwa durch das geforderte Klimageld.

Das zweite Zugpferd der Grünen in der bayerischen Doppelspitze ist Anton Hofreiter 54. Der langjährige Bundestagsabgeordnete wurde spätestens seit April 2022 bundesweit bekannt, als er bei Markus Lanz mit detailliertem Wissen über polnische Panzer überraschte. Vor den Mitgliedern in München pries der 54-Jährige die wirtschaftlichen Erfolge der Grünen in der Bundesregierung.

Wer will, kann die Grünen-Spitzenkandidatin unter 0152/52 3315 28 anrufen

Tatsächlich hat Deutschland 2023 Japan überholt und ist damit zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Wirtschaftsminister Robert Habeck habe das Land zudem unabhängig von russischem Gas gemacht, rief Hofreiter unter großem Applaus. „Und noch nie in der Geschichte gab es so viele Windkraft- und Photovoltaikanlagen in Deutschland wie jetzt.“ Die Menge jubelt.

Der Münchner sprach auch die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine an, zu deren entschiedensten Befürwortern er zählt. „Wir als erfahrene Friedenspartei wissen, dass bei Konflikten Abrüstung nicht immer das Beste ist“, erklärte er. Manchmal müsse man Stärke zeigen, um Frieden zu erreichen. Hier bleibt der Applaus deutlich leiser, Mitglieder in den hinteren Reihen klatschen teilweise gar nicht. Das Thema ist innerhalb der Grünen stark umstritten.

In der Migrationspolitik steht die Partei vor einer ähnlichen Zerreißprobe. Einerseits möchten die Grünen ihre Werte und Ideale wahren, andererseits sehen sie sich als Regierungspartei gezwungen, pragmatische Entscheidungen mitzutragen – wie etwa bei den beschleunigten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen. Das Thema kam wohl deshalb beim Wahlkampfauftakt gar nicht zur Sprache.

Auf Nachfrage der BSZ sagt Schäfer nur: „Im Gegensatz zur Union werden wir auch in Zukunft Lösungen finden, die rechtsstaatlichen Regeln entsprechen.“ Damit spielte sie auf den Vorschlag von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz an, straffälligen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dieser Vorschlag ist gemäß Grundgesetz jedoch nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich. Laut Schäfer schüren andere Parteien mit solchen Forderungen lediglich Ängste, um sich vor Antworten zu den wirklich wichtigen Themen wie der grünen Transformation der Wirtschaft zu drücken. 

Sie gibt sich überzeugt, für alle großen Probleme eine Lösung zu haben. Wer sich selbst davon überzeugen möchte, könne sie jeden Freitag von 17 bis 19 Uhr unter der Telefonnummer 0152/52 3315 28 anrufen oder ihr über Whatsapp und Signal schreiben.

So steht es auch auf den Wahlplakaten, mit denen die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer nach der Veranstaltung den Saal verlassen. Wie ihnen der Auftakt gefallen hat? „Meine Erwartungshaltung war, dass es kurz wird“, sagt ein älterer Teilnehmer. „Geredet wurde in den letzten Jahren genug.“ Er war zufrieden: Die Veranstaltung dauerte nur 30 Minuten. (David Lohmann)

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