Bis ihm eine Untersagungserklärung ins Haus flatterte, hat der Mittelständler Nico Zieglmeier aus Schrobenhausen an seinen Tankstellen die Dieselalternative HVO100 frei verkauft. Nicht nur aus seiner Sicht könnte der Biokraftstoff den Schadstoffausstoß auf deutschen Straßen parallel zum Ausbau der Elektromobilität enorm senken – doch die Bürokratie spielt zumindest bisher nicht mit.
Mehr als 14 Millionen Dieselautos und rund drei Millionen Lastwagen mit Dieselmotor sind derzeit in Deutschland zugelassen. Was, wenn man viele von ihnen mit einem Kraftstoff fahren lassen könnte, der bis zu 90 Prozent weniger CO2, etwa 20 Prozent weniger Partikel und 30 Prozent weniger Stickstoff ausstößt? Der nicht so intensiv riecht, der im Winter besser läuft und für den man vor allem auch nicht den Motor umrüsten müsste? HVO100 – Hydrotreated Vegetable Oil, also hydriertes Pflanzenöl – wäre so ein Kraftstoff. Er besteht zum größten Teil aus Altfetten, etwa gebrauchtem Speiseöl.
Bundesumweltministerium sieht mehrere Probleme
Rund 1100 Tankstellen in Europa bieten diesen Kraftstoff an. Sieht man sich deren Verteilung in Europa an, bemerkt man in Deutschland eine riesige leere Fläche. Und das hat einen Grund: In der Bundesrepublik ist die freie Ausgabe von HVO100 an Zapfsäulen nicht erlaubt. Laut der 10. Bundesimmissionsschutzverordnung entspricht die Dichte des Kraftstoffs nicht dem für Diesel vorgegebenen Wert. Viele neuere Fahrzeuge besitzen allerdings eine Freigabe für die Norm, über deutsche Straßen fahren ausländische Lastwagen damit, und auch hierzulande nutzen sogar kommunale und staatliche Betriebe HVO100, diese allerdings über Umwege. Nur an den Zapfsäulen ist die freie Ausgabe verboten. Blockiert wird eine Änderung der Verordnung bisher vor allem vom grün geführten Bundesumweltministerium, das davon keine positiven Auswirkungen auf Umwelt und Klima erwartet.
Das fange schon damit an, dass HVO100 nicht zwingend ein nachhaltiger Treibstoff sei, teilt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums mit. Zumindest in der Vergangenheit sei dieses Produkt aus dem billigen Palmöl hergestellt worden. „Die Angaben des Herstellers, auf den Einsatz von Palmöl zu verzichten, können von uns nicht überprüft werden.“ Dazu sei ein großer Teil der Bestandsflotte von Fahrzeugherstellern nach wie vor nicht für diese Biokraftstoffe freigegeben. Und wer den Kraftstoff ohne Herstellerfreigabe tanke, riskiere den Verlust sämtlicher Gewährleistungsansprüche. Um den Anteil von nachhaltigem HVO im Umlauf zu erhöhen, muss aus Sicht des Sprechers auch nicht die Verordnung geändert werden. Erlaubt sei schon jetzt, den Biokraftstoff konventionellem Diesel bis zu 26 Prozent beizumischen. „Aktuell werden im Mittel lediglich circa 3 Prozent HVO beigemischt.“ Es sei also noch viel Luft nach oben, ganz ohne Gesetzesänderungen.
"Ich komme aus einer fossilen Welt"
Nico Zieglmeier aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen sieht das anders. Der Schrobenhausener besitzt 13 Tankstellen und hat 2017 damit begonnen, den Kraftstoff zu vertreiben. „Ich komme aus einer fossilen Welt“, sagt der Unternehmer. „Aber ich bin grün eingestellt.“ In seinem Unternehmen gibt es Blockheizkraftwerke, Solaranlagen, Wasserrückgewinnung.
2021 fing er als bundesweit Erster damit an, HVO100 vom Marktführer Neste an seinen Zapfsäulen anzubieten – auch wenn er ahnte, was er damit lostreten würde. Ums Geld gehe es ihm nicht, versichert er. „Wir machen das aus Überzeugung.“ Der Anteil von HVO100 am Gesamtumsatz betrage vielleicht 1 Prozent. Das Hauptgeschäft macht die Firma ohnehin mit der Vermietung von Tanks.
Er habe nichts gegen Elektromobilität – Zieglmeier verweist auf die E-Ladesäulen, die es auch an seinen Tankstellen gibt. Es brauche aber eine zweite Technologie, um den Schadstoffausstoß so schnell wie möglich zu senken. Mit Elektromobilität allein werde man das nie schaffen.
Kein Problem mehr zu zahlen
30 bis 40 Leute tankten regelmäßig an einer der mittlerweile vier Zapfsäulen Zieglmeiers HVO100 und hatten kein Problem damit, dafür auch zehn bis 15 Cent pro Liter mehr zu zahlen. „Die haben es gerne gezahlt“, sagt Zieglmeiers Sohn Lucas, der für die Tankstellen im mittlerweile weit verzweigten Familienunternehmen verantwortlich zeichnet. „Da steht der Umweltaspekt dahinter.“ Die Ausgabe endete abrupt zum 1. August – nachdem das Landesamt für Umweltschutz es ihnen schriftlich untersagt hatte, damit weiterzumachen.
Liefern durften die Zieglmeiers den Kraftstoff freilich weiter. Zu ihren Kunden gehören Landwirte, kommunale und staatliche Bauhöfe, Speditionen und sogar eine Tochter der Deutschen Bahn. Doch nicht alle Kunden können wie diese eigene Tankstellen oder Tanks zur Lagerung vorhalten. Sie brauchen eine Zapfsäule. Teilweise müssen sie sogar auf klimaneutrale Kraftstoffe umrüsten, etwa, um sich an Ausschreibungen zu beteiligen. „Gestern kam ein Schreiben aus einem Ministerium“, erzählt Lucas Zieglmeier. „Die schrieben: ,Wir müssen mit HVO100 fahren, wir dürfen es aber nicht tanken. Die Bürokratie in Deutschland werde immer schlimmer, sagt Nico Zieglmeier dazu.
Unterstützung durch den Staatssekretär
Der Unternehmer kann sich zumindest der Unterstützung durch Roland Weigert (FW), Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium und früherer Landrat Neuburg-Schrobenhausens, sicher sein. Technologieoffenheit sei das Gebot der Stunde, betont Weigert gegenüber der Bayerischen Staatszeitung. Seit Jahren setze sich Bayern gegenüber Bund und Bundesrat dafür ein, paraffinischen Kraftstoff, wozu auch HVO100 gehört, in die Bundesimmissionsschutzverordnung aufzunehmen. „Es gibt keinen Grund, das nicht zu vertanken – außer Ideologie“, meint der Staatssekretär.
Auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) befürwortet den Einsatz von HVO100 und ähnlichen Kraftstoffen. „Synthetische Kraftstoffe können klimaneutrale Mobilität in Bereichen gewährleisten, in denen die Elektromobilität an ihre Grenzen stößt“, erklärt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw, auf Anfrage. „Die Energiekrise verdeutlicht, dass wir vor allem bei der Transformation unseres Energiesystems dringend mehr Tempo benötigen. Generell brauchen wir einen technologieoffenen und innovationsfreundlichen Rechtsrahmen.“
Politische Unterstützung nicht nur aus dem Freistaat
Zieglmeier setzt die Hoffnung auch in das von der FDP geführte Bundesverkehrsministerium. Dieses hat inzwischen den Kraftstoff als Option im Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetz zugelassen und ins Klimaschutz-Sofortprogramm aufgenommen.
Für ihre Kund*innen von der Zapfsäule hat die Firma mittlerweile eine Lösung gefunden, die anscheinend rechtlich unangreifbar ist: Seit 1. November können alle, die sich registriert haben, mit einer Tankkarte HVO100 abzapfen. So kann vermieden werden, dass jemand den Kraftstoff aus Versehen bezieht. „Wir haben bewusst wieder angefangen, weil es so viele Anfragen aus städtischem und staatlichem Bereich gab“, sagt Lucas Zieglmeier.
(Thorsten Stark)
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