Der Polizei hat Corona neue Herausforderungen gebracht. Unter anderem muss sie im öffentlichen Raum darauf achten, dass sich Menschen nicht zu nahe kommen. Im Münchner Englischen Garten haben Polizisten zuletzt die Mindestabstände mit dem Zollstock nachgemessen. Im Englischen Garten fand auch unser Interview statt.
BSZ: Herr Köhnlein, Discos und Kneipen sind zu, Partys und Großveranstaltungen untersagt – das sind doch paradiesische Verhältnisse für die Polizei …
Jürgen Köhnlein: Auf den ersten Blick stimmt das, es sind ja auch die Verkehrsunfälle weniger geworden. Aber insgesamt ist es leider nicht so. Wir haben dafür neue Aufgaben dazubekommen wie die Kontrolle der Vorgaben aus der Corona-Schutzverordnung. Wir müssen in Parks überprüfen, ob die Mindestabstände eingehalten werden oder ob nicht doch irgendwo Feiern abgehalten werden, obwohl das gerade verboten ist.
BSZ: Schaffen es Ihre Kolleg*innen jetzt wenigstens, den vor Corona aufgestauten Berg an Überstunden ein wenig abzubauen?
Köhnlein: Die Möglichkeit, Überstunden aus dem letzten Jahr abzufeiern, die gibt es aktuell tatsächlich. Wir spüren da aber auch eine gewisse Zurückhaltung. Denn den richtigen Erholungswert hat man aufgrund der Gesamtumstände zurzeit leider nicht.
BSZ: Wissen Ihre Kolleg*innen auf Streife immer, welche Regeln gerade wo gelten?
Köhnlein: Das ist in der Tat schwierig. Wir versuchen, sie durch bayernweit koordinierte Informationen immer auf dem neuesten Stand zu halten. Weil viele Vorgaben aber von der regionalen Inzidenz abhängen, müssen sich die Kollegen in den örtlichen Inspektionen auch tagesaktuell bei den Landratsämtern informieren.
BSZ: Spüren Sie nach einem Jahr Corona wachsenden Unmut der Menschen bei der Durchsetzung der Regeln?
Köhnlein: Die Menschen sind dünnhäutiger geworden, das ist auch verständlich. Es will ja jeder die Freiheit wiedergewinnen, die er vor Corona gewohnt war. Bei schönem Wetter wollen die Leute raus und sich treffen – und damit fangen dann die Konflikte an. Die werden jetzt häufiger als in der ersten Welle. Damals war die Angst vor einer Infektion noch größer, die Menschen waren vorsichtiger. Das hat sich geändert. Wenn wir als Polizei dann die Regeln durchsetzen, werden die Beamten gerne als Vertreter der Politik für die Einschränkungen verantwortlich gemacht. Das passiert heute schneller als im ersten Lockdown, es häufen sich auch die schweren Widerstandshandlungen, wenn wir Vorgaben durchsetzen wollen.
BSZ: Polizeieinsätze und Abstand halten schließen sich mitunter aus. Schreckt man da mal vor einem Zugriff zurück?
Köhnlein: Das ist ein schwieriges Thema. Aber Zurückschrecken oder Zurückschreiten geht nicht. Unsere Kolleginnen und Kollegen müssen ihren Auftrag auch in der Pandemie erfüllen. Wir haben gerade bei Demonstrationen von Querdenkern und Corona-Leugnern immer wieder die Situation, dass die Protestierenden keine Maske aufhaben und keine Abstände einhalten. Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass unsere Einsatzkräfte jetzt die Möglichkeit bekommen, sich impfen zu lassen.
BSZ: Fühlen Sie sich von Ihrem Dienstherrn, dem Freistaat Bayern, ausreichend auf die Pandemielage vorbereitet?
Köhnlein: In der ersten Welle war das große Problem die Schutzausrüstung. Das hat sich erfreulicherweise erledigt. Trotzdem gibt es immer wieder Fälle, wo sich Kolleginnen und Kollegen im Dienst mit Corona infizieren. Da fühlen wir uns aktuell vom Finanzministerium verlassen, weil es die Anerkennung einer solchen Corona-Infektion als Dienstunfall weiterhin ablehnt. Wir wollen hier eine Umkehr der Beweislast haben. Aus unserer Sicht muss der Dienstherr nachweisen, dass die Infektion nicht im Dienst erfolgt ist.
BSZ: Was brächte den Beamt*innen die Anerkennung als Dienstunfall?
Köhnlein: Wir haben das mal am Beispiel einer infizierten Polizeiobermeisterin durchgerechnet. Müsste die wegen der Infektionsfolgen vorzeitig in Pension gehen, hätte sie ohne Anerkennung als Dienstunfall einen Versorgungsausfall von rund 340 Euro monatlich.
BSZ: Haben Sie einen Überblick, wie viele Kolleg*innen sich bereits im Dienst infiziert haben?
Köhnlein: Wir bei der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern vertreten aktuell 25 Kolleginnen und Kollegen in solchen Rechtsschutzfällen. Insgesamt sollen es laut Landesamt für Finanzen über 40 sein. Drei der bei uns anhängigen Verfahren liegen schon vor dem Verwaltungsgericht.
BSZ: Seit dieser Woche gibt es das Impfangebot für Polizist*innen. Sind Sie damit zufrieden?
Köhnlein: Wir profitieren jetzt davon, dass der Impfstoff von Astrazeneca für Menschen über 65 Jahre noch nicht zugelassen ist und deshalb Impfdosen ungenutzt vorhanden sind. Wir nehmen dieses Angebot gerne in Anspruch.
BSZ: Wie hoch schätzen Sie die Impfbereitschaft bei der Polizei ein?
Köhnlein: Gefühlt sind es 60 bis 70 Prozent, bei der Online-Registrierung haben sich bislang aber erst weniger als die Hälfte eingetragen. Die Zahlen steigen aber täglich. Die anfängliche Impfskepsis schwindet. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende eine Impfquote von 70 bis 80 Prozent erreichen werden.
BSZ: Innerhalb der Polizei gibt es Bedenken wegen der Zuverlässigkeit des verwendeten Impfstoffs von Astrazeneca. Teilen Sie diese?
Köhnlein: Nein. Wir sind keine Wissenschaftler, wir haben auch keine Tests durchgeführt. Der Impfstoff ist zugelassen, und wir gehen davon aus, dass er seine Wirkung entfaltet. Erste Studien scheinen das auch zu belegen. Aus meiner Sicht ist der Impfstoff von Astrazeneca auf alle Fälle besser als gar keiner, denn er schützt offenbar ausreichend vor schweren Erkrankungen.
BSZ: Das neue Polizeiaufgabengesetz wird schon wieder reformiert. Hätte es das aus Ihrer Sicht gebraucht?
Köhnlein: Der Druck aus der Bevölkerung, daran Änderungen vorzunehmen, war einfach da. Es war sinnvoll, noch einmal unabhängige Experten über das Gesetz schauen zu lassen. Die von dieser Kommission vorgeschlagenen Veränderungen sind jetzt nicht so, dass man befürchten müsste, die Polizei könne ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Sollte die Novelle so verabschiedet werden, können wir damit gut arbeiten.
BSZ: Sie sehen also keine Gefahr für die innere Sicherheit, wenn der Begriff der „drohenden Gefahr“ eingegrenzt und polizeiliche Präventivmaßnahmen nur noch zulässt, wenn der Verdacht besteht, Leib und Leben könnten bedroht sein.
Köhnlein: Diese Präzisierung ist aus meiner Sicht zu akzeptieren und schränkt unsere Arbeit nicht unverhältnismäßig ein. Das PAG wird ja nicht auf den Kopf gestellt.
(Interview: Jürgen Umlauft)
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