Politik

Wegweisend: der Würzburger Heilig Geist-Kindergarten. (Foto: dpa)

04.09.2015

Die Nöte der Erzieher

Das Personal an bayerischen Kitas wünscht sich mehr Unterstützung bei der Betreuung von Flüchtlingskindern

Die Kinder einer bayerischen Kita toben auf dem Spielplatz. Sie rutschen und lachen. Auf einmal fliegt ein Helikopter vorbei. Viele Kinder winken begeistert. Doch einige rennen los, verstecken sich im Gebüsch. Sie sind Flüchtlingskinder, erst vor Kurzem in Bayern angekommen und haben in ihrer Heimat und auf der Flucht Schreckliches erlebt. „Es erschüttert mich, dieses Verhalten zu beobachten“, sagt Michael Deckert, Fachbereichsleiter für katholische Kindertageseinrichtungen des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg.

„Flüchtlingsfamilien haben sich nicht entschlossen umzuziehen, sondern sind aus ihrem Land geflohen. Die Kinder haben nach den belastenden Erfahrungen der Flucht, Angst und Unsicherheit den Wunsch nach Sicherheit“, ergänzt Pia Theresia Franke, Geschäftsführerin des Verbands katholischer Kindertageseinrichtungen in Bayern. Genau diese Sicherheit, so sind sich die beiden einig, können Kitas den Kindern bieten. Denn Kitas sind eine geschützte Umgebung, mit geregeltem Alltag, vielen Ritualen und Gleichaltrigen als Spielkameraden. Das gebe den Kindern Orientierung, meint Franke.

Katja Romberg findet es bereichernd, Flüchtlingskinder zu betreuen. Sie leitet die Einrichtung Heilig Geist in Würzburg, in der Flüchtlingskinder schon seit Jahren Alltag sind. Aktuell betreuen Romberg und ihr Team 25 Kinder im Alter von zweieinhalb bis sechs, davon neun Flüchtlingskinder. „Kinder sind anders als Erwachsene. Sie haben keine Vorurteile und gehen ganz offen aufeinander zu“, meint sie. „Diese Begegnung nützt deutschen Kindern genauso wie ausländischen. Sie lernen andere Kulturen kennen und üben ganz selbstverständlich Toleranz.“

Für Kinder, die besonders schüchtern sind, gibt es im Kiga Heilig Geist Maggie. Maggie ist eine Handpuppe, ein afrikanisches Mädchen, das alle Kinder lieben. Mit der Puppe werden neue Kinder begrüßt, sie singen und spielen mit ihr. Bald verfliegt die Zurückhaltung, und die Kinder spielen miteinander. „Die Flüchtlingskinder lernen bei uns Deutsch und werden mit der deutschen und europäischen Kultur vertraut“, so Katja Romberg.

Die bayerische Sozialministerin Emilia Müller begrüßt das. Sie fordert, dass möglichst alle Flüchtlingskinder bayerische Kindertageseinrichtungen besuchen, um Deutsch und das Miteinander verschiedener Kulturen zu lernen: „Frühe und kontinuierliche Förderung ist mitentscheidend für schulischen und beruflichen Erfolg.“

Tatsächlich hat jedes Kind den Anspruch auf einen Platz in einer Kita. Das gilt nicht nur für deutsche, sondern auch für Flüchtlingskinder. „Warum auch nicht?“, fragt Michael Deckert. Er findet: „Kinder sind Kinder“ – und sie alle haben eine gute Betreuung verdient, die Chance Kind zu sein, zu spielen und einfach „zur Ruhe zu kommen“.

Doch gerade wenn es um die Förderung von Flüchtlingskindern geht, stehen Kitas oft vor zu großen Herausforderungen und haben zu wenig Geld. Ein Flüchtlingskind zu betreuen bedeutet, viel Zeit investieren. Die Kinder sind teils traumatisiert, aber die Erzieher müssen sich auch um die Eltern kümmern. Die kennen Kitas häufig gar nicht. „Die Eltern haben in den letzten Monaten viel mitgemacht, natürlich haben sie Angst. Sie müssen erst mal das Vertrauen fassen, dass es ihrem Kind bei uns gut geht.“ Dazu spricht Romberg oft lange mit den Eltern, auch wenn das aufgrund von Sprachbarrieren schwierig ist. „Wir machen viele Fotos von den Aktivitäten der Kinder. Dann können wir den Eltern zeigen, wie sie spielen.“

Die Kita-Leiterin Katja Romberg sagt: „Wir würden gerne lernen, mit traumatisierten Kindern umzugehen. Doch dafür haben wir keine Ausbildung.“

Sozialministerin Müller findet zwar, dass die bayerischen Fach- und Ergänzungskräfte der Kitas mit ihrem Fachwissen gut gerüstet seien. Sie betont aber auch: „Um gezielte Hilfestellung zu geben, fördern wir auch entsprechende Angebote.“ Doch Doris Rauscher, familienpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion meint, das ist nicht genug: „Ich bekomme gehäuft Rückmeldungen, dass sich Pädagogen in der aktuellen Situation überfordert fühlen. Die Entwicklungen sind auch für die meisten Pädagogen neu.“ Deshalb fordert Rauscher, dass diese nicht nur Fortbildungen und Hilfe in Traumapädagogik, sondern auch in Bereichen der Sprachförderung oder der Unterstützung der Flüchtlingsfamilien bräuchten.

Kita-Leiterin Romberg klagt über hohe Planungsunsicherheit in den Kitas: „Wir wissen oft nicht, wann Kinder kommen. Dann müssen wir sehr schnell neue Erzieher einstellen. Allerdings sind die Kinder – wenn die Familien abgeschoben werden – genauso schnell wieder weg, und wir haben zu viele Pädagogen und zu wenig Geld.“ Michael Deckert findet, spontane Einstellungen und Entlassungen seien auch „arbeitsrechtlich nicht befriedigend steuerbar“.

Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung gibt es in Bayern zudem immer noch kein kindgerechtes Betreuungsverhältnis. „Das bleibt auch so, wenn der Freistaat nicht ausreichend Gelder in die Hand nimmt!“, so SPD-Frau Rauscher. Recht gibt ihr dabei Ludwig Selzam, erster Vorstand des evangelischen Kita-Verbands Bayern. Selzam, Rauscher und auch Deckert meinen, dass die dauerhafte Finanzierung einer zusätzlichen Arbeitskraft unabhängig von der tatsächlichen Anwesenheit von Flüchtlingskindern den Kitas am meisten helfen würde. Doch dafür braucht es Geld. Ludwig Selzam schlägt eine unbürokratische Unterstützung vor, zum Beispiel durch eine Pauschale von jährlich 5000 Euro zusätzlich pro Flüchtlingskind. „Die könnten finanziert werden, indem man das sowieso umstrittene Betreuungsgeld abschafft. Damit wäre allen Kinder geholfen.“ (Jennifer Hertlein)

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