Der Satz war für viele Kulturschaffende eine Watschn. Auf die Frage, wann denn Diskotheken wieder öffnen können, antwortete Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kürzlich, das würde noch dauern. „Aber Sie können ja zum Beispiel zu Hause mit Ihrer Partnerin tanzen.“
Nicht nur der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft nannte die Aussage angesichts der bedrohten Existenzen zynisch. Allein in Bayern gibt es 320 Clubs, 3700 Kneipen, 560 Bars und 900 sonstige Schankstellen, die jährlich eine Milliarde Euro umsetzen. „Der Satz war kein Ausrutscher, sondern Ausdruck einer Haltung“, beklagte ein Pfaffenhofener Clubbetreiber. Söders Sprecher weist das zurück.
Diskotheken trifft die Zwangsschließung noch härter als Bars und Kneipen, die immerhin einen Toast Hawaii anbieten können, um dadurch zum Speiselokal zu werden – und als solche öffnen dürfen. Zumindest in München drückt das Kreisverwaltungsreferat auch bei fehlender Konzession oft ein Auge zu.
Immerhin: Nach der Klage eines Clubs in Günzburg dürfen Bars, Kneipen und Discos ihre Räume seit Mitte Juli für private und kulturelle Veranstaltungen vermieten. Zwar hatte die Staatskanzlei das offizielle Schreiben des bayerischen Wirtschaftsministeriums kurzzeitig für gegenstandslos erklärt. Grund dafür waren nach Informationen der Staatszeitung unterschiedliche Ansichten über die Auslegung des Urteils. Jetzt aber sollen die Vollzugshinweise gelten.
Hilfen: ein „babylonisches Durcheinander“
Die komplizierten Auflagen dürften jedoch viele Bar- und Clubbetreiber*innen vom Vermieten abschrecken: Bei geschlossenen Gesellschaften muss der Gastgeber die Gäste persönlich kennen, bei Kulturevents die Musik mehr als eine „Untermalung des Betriebs“ sein. Damit sollen Hintertürchen wie einst der Raucherclubs verschlossen bleiben. Damit aber werden die Clubs abhängig von der Kulanz der Behörden.
„Die Auflagen werden in der Branche als willkürlich, ungerecht und aus Vorurteilen gefällt wahrgenommen“, klagt der Chef des Verbands der Münchener Kulturveranstalter, David Süß. Keiner habe Interesse an einer zweiten Welle. So aber drohe ein über Jahrzehnte gewachsenes System aus Clubs, Personal, Agenturen, Technik und Kunst zu kollabieren. Auch der Bundesverband der Musikspielstätten LiveKomm rechnet mit einer Insolvenzwelle, da ein Normalbetrieb bis Ende des Jahres kaum möglich scheint.
Natürlich erhalten auch Clubs während der Zwangsschließung Corona-Soforthilfe. 14,2 Prozent der Anträge stammen aus der Branche Gastgewerbe – genauer weiß es das Wirtschaftsministerium nicht. Seit Ende Juni gibt es zusätzlich das Spielstättenprogramm. Wer unter den Kulturettungsschirm gelangt, bekommt bis Ende des Jahres die Betriebs- und Lohnkosten erstattet. Davon profitieren aber nur Diskotheken, die bisher mindestens 24 künstlerische Veranstaltungen im Jahr organisiert haben. Auch die Beantragung gestaltet sich kompliziert. Bisher wurden laut Kunstministerium noch keine Hilfen bewilligt.
Die Landtags-Grünen bezeichnen die Hilfsprogramme, Maßnahmen und Auflagen als „babylonisches Durcheinander“. Außerdem sehen sie den Gleichheitsgrundsatz verletzt: „Wieso ist Hintergrundmusik im Biergarten mit unbegrenzter Gästezahl erlaubt, bei Kulturveranstaltungen mit Eintritt aber gedeckelt?“, fragt die Grünen-Abgeordnete Sanne Kurz. Sie fordert einen runden Tisch mit Clubs, Livemusikspielstätten und den zuständigen Ministerien, um eine Öffnung unter Berücksichtigung von Infektionsschutz und -nachverfolgung vorzubereiten.
Modelle dazu gibt es schon, zum Beispiel vom Chef des Stuttgarter Clubs Lehmann. Weil wie in Flugzeugen in Kauf genommen würde, dass Abstände nicht eingehalten werden können, würden Gäste nur nach vorheriger Registrierung und nur einmal pro Woche eingelassen. So soll die Rückverfolgung bei einem Ausbruch problemlos möglich sein. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga arbeitet in Bayern außerdem mit der Wissenschaft an technischen Lösungen wie Luftzerstäubern.
Ein Modell, wie es weitergehen könnte, sollte sich auch die Staatsregierung überlegen. Auch um die überfüllten öffentlichen Plätze in den bayerischen Städten zu entlasten. Und spätestens im Herbst werden sich nicht nur junge Menschen so oder so wieder drinnen treffen. Wenn nicht in Bars oder Clubs, dann eben in den Privatwohnungen – völlig ohne Hygienekonzept. (David Lohmann)
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