Hans Dombrowski ist ein streitbarer Mensch. Einer, der Dinge gerne hinterfragt und sich einbringt. Das kommt nicht von ungefähr, schließlich stamme er aus der 68er-Generation, sagt der promovierte Erziehungswissenschaftler und Diplom-Theologe aus Augsburg. So überlegte er nicht lange, als er vor einigen Monaten auf einen Aufruf seiner Heimatstadt stieß: Sie suchte Menschen, die sich in einem neuen Format einbringen wollen: dem Bürgerbeirat Corona. Dombrowski bewarb sich – mit Erfolg.
Mit neun anderen Augsburgern engagiert sich der 69-Jährige seit November in diesem Ausschuss, mit dem die Stadt neue Wege geht: Als erste Kommune in Deutschland rief sie ein Gremium ins Leben, in dem Bürger Vorschläge einbringen, wie man die Corona-Pandemie besser bewältigen könnte. Ein Modell, auf das auch Baden-Württemberg setzt – dort ist der Beirat jedoch landesweit tätig. Thüringen will demnächst gleichziehen. Das strebt der Verein „Mehr Demokratie“ auch für Bayern an, nach dem Vorbild von Baden-Württemberg und Augsburg.
Häufig werden die Vorschläge abgelehnt
Ob ein solcher Beirat das richtige Instrument dafür ist, daran hat Hans Dombrowski jedoch Zweifel. Was auch daran liegt, dass die Kompetenzen des Ausschusses, den Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) moderiert, eng begrenzt sind. Lediglich Empfehlungen an Stadtrat und Verwaltung können die Mitglieder aussprechen. Häufig erlebten Dombrowski und seine Mitstreiter, dass ihre Vorschläge mit Verweis auf bayern- oder bundesweite Verordnungen abgelehnt wurden. Die Stadt sei dafür nicht zuständig, diesen Satz hörte er immer wieder. „Das ist demotivierend“, sagt er.
Melanie Haisch sieht das anders. Die Augsburger Stadtdirektorin, die sich unter anderem um das Thema Bürgerdialog kümmert, leitet das rund zehnköpfige Team, das die Gründung des neuen Gremiums umsetzte. Sie spricht von einem „Dialog auf Augenhöhe“, den man hier ermögliche. Und: Diese Vorschläge verpufften nicht, sondern würden allesamt beantwortet. Etwa die Empfehlung eines Beiratsmitglieds, große Räume für Schulen anzumieten, um Präsenzunterricht für Abschlussklassen zu ermöglichen, mit genügend Abstand, versteht sich. „Dafür laufen derzeit Gespräche“, sagt die Stadtdirektorin.
Auch eine Smartphone-App schlug das Gremium vor, um Gastwirten während der Pandemie das Führen von Gästelisten zu ersparen – wenn die Gastronomie endlich wieder öffnen darf. Jetzt verhandelt die Stadt mit einer Firma, die eine solche App anbietet. Nicht zu vergessen die Adventspost für einsame Senioren, die ebenfalls auf einen Vorschlag des Beirats zurückgeht. Auf einen Aufruf der Stadt hin schrieben knapp 2000 Kinder Weihnachtsgrüße, die dann von der Stadt verteilt wurden. „Eine ganz tolle Sache“, sagt Haisch.
Hans Dombrowski erzählt von anderen Erfahrungen. Etwa seiner Anregung, Stadtteilpaten zu installieren, um die Kommunikation mit den Bürgern zu verbessern. In einer Sitzung sei das zwar kurz aufgegriffen worden – „aber es ist nie mehr darüber geredet worden“. Mit einem anderen Vorschlag kam er ebenfalls nicht weit: Man müsse die Bürger besser aufklären, forderte er, ihnen zeigen, wie sie mehr für sich tun könnten, etwa mit gesunder Ernährung und der Stärkung des Immunsystems. Denn: „Wir müssen lernen, nicht gegen, sondern mit Corona zu leben.“ Die Antwort darauf: Dafür sei man nicht zuständig. Wieder mal.
Susanne Socher, bayerische Landesgeschäftsführerin des Vereins „Mehr Demokratie“, kennt solche Erlebnisse. Vom Instrument Corona-Bürgerbeirat ist sie dennoch überzeugt, auch auf kommunaler Ebene. Denn: Je länger die Pandemie dauere, desto stärker müsse man die Bürger einbinden. Vorausgesetzt, man mache ihnen vorher klar, welche Möglichkeiten sie haben und wo ihre Grenzen liegen, „um Frust vorzubeugen“.
Mitglieder des Beirats nicht zufällig ausgelost
Ähnlich sehen das die bayerischen Grünen. „Eine breite Debatte der Corona-Maßnahmen ist wichtig und dient der Akzeptanz in der Bevölkerung“, sagt Landtags-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. Ein Bürgerbeirat auf Landesebene ist deshalb ganz in ihrem Sinne. FDP-Fraktionsvorsitzender Martin Hagen spricht immerhin von einer „interessanten Idee, über die es sich nachzudenken lohnt“. Anders die Freien Wähler. Sie verweisen darauf, dass Bürgerbeiräte nur eine beratende Funktion hätten. „Die abgegebenen Empfehlungen hätten für politische Entscheidungsträger keine bindende Wirkung“, sagt der FW-Abgeordnete und Landtagsvizepräsident Alexander Hold. Würden sie nicht berücksichtigt, könnte dies eher zu Frustration statt zu mehr Vertrauen führen. Die bayerische SPD lässt ebenfalls eine gewisse Skepsis erkennen. Nicht einmal der Bayerische Landtag dürfe derzeit über die Lockdown-Maßnahmen mitentscheiden, gibt deren rechtspolitische Sprecherin Alexandra Hiersemann zu bedenken: „Daher hält die SPD-Landtagsfraktion vordringlich an einem Infektionsschutzmaßnahmen-Parlamentsbeteiligungsgesetz in Bayern fest.“
Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion, sieht noch ein anderes Problem. „Ein Bürgerforum mit nur wenigen zufällig ausgelosten Personen hat meiner Meinung nach keine Legitimation, um beispielsweise über Corona-Maßnahmen zu bestimmen“, sagt er. Die AfD wiederum mahnt, dass die Gremien „das ganze Spektrum der Gesellschaft“ abdecken müssten: „Ansonsten würden die Bürgerräte nur zu einem politischen Feigenblatt der etablierten Politik verkümmern.“
Zufällig ausgelost waren die Mitglieder des Augsburger Bürgerbeirats nicht. Stattdessen setzten die Organisatoren auf einen Aufruf: Wer sich hier einbringen wolle, könne sich bewerben – mit einem Vorschlag, wie die Pandemie besser zu bewältigen sei. Knapp 300 Anfragen trudelten daraufhin im Rathaus ein, die man auf mehrere Lostöpfe aufteilte: nach Alter, Familienstand, Bildungshorizont, Herkunft, Wohnregion. „Auf diese Weise haben wir eine bunte Mischung zusammenbekommen“, sagt Melanie Haisch. Unter anderem sind zwei Schüler dabei, ein 37-jähriger Informatiker, eine 41-jährige Krankenpflegerin.
Ihre Amtszeit endet jetzt allerdings, weil sich das Gremium alle drei Monate neu formiert. „Wir wollen neuen Leuten die Möglichkeit geben, sich zusammenzusetzen und zu diskutieren“, erklärt die Stadtdirektorin. Bei der nächsten Sitzung, die im März stattfinden soll, sind Hans Dombrowski und seine Mitstreiter deshalb nicht mehr dabei. Traurig ist er darüber nicht. Letztlich, resümiert er, sei der Bürgerbeirat nur „eine Alibi-Veranstaltung. Im Rückblick würde ich das nicht mehr machen“.
(Brigitte Degelmann)
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