Die Berliner Ampel-Koalition will das Transsexuellengesetz durch eine neue Regelung ersetzen: das Selbstbestimmungsgesetz. Wichtigste Änderung: Vorname und Geschlecht können beim Standesamt leichter geändert werden. Die Kritik daran ist groß. Vielen Betroffenen geht der Entwurf nicht weit genug. Patricia Schüttler aus München dagegen wirbt für die Vorteile der Neuregelung.
BSZ: Frau Schüttler, der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz trifft auf viel Kritik in der Trans*-Community. Warum?
Patricia Schüttler: Nach einigen vergeblichen Ansätzen haben wir jetzt endlich einen Gesetzentwurf, der in meinen Augen akzeptabel erscheint. Ich spreche hier nur für mich persönlich. Ich habe diesen Gesetzentwurf mehrfach gelesen, aber denke, nicht alle, die jetzt Kritik daran üben, haben das ebenfalls getan, oder sie haben manche Passagen falsch verstanden oder wollten sie vielleicht falsch verstehen.
BSZ: Gibt es einen Verband, der für alle Betroffenen sprechen kann?
Schüttler: Nein. Es gibt sehr viele Interessenvertretungen. Derzeit läuft die Verbandsanhörung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf, in der die Verbände ihre Stellungnahmen dazu abgeben. Nur: Es sind keineswegs alle Trans*-Organisationen gefragt worden, sondern nur die größeren und bekannteren, zum Beispiel der Bundesverband Trans*. Aber nicht jeder Verein ist dort Mitglied. (Trans-Ident ist dort nicht Mitglied, d. Red.)
BSZ: Was sehen Sie als Vorteile des Selbstbestimmungsgesetzes?
Schüttler: Der Vorteil schlechthin besteht darin, dass man keine gutachterliche Stellungnahme mehr braucht, um Vornamen und/oder Geschlecht ändern zu können. Bisher sind dafür zwei psychologische Gutachten zur Vorlage beim Standesamt nötig, die richtig Geld kosten – mitunter mehrere Tausend Euro. Gutachter*innen muss man erst mal finden, das kann dauern. Und viele Menschen empfinden deren Fragen als zu intim. Anschließend schreiben sie ein Gutachten, das man beim Amtsgericht vorlegen muss, um den Personenstand ändern zu lassen. Dieser ganze Prozess dauert sehr lange.
"Ich bin vielen Situationen aus dem Weg gegangen, bei denen Buben unter sich waren"
BSZ: Wie lange dauert nach Ihrer Erfahrung der Selbstfindungsprozess? Bis die betreffende Person sicher weiß: Ich will das Geschlecht, das in meinem Ausweis steht, ändern?
Schüttler: Da gibt es große Unterschiede.Es gibt primäre und sekundäre Transgeschlechtlichkeit. Die primären Trans-Menschen können schon in frühester Kindheit zu ihrer Mama sagen, ich fühle anders. Und dann gibt es andere, die erst im Lauf ihres Lebens erkennen, da war immer schon etwas falsch, aber erst jetzt weiß ich, was es ist. Zum Beispiel war es bei mir so, dass ich schon im Kindergarten empfand, das irgendetwas nicht stimmt. Ich bin vielen Situationen aus dem Weg gegangen, bei denen Buben unter sich waren, etwa im Schwimmunterricht. Später bin ich eine Beziehung eingegangen, ganz konventionell. Mit der Frau, mit der ich heute noch zusammen bin – seit nunmehr 33 Jahren. Aus Angst habe ich mich aber erst 2010 geoutet.
BSZ: Der Hauptkritikpunkt beim Selbstbestimmungsgesetz liegt beim Thema Hausrecht. Dass also etwa Trans-Frauen der Zutritt zu geschützten Bereichen wie Frauensaunen verwehrt werden darf. Wie stehen Sie dazu?
Schüttler: Es ist immer schon so, dass Einrichtungen wie Saunen oder Schwimmbäder sagen durften, diese Person darf rein, diese nicht. Man darf allerdings nicht pauschal sagen: Wir lassen keine Trans-Personen rein. Das wäre Diskriminierung und widerspräche dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz. Abgesehen davon: Trans-Personen meiden oftmals solche Bereiche. Ich zum Beispiel würde trotz geschlechtsangleichender Operationen niemals in eine Sauna gehen, weil ich Angst vor einer blöden Situation habe.
BSZ: Wie verhält es sich mit Kliniken oder Gefängnissen? Berechtigt das Selbstbestimmungsgesetz zum Beispiel Trans-Frauen dazu, in der Frauenabteilung unterzukommen?
Schüttler: Was die Justiz angeht: Das wird auch künftig individuell entschieden und ist auch abhängig von den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer. Hier wird sicher ein Kriterium sein, welche Außendarstellung die Person hat. Für mich ist das okay. Zu den Kliniken: Das entscheiden sie selber, ich halte das für richtig. Ich finde es am besten, wenn das Klinikpersonal im Vorfeld klärt, ob es für die anderen Patient*innen in Ordnung ist, ihr Zimmer mit einer Trans-Person zu teilen. Viele Trans-Personen wünschen sich eh meist ein Einzelzimmer.
"Wer übergriffig sein will, kann das jederzeit sein, dafür muss man nicht seinen Personenstand ändern lassen"
BSZ: Das Gesetz sieht vor, dass der Personenstand einmal jährlich geändert werden kann. Ist das sinnvoll? Es gibt Menschen, die hier vor Missbrauch warnen.
Schüttler: Man hätte diesen Zeitraum in der Tat verlängern können, auf drei oder fünf Jahre. Ich glaube aber, dass es extrem selten vorkommt, dass mehrfach gewechselt wird, und befürchte keinen Missbrauch. Auch aus ganz praktischen Gründen. Abgesehen davon: Wer übergriffig sein will, kann das jederzeit sein, dafür muss man nicht seinen Personenstand ändern lassen.
BSZ: Das Selbstbestimmungsgesetz enthält keinen Anspruch auf medizinische Behandlungen, die im Fall von Änderungen des Geschlechts oft durchgeführt werden. Was ist für eine solche Behandlung nötig?
Schüttler: Das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt das Transsexuellengesetz. Und es regelt nur die rechtliche Seite, also die Namens- beziehungsweise Personenstandsänderung. Wer eine medizinische Behandlung wünscht, muss auch weiterhin mindestens zwölf Psychotherapiesitzungen absolvieren und benötigt Indikationsgutachten für operative Maßnahmen.
BSZ: Es besteht häufig die Befürchtung, dass Kinder nun ihr Geschlecht leichtfertig ändern könnten und das später bereuen. Zu Recht?
Schüttler: Kinder ab 14 Jahren können selbstständig ihren Geschlechtseintrag ändern, wenn die Eltern zustimmen. Eine Rückkehr zum ursprünglichen Geschlechtseintrag ist für Minderjährige ohne Sperrfrist von einem Jahr möglich. Wie gesagt: Die Änderung des Personenstands berechtigt nicht zu medizinischen Behandlungen. Diese bedürfen auch weiterhin einer psychotherapeutischen Begutachtung, und notwendige Indikationsschreiben werden nicht leichtfertig ausgestellt. Genitalangleichende Operationen sind in der Regel ab 18 Jahren möglich. Und was man auch sehen muss: Trans-Kinder können extrem leiden! Die Selbstmordrate bei diesen Kindern ist Studien zufolge etwa sechs Mal höher als bei heterosexuellen.
BSZ: Wie viele Menschen sind vom Selbstbestimmungsgesetz betroffen?
Schüttler: Etwa ein halbes Prozent der Bevölkerung ist trans. Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass nach der Gesetzesänderung etwa 4000 Änderungen des Personenstands jährlich stattfinden. Im Jahr 2020 waren es insgesamt 2687 Verfahren nach dem Transsexuellengesetz.
BSZ: Glauben Sie, dass das Gesetz die Akzeptanz von Trans-Personen erhöhen wird?
Schüttler: Nein. Das Trans-Thema ist durch diesen Gesetzentwurf sogar ein bisschen ins Negative gerutscht, weil Probleme aufgebauscht wurden. Ich freue mich trotzdem über den Entwurf, plädiere dafür, ihn jetzt zu beschließen und dann zu schauen, ob das Gesetz überhaupt negative Folgen hat. Bei Bedarf könnte man nachbessern, damit ein für alle akzeptables Gesetz herauskommt.
(Interview: Waltraud Taschner)
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