Einen Aufsatz über die Französische Revolution auf dem Niveau einer 13-Jährigen schreiben? Ein Gedicht über SMS im Stil von Goethe? ChatGPT kann das und noch viel mehr – innerhalb von Sekunden. Ende November hat die US-Firma OpenAI das von ihr entwickelte Dialogsystem veröffentlicht. Und Millionen Menschen haben sich schon auf der Internetplattform registriert, um mit ChatGPT zu kommunizieren. Doch vielen ist gar nicht bewusst, was für eine Umwälzung sich da ankündigt.
ChatGPT ist der Prototyp eines textbasierten Dialogsystems, das schon erstaunlich gut funktioniert und durch die Nutzung weiter lernt. Denn künstliche Intelligenz (KI) ist genau darauf programmiert: dazuzulernen. Vor seiner Veröffentlichung wurde ChatGPT mit Milliarden Datensätzen gefüttert. Er kann Reportagen über fiktive Ereignisse ausspucken oder wissenschaftliche Arbeiten schreiben, die selbst Fachleute nicht immer als KI-Produkt erkennen. Je präziser die Aufgabenstellung, desto besser das Ergebnis.
Sein aktueller Wissensstand endet 2021, das Potenzial ist aber gigantisch. ChatGPT oder einer seiner Nachkommen könnte sich bald in der Kreativwirtschaft breitmachen. Und auch in anderen Bereichen, in denen standardisierte Texte und Kommunikation vorkommen. Und natürlich dürfte diese KI auch Googles Suchmaschine Konkurrenz machen – weswegen der Rivale Microsoft bereits Milliarden Dollar investiert hat, um sich den Zugriff auf die Technologie zu sichern.
Längst an Schulen und Hochschulen angekommen
Längst ist ChatGPT auch an den Schulen und Hochschulen angekommen. Denn natürlich haben die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen schnell entdeckt, dass die KI problemlos in der Lage ist, für sie die Hausaufgaben zu erledigen, egal ob in Mathe, Englisch oder in Physik. Sie könnte auch Hausarbeiten, die benotet werden, schreiben oder als Spickzettel bei Klausuren assistieren, sofern es gelingt, dabei heimlich aufs Handy zu schauen. Soll man die Nutzung an Bildungseinrichtungen also verbieten?
Nein, sagen mehrere bayerische Wissenschaftler*innen in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Dies kann als große Chance gesehen werden, Lehr- und Prüfungsprinzipien zu überdenken und an die Bedürfnisse einer digitalisierten Gesellschaft anzupassen“, schreiben sie.
Nein, sagt auch Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). „Sonst werden wir von der Entwicklung überrollt.“ Statt eines Verbots fordert sie die Abkehr vom bloßen Abfragen von Inhalten, die nach der Prüfung eh gleich wieder vergessen worden sind. Die KI soll Teil des Unterrichts werden. Und die Kinder sollen künftig verstärkt recherchieren und Ergebnisse auf ihre Plausibilität hin prüfen. Um die Lehrkräfte auf die KI-Welle darauf vorzubereiten, braucht es aber bald Fortbildungen. Auch die Lehramtsausbildung an den Universitäten muss angepasst werden. Die Politik ist gefordert.
Konkrete Vorgaben der Staatsregierung zu ChatGPT gibt es aber noch keine. Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) verweist auf ein geplantes Gesetz auf EU-Ebene, das auch mit bayerischem Input den Einsatz von KI regulieren und gleichzeitig genug Raum für Innovationen lassen soll. „Ich glaube, wir sind erst am Anfang zu erahnen, welche Auswirkungen und Veränderungen KI-Systeme wie ChatGPT haben werden“, sagt Gerlach.
Neue Jobs für Manipulations-Checker
Doch die schöne neue Technik bietet auch Gefahren. Johann Horn, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, nennt die KI eine „Hochrisiko-Technologie“, mit der Macht, den Druck auf Beschäftigte zu erhöhen, sie zu überwachen und Arbeitsplätze zu vernichten.
Es dürfte keine Branche geben, die von KI unberührt bleibt. Zukunftsforscher Ulrich Eberl, der an der TU München in Biophysik promovierte, glaubt aber nicht, dass viele Jobs wegfallen, sondern dass neue entstehen. Zum Beispiel für Expert*innen, die Manipulationen entdecken. „Denn das Hauptproblem wird sich nicht so schnell lösen lassen: die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse“, erklärt Eberl. Der KI einprogrammierte Regeln erschweren, es zwar, Hassreden oder Fake News zu produzieren. Allerdings hat der Forscher selbst bereits gemerkt, dass ChatGPT durchaus auch schon Fakten nahtlos mit Erfundenem verband. „Das macht die Dialog-Software zu einem gefährlichen Werkzeug.“ Quellenangaben? Derzeit Fehlanzeige.
Ein amüsantes Beispiel für die Grenzen der KI hat Eberl auch parat: Er fragte: „Es sitzen 15 Vögel auf einer Stromleitung. Der Jäger erschießt einen. Wie viele bleiben sitzen?“ ChatGPT antwortete: „14.“ Dass die anderen Vögel eher aufgeschreckt wegfliegen dürften, ist für die KI nicht vorstellbar.
Doch auch wenn ChatGPT noch limitiert ist – er wird schon vielerorts genutzt. Es ist der nächste Technologiekracher aus den USA. Firmen von dort und aus Asien dominieren den KI-Markt. Dank der bayerischen KI-Forschung ist Bayerns Ausgangslage laut Bertram Brossardt, dem Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), trotzdem gut. Ziel müsse nun sein, „die Forschungsergebnisse am Standort zügig in weltweit erfolgreiche Innovationen umzusetzen.“ Allerdings ist man in den bayerischen Firmen laut einer Studie des VBW vorsichtig. Nur 3 Prozent der befragten Unternehmen nutzten im vergangenen Jahr KI, 66 Prozent erklärten, ein Einsatz komme für sie nicht in Frage.
(Thorsten Stark)
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