Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei: Aus diesem abgedroschenen Scherz sprechen viel Neid und Unkenntnis. Tatsächlich erreichen Lehrkräfte mit Unterrichtsvorbereitung, Korrigieren und Zusatzaufgaben leicht 40 Stunden pro Woche – wenn sie denn noch Vollzeit arbeiten. Denn immer mehr Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit. Inzwischen sind es in Bayern sogar so viele, dass das Kultusministerium und die Schulleitungen vor Ort gar nicht mehr wissen, wie sie die Löcher noch stopfen sollen. Die Pandemie und die große Zahl an Flüchtlingskindern aus der Ukraine belasten das Schulsystem ohne Frage – Hauptursache für den Lehrkräftemangel ist aber wohl die Teilzeit.
Mehr als 155.000 Lehrkräfte – verbeamtet und angestellt – waren im Freistaat im Schuljahr 2020/21 an den bayerischen Schulen beschäftigt, so viele wie nie zuvor. Doch nur 45 Prozent von ihnen arbeiten in Vollzeit. Nur drei Jahre zuvor waren es noch 46 Prozent, immerhin über 1000 Lehrkräfte mehr. An den bayerischen Grundschulen ist es besonders krass: Dort beträgt der Anteil der Teilzeit fast zwei Drittel. Es ist der Schultyp, an dem zu 90,5 Prozent Frauen unterrichten, von denen es viele in die Teilzeit zieht. Das Kultusministerium hat schon darauf reagiert und schärfere Grenzen für Teilzeitarbeit gezogen. Nur: Für die sogenannte familienpolitische Teilzeit gilt diese neue Regelung – ebenso wie für die Teilzeit in Elternzeit und die Altersteilzeit – nicht.
Auch deswegen zieht es immer mehr verbeamtete Lehrkräfte in die familienpolitische Teilzeit. Gut ein Fünftel von ihnen, fast 25.000, nutzt mittlerweile diese Möglichkeit des Paragrafen 89 im Bayerischen Beamtengesetz, der erlaubt, dass man zur Betreuung der Kinder bis zu deren 18. Lebensjahr oder zur Pflege Angehöriger Teilzeit von mindestens acht Unterrichtsstunden pro Woche nehmen kann. Es sind vor allem die Grundschullehrkräfte, die das nutzen. Bei ihnen beträgt die Mindestzahl sogar nur sechs Stunden.
Keine Lex Lehrer
Eine Entwicklung, die auch die Politik ins Grübeln bringt. In der jüngsten Sitzung des Landtagsausschusses für Fragen des öffentlichen Dienstes konnten viele Abgeordnete kaum glauben, was sie da aus dem Mund des Leitenden Ministerialrats Roland Krügel zu hören bekamen: Aus organisatorischen Gründen könne kein Antrag, sofern er berechtigt ist, abgelehnt werden – und es kämen immer mehr solche Anträge. Dem Kultusministerium, so Krügel, seien die Hände gebunden – „solange der Paragraf 89 so lautet“.
Doch an das Bayerische Beamtengesetz wollen sich weder die Abgeordneten noch die Staatsregierung ein Jahr vor der Wahl heranwagen. „Es gibt ja keine Lex Lehrer“, sagt Wolfgang Fackler (CSU), Vorsitzender des Ausschusses öffentlicher Dienst. Die familienpolitische Teilzeit gilt für das gesamte Beamtenwesen. Und mit dem will es sich niemand verderben. So belässt man es bei Appellen.
Dabei ist die gesetzliche Regelung wirklich zu hinterfragen: Müssen eine Mutter oder ein Vater ihr Kind wirklich bis zum 18. Lebensjahr so intensiv betreuen, dass sie ihre Arbeitszeit auf acht beziehungsweise sechs Unterrichtsstunden pro Woche reduzieren können – und das ohne Prüfung der jeweiligen Situation? Das ist weder fair noch sinnvoll angesichts des akuten Lehrkräftemangels. Zum Vergleich: Die Pflichtzahl an der Grundschule beträgt bei Vollzeit 28 Stunden. Würde man nur 500 Lehrkräfte dazu bewegen, statt der Minimal- die Maximalzeit zu arbeiten, könnte man auf einmal 11.000 Stunden mehr Unterricht anbieten – pro Woche.
Brückenteilzeit in der freien Wirtschaft
In der freien Wirtschaft gibt es seit 2019 neben dem bestehenden Anspruch auf zeitlich nicht begrenzte Teilzeitarbeit die Brückenteilzeit. Dabei können Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 45 Beschäftigten für eine vereinbarte Zeit zwischen einem Jahr und fünf Jahren ihre Arbeitszeit verringern. Allerdings können Firmen dabei betriebliche Gründe geltend machen und den Antrag ablehnen, zudem müssen sie auch nur einem pro 15 Beschäftigten Brückenteilzeit gewähren. So ein Regulativ fehlt bei der familienpolitischen Teilzeit.
Im Nachbarland Österreich diskutiert man derzeit ebenfalls über Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel. Eine Forderung der Neos an Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) lautet, mehr Teilzeit- in Vollzeitstellen umzuwandeln, unter anderem durch die flächendeckende Schaffung von Betreuungsplätzen. Dort beträgt die Teilzeitquote allerdings lediglich ein Drittel.
In der Schweiz hieß es im alle vier Jahre herausgegebenen Bildungsbericht 2018: Wenn alle in Teilzeit Arbeitenden ihr Pensum um durchschnittlich 10 Prozent erhöht, gäbe es keinen Lehrkräftemangel mehr. Indes: Dieser Wunsch blieb unerfüllt. Mehr als zwei Drittel aller Lehrkräfte in dem kleinen Land arbeiten weniger als 89 Prozent. Deswegen griff man im Kanton Zürich im Sommer zu drastischen Mitteln: Personen ohne Diplom konnten sich in den Ferien bei einer Kompaktwoche auf den Unterricht vorbereiten und erhielten eine Anstellung, befristet auf ein Jahr.
(Thorsten Stark)
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